An der Globalisierung kommt niemand vorbei. Dieser Eindruck war in den Jahren vor der Finanzkrise beherrschend. Ein Megatrend, der alle anderen Strömungen überstrahlte. Ein Megatrend, der das bestehende Koordinatensystem der Weltwirtschaft auf den Kopf stellte. Nicht mehr die Industrieländer waren danach die dominierenden Treiber der Weltwirtschaft, sondern diese Rolle wuchs nach und nach den aufstrebenden Volkswirtschaften zu mit ihren teils zweistelligen Wachstumsraten.
Diese Sichtweise wird gegenwärtig wieder einmal herausgefordert. Politische Erschütterungen, etwa in Asien oder in Osteuropa, wirtschaftliche Ungleichgewichte wie in China sowie einseitige Entwicklungsmodelle wie in Russland oder Brasilien werfen Zweifel auf an der neuen Weltwirtschaft. Die Wachstumsraten des Welthandels haben sich bei einem Durchschnitt von nur noch knapp drei Prozent seit 2008 im Vergleich zu den Jahren davor fast gedrittelt. Weltweite Direktinvestitionen, die vor der Finanzkrise jährlich mit 30 Prozent und mehr anstiegen, sind seitdem in der Hälfte der Jahre geschrumpft. Die Weltwirtschaft als Ganzes wuchs seit Beginn der Krise nur noch mit 2,9 Prozent jährlich, im Vergleich zu mehr als fünf Prozent davor.
Aber trotzdem ist eine Umkehrung des Globalisierungstrends nicht zu erkennen. Denn selbst wenn die Raten sinken, bleiben es doch Zuwächse, was auf eine weitere Vertiefung der Verflechtung und damit der gegenseitigen Abhängigkeiten und Beeinflussungen zwischen den Volkswirtschaften hindeutet. Zwar erscheint es so, als hätte der Enthusiasmus zum weiteren Abbau von Handelsschranken im internationalen Maßstab nachgelassen, aber in einigen Weltregionen lassen sich nach wie vor starke Bestrebungen zu weiterer Förderung des internationalen Austausches feststellen, wie man nicht zuletzt an den Verhandlungen über eine transatlantisches Freihandelszone ablesen kann. Allenfalls kann man aus Freihandelssicht monieren, dass die großen Handelsblöcke, die sich abzeichnen, in der Gefahr sind, sich gegeneinander abzugrenzen.
Herausforderungen für Schwellenländer
Was sich ändert, sind die Herausforderungen und das zur Abwechslung einmal auf Seiten der Emerging Markets. Hatten in der Vergangenheit eher die Industrieländer Schwierigkeiten mit dem Strukturwandel, der bei ihnen durch das Erscheinen neuer Produzenten und Märkte auf der weltwirtschaftlichen Bühne aufgezwungen wurde, so sind es nun diese Newcomer, die Korrekturen am bisherigen Geschäftsmodell vornehmen müssen. In vielen der aufstrebenden Volkswirtschaften sind die am tiefsten hängenden Früchte langsam abgeerntet.
Der Aufbau von Industrieproduktion durch den Wechsel von Beschäftigten aus der Landwirtschaft in die Fabriken der Städte kann nicht mehr im gleichen Tempo weitergehen. Denn zum einen ist diese Entwicklung bereits weit vorangeschritten; in China arbeiteten in den 70er Jahren noch mehr als 70 Prozent der Beschäftigen im landwirtschaftlichen Sektor, heute sind es nur noch etwa ein Drittel. Zum anderen muss die Weltwirtschaft auch erst einmal die damit in den vergangenen Jahrzehnten verbundenen Ungleichgewichte abarbeiten. Die alten Abnehmer dieser billigen Industrieprodukte stehen damit nicht mehr zur Verfügung.
Eine Umorientierung hin zu binnenwirtschaftlicher Nachfrage, die Entwicklung höherwertiger Industrieproduktion, der Aufbau von Dienstleistungssektoren einschließlich von Finanzmärkten und das ganze bei politischer und finanzieller Stabilität – das sind die neuen Herausforderungen für die ehemaligen Schwellenländer nach dem Übertreten der Schwelle. Dieses Aufgabenheft zeigt auch, dass wirtschaftliche Entwicklung nie zu Ende ist, sondern in einem fortwährenden Prozess von Aufbau und Abbau wirtschaftlicher Strukturen besteht.
Gewicht der asiatischen Länder nimmt zu
Mit diesen Aufgaben und einer langsamen Reifung der aufstrebenden Volkswirtschaften gehen niedrigere Wachstumsraten einher als wir sie in der Vergangenheit gewohnt waren. Auch veritable Krisen werden wir in einzelnen Ländern erleben. Aber ein Abgesang auf den generellen Trend, dass sich der wirtschaftliche Schwerpunkt der Weltwirtschaft langsam in die bevölkerungsreichen Länder verlagert, ist nicht auszumachen.
Bei ausreichender Größe bedeuten auch geringere Wachstumsraten enorme absolute Zuwächse. So nimmt etwa der Wachstumsbeitrag der asiatischen Emerging Markets für die Weltwirtschaft trotz nachlassender Wachstumsraten noch weiter zu. Globalisierung bleibt ein Megatrend, nicht zuletzt, weil dieser Trend durch immer neue technische Hilfsmittel zur Überwindung von räumlichen Distanzen für Menschen, Güter, Informationen und Kapital stetig neu angefüttert wird.