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Grüne Habeck tourt durchs Land – und bekommt überall die selbe Frage

Vizekanzler Robert Habeck auf Sommerreise durch Deutschland – plötzlich richten sich alle Augen auf ihn
Vizekanzler Robert Habeck auf Sommerreise durch Deutschland – plötzlich richten sich alle Augen auf ihn
© photothek / IMAGO
Nach dem Rückzug von Annalena Baerbock von der Kanzlerkandidatur, richten sich alle Augen auf den Wirtschaftsminister. Doch auf seiner Sommerreise will er hierzu lieber nichts sagen

Am Tag nach dem Schocker aus Washington wird es extrem heiß für Robert Habeck. Der Wirtschaftsminister ist zu Besuch in einer Glasfabrik. In der Produktion, wo Maschinen im Akkord glühende Flaschen ausspucken, herrscht eine Bullenhitze. Die Schutzausrüstung, die Besucher hier tragen müssen, machen die Temperaturen nicht angenehmer. Mit seinem Schutzkittel, der Sicherheitsmütze und dem Gehörschutz mitsamt Mikrofon sieht Habeck aus wie ein Hubschrauberpilot.

Der Grund, warum Habeck gekommen ist, ist eine spezielle Maschine: eine neuartige Schmelzwanne, die in erster Linie mit Strom betrieben wird, nur zu einem kleinen Teil mit Gas. Es ist eine Weltneuheit, die das Industrieunternehmen Ardagh Glas Packaging selbst entwickelt und Ende 2023 in seinem Werk im Örtchen Obernkirchen, nicht weit entfernt von Hannover, installiert hat. Ein „Meilenstein“ schwärmt Geschäftsführer Jens Schaefer, als er den Vizekanzler am Donnerstagmorgen begrüßt.

Bevor Schaefer den Besucher aus Berlin durch die Produktionshalle führt, stehen beide vor einem Bauzaun mit Firmenlogo, um ein paar Worte zu sagen. Habeck hat die Augen zusammengekniffen, vielleicht nicht nur, weil die Sonne blendet. Nach dem überraschenden Rückzieher seiner Ministerkollegin Annalena Baerbock, die sich per CNN-Interview aus Washington aus dem Spiel bei der Kanzlerkandidatur der Grünen nahm, dürfte es am Mittwochabend etwas länger gegangen sein.

Habeck will sich nichts anmerken lassen

Die Kanzlerkandidatenfrage und der ganze Wirbel indes, den Baerbocks Absage ausgelöst haben, wirken in Obernkirchen wie von einem anderen Planeten. Stattdessen geht es hier um eines der Lieblingsthemen, die Habeck seit seinem Antritt als Wirtschaftsminister beschäftigen: Wie sich der Einsatz von Gas in der Industrie herunterfahren lässt. Er sei „echt neugierig“ auf die neue Schmelzwanne, das Projekt, sei für ihn „ein besonderes“. Denn die Glasindustrie, erinnert Habeck, sei eine jener Branchen, die 2022, als nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine das Gas aus Russland wegfiel, besonders zu kämpfen hatte. Damals hätte es hier auch zu einem „Sterben“ der extrem gasabhängigen Firmen kommen können.

Für Habeck ist der Firmenbesuch einer von Hunderten, business-as-usual für einen Wirtschaftsminister. Doch irgendwie passt es, dass es ihn am ersten Tag als Fast-Kanzlerkandidat seiner Partei hierhin führt – nicht nur, weil Habecks Management in der Gaskrise als wahlkampftauglich gilt. Auch das Unternehmen mit seiner neuartigen Schmelzwanne, die in der Produktion mehr als 60 Prozent CO2 einspart, passt irgendwie gut: Die Anlage, sagt Unternehmenschef Schaefer, sei eine echte weltweite Innovation beim Klimaschutz, aber auch „ein Wagnis“ und eine „Investition in die Zukunft“, ohne dass sie sich schon heute finanziell auszahle.

Es ist ein bisschen so, wie Habeck Politik versteht. Nicht von ungefähr wurde das Pilotprojekt auch von seinem Ministerium gefördert, mehr als 10 Mio. Euro wurden dafür zugesagt. Das Unternehmen sei ein „lebendes Beispiel“, wie sich Wirtschaft und Klimaschutz vereinbaren lassen, lobt Habeck nach dem Rundgang durch die Produktion, nun wieder im grauen Anzug und ohne Schutzkleidung. Es zeige, dass „Veränderungen möglich“ seien. Dann verschwindet er mit Firmenchef Schaefer zum Gespräch im kleinen Kreis. Zur Kanzlerkandidatenfrage kein Wort.

Thema kommt zur Unzeit

Die Nachricht, dass Baerbock verzichtet, erwischt Habeck auf seiner Sommerreise. Fünf Tage geht es quer durchs Land, eigentlich soll es um Sachthemen gehen, die für ihn und sein Ministerium wichtig sind: Transformation der Wirtschaft, klimaschonende Industrie, neue Mobilitätskonzepte. Doch nun, nach dem Interview-Coup der Außenministerin, geht es auf einen Schlag auch um Machtthemen.

Am Mittwochabend, als sich Baerbocks Aussagen per Eilmeldung verbreiten und in seiner Entourage Hektik verbreiten, macht Habeck gerade Station in einem Technologiepark in Dortmund. Wenn der Vizekanzler nicht vorher im Bilde gewesen sein sollte, dann lässt er sich die Überraschung jedenfalls nicht anmerken. Kurzfristig gibt Habeck ein Statement, hinter sich ein stillgelegter Hochofen. Baerbock mache einen „hervorragenden Job als Außenministerin“, sagt er. Ob er nun Kanzlerkandidat werde? Das werde man nun in den Gremien beraten und „die richtigen Entscheidungen rechtzeitig verkünden“, sagt Habeck. Dann fährt er erst einmal ins Dortmunder Stadion, zum EM-Halbfinalspiel England gegen die Niederlande.

Doch die Frage, ob er denn nun als Kanzlerkandidat antritt, kann Habeck nicht abschütteln. Sie begleitet ihn auch auf seiner Sommertour, etwa am Mittwochmittag, als er in Essen bei einem Leserdialog der „WAZ“ auftritt und darauf angesprochen wird. Die Kandidatenfrage, sagt Habeck da, sei weniger eine an ihn oder an Baerbock, nach dem Motto: Wer will denn noch mal, wer hat noch nicht? Vielmehr richte sich die Frage an seine Partei, aber sie gehe auch an die anderen Parteien: „Was bietet ihr dem Land an? Was wollt ihr in Zukunft repräsentieren? Wer wollt ihr sein als Partei? Welche Rolle wollt ihr wahrnehmen und welche Rolle wollt ihr spielen?“ Dies müsse beantwortet sein. Es ist Habecks Art, die Frage „Er oder sie“ abzumoderieren.

Nur ein paar Stunden später aber, nach Baerbocks Rückzieher, stellt sich die K-Frage auf einmal ganz anders, ist aus einem latenten Thema ein konkretes und aktuelles geworden. Auch wenn das Kanzleramt für die Grünen derzeit unendlich weg erscheint, bei gerade einmal dürren elf bis 13 Prozent in den Umfragen. 

Auch am Donnerstagmorgen, bei seinem ersten Termin des Tages in Paderborn, wird er mit der Frage konfrontiert. Habeck entscheidet sich diesmal für die Strategie Ausweichen: Man müsse sich keine Sorgen machen, „das haben wir gut im Griff.“ Ob er denn als Kandidat zur Verfügung stehe? „Ich bin ja Minister“, setzt er an, „ich arbeite Tag und Nacht dafür, dass sich das Land aus der Wirtschaftskrise, ausgelöst durch Putins Gaseinstellung, befreit.“ Dann redet er über den jüngsten Haushaltskompromiss der Ampel, bis einer noch wissen will, wie er denn die Chancen sehe, dass die Grünen wieder Richtung 20 Prozent kommen können. Im Gehen sagt er: „Große Chancen.“

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