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Kommentar Gute Politik orientiert sich nicht nur am BIP

Mehr Statistiken bringen nichts: Die Glücksforschung braucht einen Platz in der Politikberatung.
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Prognosen: Wirtschaftsforschungsinstitute beraten die Bundesregierung

Professor Gert G. Wagner ist Vorstandsmitglied des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und Vorsitzender des Sozialbeirats der Bundesregierung. Dr. Christian Kroll wurde an der London School of Economics (LSE) promoviert und ist Projektmanager bei der Bertelsmann Stiftung

Zum „Internationalen Tag des Glücks“ der Vereinten Nationen wird am 20. März in Berlin ein internationaler Expertenbericht zur Glücksforschung vorgestellt. Seine Ergebnisse sind auch für Deutschland relevant, da der Bericht zeigt, dass Wirtschaftswachstum allein als Ziel nicht ausreicht. Wir brauchen eine systematischere Politikberatung jenseits des Bruttoinlandsprodukts.

„Gesetze sind wie Würste, man sollte besser nicht dabei sein, wenn sie gemacht werden.“ Dieser häufig Otto von Bismarck zugeschriebene Ausspruch geht eigentlich zurück auf den amerikanischen Dichter John Godfrey Saxe (1816-1887). Er beschreibt, dass es bei der Gesetzgebung schon mal sehr unsystematisch und unappetitlich zugehen kann. Unser heutiges Gegenmittel zur Abwendung solcher Zustände ist Transparenz politischer Entscheidungsprozesse und evidenzbasierte Politik. Am Ende muss immer eine politische Mehrheitsentscheidung stehen, aber diese sollte nicht auf Basis undurchsichtiger Lobbyinteressen und aus einem Bauchgefühl heraus getroffen werden, sondern auf Basis von Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnissen begründbar sein.

Glücksfaktoren beachten

Wir verfügen heute in Deutschland über eine anständige institutionelle Architektur für evidenzbasierte Politik. Öffentlich finanzierte und unabhängige Hochschulen und Forschungsinstitute, Stiftungen und Think Tanks, aber auch Grundsatzabteilungen in Ministerien und Verbänden zusammen mit allerhand Sachverständigenräten und wissenschaftlichen Beiräten versorgen Entscheidungsträger mit Erkenntnissen aus der Forschung. Dabei spielen die wichtigste Rolle Statistiken wie die Arbeitslosenquote, über das Einkommen der Bürger, ihren Gesundheitszustand und – keineswegs an der Spitze – das vieldiskutierte Bruttoinlandsprodukt (BIP).

Eine offene Frage ist derzeit noch, an welchen Stellen und wie der in den letzten Jahren enorm gewachsenen Wissensstand der „Glücksforschung“ in die Beratung eingehen soll und kann. In immer mehr Erhebungen, wie etwa dem zehntausende Befragte umfassenden Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) des DIW Berlin, werden die Menschen gefragt, wie zufrieden sie mit ihrem Leben sind. Dabei wird zum Beispiel deutlich wie enorm groß die negativen Folgen von Arbeitslosigkeit sind oder wie sehr lange Arbeitswege nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für deren Familien schädlich sind.

Immer mehr Staaten lassen solche Daten mittlerweile auch von ihren statistischen Ämtern erheben. Da stellt sich die Frage, welche Konsequenzen sich aus diesen Erkenntnissen für das politische Handeln ergeben. Wo liegen wir richtig, wo sollten wir umsteuern, um den Menschen mehr Chancen für ein zufriedenes Leben zu geben?

Genau mit diesen Fragen beschäftigte sich ein Bericht, der am 20. März von der Bertelsmann Stiftung in Berlin diskutiert wird. Er wurde von einer unabhängigen, hochrangig besetzten Kommission unter der Leitung des früheren obersten britischen Regierungsbeamten Lord O’Donnell und mit Beteiligung von OECD, der Princeton University und der London School of Economics geschrieben. Darin fordern die Autoren, künftig Gesetzesfolgen auf die Faktoren hin abzuschätzen, die laut „Glücksforschung“ eine zentrale Rolle spielen: Allen voran erfüllende Erwerbstätigkeit, genug Zeit und Raum für soziale Beziehungen und auch die Förderung von Resilienz, d. h. der Fähigkeit mit unerwarteten Problemen und Krisen im Leben umzugehen, bei Eltern und Kindern.

Indikatoren sind kein Politikersatz

Der Bericht macht gute Vorschläge, wie wir besser von der Statistik zur politischen Umsetzung kommen, wie zum Beispiel eine Gesetzesfolgenabschätzung, die Kosten und Nutzen nicht nur in Punkto wirtschaftliche Folgen untersucht, sondern im Blick auf gesellschaftliches Wohlergehen. Er knüpft damit an die Ergebnisse der Enquete Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ an, die der Bundestag in der letzten Legislaturperiode eingesetzt hatte.

Allerdings wäre es unsinnig einen Automatismus von statistischen Indikatoren direkt zu politischen Entscheidungen zu wünschen. Indikatoren sind kein Politikersatz. Statistiken, ob zur Arbeitslosigkeit oder zur Lebenszufriedenheit, sollten immer nur eine Informationsquelle für politische Entscheidungsträger sein, die sich dann im demokratischen Prozess damit auseinandersetzen.

In Deutschland könnte und sollte dieser demokratische Prozess durch eine Verbesserung der Beratungs-Institutionen befördert werden. Für die wirtschaftliche Entwicklung gibt es einen Sachverständigenrat, der die öffentliche Agenda auch stark beeinflusst. Fragen von sozialer Dimension und der ökologischen Nachhaltigkeit werden in einer Vielzahl von deutlich weniger sichtbaren Beiräten und Sachverständigenräten diskutiert. Glück und Zufriedenheit so gut wie gar nicht. Der „Tag des Glücks“ der Vereinten Nationen sollte Anlass sein, die Fragen einer besseren Beratungsstruktur zu diskutieren. Das wäre schon viel, denn es ist nicht zu erwarten, dass ein „Tag des Glücks“ allein plötzlich alles zum besseren verändert.

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