Kaum eine Episode aus der Geschichte der griechischen Schuldenkrise dürfte sich ins kollektive Gedächtnis mehr eingeprägt haben, als der deplatzierte Ratschlag einer deutschen Boulevard-Zeitung, die bankrotten Griechen sollten doch ihre Inseln verkaufen – und ihr Wahrzeichen, die Akropolis, gleich dazu. Als die Bundesregierung nun von einer Haushaltskrise eingeholt wurde, konnte der frühere Athener Minister Panagiotis Lafazanis Ende 2023 nicht umhin, ein wenig Rache zu üben: Deutschland könnte ja nun selbst etwas Tafelsilber verscherbeln, darunter auch Inseln, sagte er im Interview der „Bild“.
Abgesehen davon, dass weder der griechische Staat noch der Bund ganze Inseln besitzen, ist unbestreitbar: Griechenland war in den vergangenen Jahren ziemlich erfolgreich darin, sich aus seinem Schulden-Schlamassen zu befreien. Nach einer wirtschaftlichen Kehrtwende nimmt auch das Privatisierungsprogramm richtig Fahrt auf. Jüngstes Beispiel ist die Ankündigung, einen Teil der staatlichen Beteiligung am Athener Flughafen abzugeben.
Drei Jahre, nachdem der Plan erstmals bekannt wurde, sollen 30 Prozent der Flughafengesellschaft AIA, die bisher dem Privatisierungsfonds Taiped gehören, veräußert werden. Und zwar im Zuge eines Börsengangs im Februar. Dem deutschen Flughafeninvestor und -betreiber AviAlliance, der 40 Prozent kontrolliert, sowie der griechischen Familie Copelouzos mit fünf Prozent Anteilen werde ein Vorkaufsrecht für jeweils zehn und ein Prozent eingeräumt. Der Staat behalte 25 Prozent über eine Beteiligungsgesellschaft.
Angesichts einer glänzenden Fluggast-Bilanz in Hellas könnte der Verkauf nicht besser getaktet sein. Eine Rekordzahl von 28 Millionen Passagieren nutzte vergangenes Jahr das Athener Drehkreuz, fast ein Viertel mehr als 2022. So wird eine Beteiligung an dem zur Olympiade 2004 gebauten Flughafen auch als großartige Chance zur Teilhabe an diesem Boom beworben. Die Erwartungen sind groß. Das IPO soll laut Informationen der „Financial Times“ 800 Mio. Euro in die Kassen spülen.
Schon seit vergangenem Jahr hat die Athener Börse Auftrieb. Spekulanten wetten nicht mehr gegen, sondern auf Griechenland.
Für das Comeback des Mittelmeerstaats, der auf dem Höhepunkt der Schuldenkrise ganz Europa in Atem hielt, steht maßgeblich Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis. Der Konservative, dem es 2019 gelang, der linken Regierung von Alexis Tsipras eine Niederlage zu bescheren, setzte Privatisierungen ganz oben auf die Agenda. Die Hoffnungen des früheren Investmentbankers bei Chase und Analysten bei McKinsey, damit Wachstumsimpulse zu erzielen, sollten sich erfüllen. Es ging aufwärts. Selbst die Arbeitslosenquote, die in der Krise fast 30 Prozent erreicht hatte, halbierte sich bis 2022 auf 13 Prozent – Tendenz sinkend.
Bessere Bonität, aber noch höchste Schuldenquote
Mit Rückenwind gelang es Mitsotakis, Griechenlands Gläubiger von der Ernsthaftigkeit der Reformbemühungen zu überzeugen. Insgesamt nahm Athen knapp 290 Mrd. Euro an Krediten auf. Im Gegenzug zu drei Rettungsprogrammen musste die Regierung Sparpläne akzeptieren, die Renten und Gehälter nach unten und Steuern in die Höhe trieben. Die Wirtschaft schrumpfte. Nach dem offiziellen Ende der Rettungspläne 2018 setzte Brüssel eine „verstärkte Überwachung“ fort, aus der das Land vier Jahre später entlassen wurde.
Was lange als unmöglich galt, geschah am 20. August 2022: Die Rückkehr zur Normalität erklärte Mitsotakis zum „historischen Tag für Griechenland und alle Griechen“. „Das Griechenland von heute ist ein anderes Griechenland“, sagte er – und unterstrich das positive Signal an internationale Anleger. Schon im April davor hatte Athen die letzten offenen Darlehen des Internationalen Währungsfonds (IWF) von nahezu 1,9 Mrd. Euro zurückgezahlt. Zwei der führenden Rating-Agenturen stuften die Bonität des langjährigen Sorgenkinds der Finanzmärkte herauf. Da waren auch alle Kapitalbeschränkungen gefallen.
Niedrige Zinsbindung
Noch weist Griechenland die höchste Schuldenquote der EU auf: bis 2022 sank sie von einst mehr als 200 auf 171 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und bewegte sich 2023 auf 160 Prozent zu. Für 2024 werden 152 Prozent erwartet, so die „Financial Times“, als sie im Oktober mit Zentralbankchef Yannis Stournaras sprach. Das bestätigt die Erwartung von Experten: Dank kontinuierlicher Haushaltsüberschüsse bei gleichzeitig wachsender Wirtschaft sei die Quote um rund zehn Prozentpunkte pro Jahr zu senken. Eine erhöhte Zinslast muss Athen nicht kümmern, es gilt im Nachgang der Rettungspakete bis 2032 eine Zinsbindung auf niedrigem Niveau.
Wohl bläht die hohe Inflation das nominale Wachstum auf, doch die Bombenraten, wie man sie lange in China und kaum in einem Industrieland Europas kannte, schwächen sich auch in Griechenland ab. Noch 2022 legte das BIP um 5,9 Prozent zu – weit über dem EU-Durchschnitt von 3,5 – und nach 8,4 Prozent im Jahr davor. Schmerzhafte Einschnitte machten Griechenlands Exportwirtschaft wieder konkurrenzfähig, eine Verdoppelung der Ausfuhren in zehn Jahren trug entscheidend zum Aufschwung bei. Für 2023 erwartet die EU-Kommission ein Wachstum des BIP von 2,4 Prozent, das bis 2025 leicht auf 2,2 Prozent sinken werde. Das griechische Statistikamt weist ein Abflachen der Wachstumskurve gegen Ende 2023 aus.
Top-Prognose für Privatisierungen
Ein stabiler Ausblick. Doch für einen weiterhin stabilen Staatshaushalt sollten auch die Einnahmen aus Vermögen weiter sprudeln. Die Privatisierungsbehörde erwartet allein in diesem Jahr eine Rekordsumme von 5 Mrd. Euro. Nach seiner Wiederwahl vergangenen Sommer kann Mitsotakis den eingeschlagenen Kurs halten. Er liefert den Beweis, dass auch eine Reformregierung bestätigt werden kann.
Zwar war der Verkauf staatlichen Eigentums von Anfang an eine tragende Säule der Sanierungspläne der Gläubiger. Doch war ein 2015 in Brüssel gesetztes Ziel von 50 Mrd. Euro Erlösen von vornherein illusorisch. Das Land war gar nicht in der Lage, zu der Zeit solche Preise für Investitionen aufzurufen. Schon ein erster Privatisierungsfonds unter Aufsicht der Troika war Anfang der 2010er Jahre kläglich gescheitert. Akzeptanz gab es weder in der Politik noch in der Gesellschaft. Öffentliche Proteste und Klagen vereitelten Verkaufspläne für Wasser- und Energieversorger.
Insgesamt spülten Privatisierungen seit 2011 um die 10 Mrd. Euro in die Staatskasse – darunter für das Gelände des ehemaligen Athener Flughafens, auf dem eine gigantische Trabantenstadt in dem Projekt „The Ellinikon“ entstehen soll. Der Entwickler stellt in Aussicht, bis zur Fertigstellung 2,4 Prozent zum BIP beizutragen. Prominentestes Filetstück war der Hafen Piräus, der an einen chinesischen Eigner überging. Ein Umsteuern auf Konzessionen ohne Eigentümerwechsel, aber mit hohen Vorauszahlungen und Anschlussinvestitionen, ebnete den Weg für den Betrieb von 14 Regionalflughäfen für 32 Jahre durch die Frankfurter Flughafengesellschaft Fraport.
Nun sollen neben dem Teilausstieg aus dem neuen Athener Flughafen demnächst 1,5 Mrd. Euro aus Konzessionen für die 650 Kilometer lange Mautstrecke auf der Autobahntangente Egnatia im Norden fließen, ergänzt durch Einnahmen aus der 70 Kilometer langen Umgehung der Hauptstadt. Kreuzfahrtunternehmen schauen interessiert auf den Hafen Lavrion südöstlich von Athen, von dem zwei Drittel feilgeboten werden sollen – ebenso wie einige Yachthäfen auf der Insel Korfu und am Golf von Korinth.
Comeback des Aktien- und Anleihemarktes
„Griechenland zeigt, dass es möglich ist, vom Rand des Zusammenbruchs zu harten vernunftgetriebenen Reformen zu gelangen, den sozialen Zusammenhalt wieder zu stärken, verhaltenen Patriotismus an den Tag zu legen – und doch Wahlen zu gewinnen“, feierte die Zeitschrift „Economist“ das Comeback der Griechen zum Jahreswechsel. Die Volkswirtschaft wurde zum Sieger im Jahres-Ranking erfolgreicher Umschwünge erklärt: Der Aktienmarkt habe um 40 Prozent zugelegt, Anleger bewerteten griechische Unternehmen neu, die Regierung setze marktliberale Reformen um.
Ein weiter positiver Ausblick lässt sich an den Anleihemärkten ablesen. Solange einstige Randstaaten wie Griechenland – aber auch Spanien und Portugal – auf Reform- und Wachstumskurs bleiben, sollte die Nachfrage nach Schuldtiteln hoch bleiben, erwarten Analysten. Die früheren Sorgenkinder sollten dann auch in diesem Jahr eine deutlich bessere Figur machen als die Gründungsmitglieder der Eurozone, die mit hausgemachten Wachstums- und Haushaltskrisen kämpfen.
Dennoch wachsen selbst in Hellas die Olivenbäume nicht in den Himmel. So mahnte Notenbankchef Stournaras, eine schrumpfende Bevölkerung bedrohe das Wirtschaftswachstum, und die Regierung müsse ihren Haushaltsüberschuss in diesem Jahr wieder verbessern. Wohl sind Löhne und Produktivität in den vergangenen Jahren gestiegen. Doch ein schärferer Wettbewerb fordert auch seinen Zoll: Das Land ist immer noch viel ärmer als vor dem Schuldenkrach 2010. Und auch die Übernachtungszahlen haben sich nach einem Rekord 2022 im vergangenen Jahr auf weit niedrigerem Niveau eingependelt.