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Kommentar General Electric: eine Abwicklung mit Ansage

Das Logo von General Electric an der Fassade der Konzernzentrale in Cincinnati steht für einen 126 Jahre alten Industrieriesen. Der angekündigte Umbau kommt einer Zerschlagung gleich.
Das Logo von General Electric an der Fassade der Konzernzentrale in Cincinnati steht für einen 126 Jahre alten Industrieriesen. Der angekündigte Umbau kommt einer Zerschlagung gleich.
© Getty Images
Die US-Ikone ist in Wahrheit ein als Industriekonzern verkleideter Hedgefonds. Die Zerschlagung begann bereits während der Finanzkrise vor zehn Jahren. Andy Kessler über den Abstieg von General Electric

Als General Electric aus dem US-Leitindex Dow Jones Industrial Average flog, blieb nur die Frage: Warum erst jetzt? Natürlich wurde der Siemens-Rivale von der Wall Street verehrt. Investoren redeten sich gegenseitig ein, dass GE ein Prozent der US-Wirtschaft ausmache. Wie es dem Unternehmen ergehe, so auch den USA. Aber seit dem Höchststand der Aktie im Jahr 2000 war GE im Grunde ein gescheiterter Industrieriese. Unter dem Deckmantel seiner Finanzsparte GE Capital war diese blanke Wahrheit nur schwer zu erkennen.

Als mein Verleger HarperCollins ein Buch des ehemaligen Konzernchefs Jack Welch und seiner Frau ankündigte, rief ich ihn in vorgetäuschter Überraschung an und beschwerte mich: „Ich dachte, ICH wäre Euer Mann für Hedgefonds?“ Er hat es nicht verstanden, und ich erklärte ihm, er könne Turbinen und Lokomotiven getrost vergessen. Denn GE sei im Grunde ein riesiger Hedgefonds – eine Wette auf seine Finanzsparte, die den halben Konzerngewinn beisteuert.

Mit seiner jahrzehntelangen Erfolgsbilanz spielte Jack Welch die Wall Street wie eine Geige. Sein Finanzvorstand Dennis Dammerman sagte „Fortune“ 1997: „Wir haben viele verschiedene Sparten. Wenn man sie zusammenzählt, sichern sie eine konsistente verlässliche Rendite.“ Die Wall Street nahm ihm das ab. Ein Kollege hat mir berichtet, wie Welch die Analysten vorführte: „Ihr sagt, dass wir unsere Gewinnerwartungen in diesem oder jenem Quartal vielleicht nicht erreichen werden. Aber halt! Warum notiert Ihr euch das jetzt? Ich sage Euch, was Ihr zu schreiben habt, und nur was ich sage, zählt: nämlich, dass wir ein stetiges Gewinnwachstum erzielen.“

Der Honigtopf ging in der Finanzkrise zu Bruch

Dammerman gab auch zu, dass er große Gewinne in sich anbietende Umbauten stecken würde. Ich habe es beobachtet, als ich in Technologieunternehmen investierte und GE Capital daher kam und große Schecks ausstellte. Es ist ein alter Buchhaltertrick – die einen nennen es Honigtopf, die anderen Keksdose. Sobald die Investitionen an die Börse gingen, konnte GE Anteile gezielt dann verkaufen, wenn es zusätzliche Gewinne zum Ausgleich eines Fehlbetrags an anderer Stelle brauchte.

Ab Ende 2001 führte Jeffrey Immelt das Welchs Erbe fort. Unter seiner Regie wuchs das Vermögen von GE Capital auf über 500 Mrd. Dollar für ein global expandierendes Geflecht von Krediten, Leasing, Factoring, Beteiligungsfinanzierung und Versicherungen. Für Führungsfiguren gleich welcher Branche hatte Welch gern den Ratschlag parat: Sei Nummer eins oder zwei, oder verschwinde. Sein Hedgefonds hat das nicht überlebt. In der Finanzkrise 2008/09 ging der Honigtopf zu Bruch. GE musste sich sogar 3 Mrd. Dollar von Warren Buffett holen, um kurzfristige Verpflichtungen zu erfüllen.

Seitdem haben Immelt und der Mischkonzern diesen Hedgefonds allmählich aufgelöst. Die Finanzaufsicht rügte 2009 und noch Anfang dieses Jahres die Rechnungslegung von GE. Als Anleger das Spiel durchschauten, nahm der Ausverkauf der GE-Aktien seinen Lauf. Es wurde schwerer , Kapital zu erhöhen. Das ist, was Märkte tun.

Bis 2015 ging es mit der Abwicklung von GE Capital recht schnell voran. Gewerbliche Kredite gingen an Wells Fargo, Immobilienschulden an Blackstone. John Flannery folgte vergangenen Sommer auf Konzernchef Immelt. Im Januar 2018 gab die Ikone 10 Mrd. Dollar Verlust bekannt, davon 6,2 Mrd. Dollar zur Stützung seines Versicherungsgeschäfts, und kündigte an, für 20 Mrd. Dollar Vermögen zu versilbern. Es ist immer noch ein tolles Unternehmen, aber die Abwicklung geht weiter.

Raus aus dem Dow: Wen kümmert es?

Was den Dow Jones angeht, so ist ein Index nicht die ganze Wirtschaft. General Electric war das letzte Gründungsmitglied – zu denen seinerzeit auch die American Cotton Oil Company und die Distilling & Cattle Feeding Company gehörten. Die Dinge verändern sich, erst langsam, dann rapide. Die USA sind kein industrielles Kraftzentrum mehr. Aber wen schert das noch? Anleger sind mehr auf Gewinne aus als auf Erträge. Und in den USA wichen große margenschwache Unternehmen margenstarken Geldmaschinen.

Nebenbei bemerkt: Es wird ja auch viel darüber geredet, die Tech-Giganten zu zerschlagen: Amazon müsse sein Cloud-Geschäft ausgliedern, Apple in eine Hardware- und Softwarefirma aufgespaltet werden, Facebook sich von Whatsapp trennen. Und Google, nun ja, es solle freiwillig sein Werbegeschäft zurückfahren.

Wie einst GE stehen Apple und Amazon für jeweils rund ein Prozent der US-Wirtschaft. Aber nur Apple ist im Dow. Ich gehe jede Wette ein, dass in wenigstens zehn und höchtens 20 Jahren auch diese Unternehmen nicht mehr die Platzhirsche sein werden, die sie heute sind. Ich kann die Keime der Zerstörung bei Apple, Amazon, Google und Facebook bereits erkennen. Wir brauchen die Giganten gar nicht zu zerschlagen, der Markt wird es selber richten. Fragen Sie einfach GE.

Copyright The Wall Street Journal 2018

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