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Gaza-Krieg Ibrahim al-Organi – der Strippenzieher vom Sinai

Der 50-jährige Ibrahim al-Organi hat das Firmenimperium aufgebaut. 
Der 50-jährige Ibrahim al-Organi hat das Firmenimperium aufgebaut. 
© PR Organi Group Website
Mit dem Segen der ägyptischen Regierung dominiert der Geschäftsmann Ibrahim al-Organi vom Sinai aus den Handel mit Gaza – nun übernimmt er auch noch eine Sicherheitsmission in der Krisenregion 

Vor 14 Jahren saß Ibrahim al-Organi in einem ägyptischen Gefängnis. Die Regierung schlug Stammesproteste auf dem unruhigen Sinai nieder, und er war einer der Beduinen, die im Zuge dieser Aktion inhaftiert wurden. Heute ist der Mann einer der Lieblingsunternehmer des Regimes in Kairo. Er leitet ein Geschäftsimperium, das vom Wohnungsbau bis zur Gesundheitsbranche reicht – und das als zuverlässiger Partner der Regierung von Präsident Abdel Fattah al-Sisi floriert.

Organi verfügt über besondere Verbindungen zur ägyptischen Militär- und Sicherheitselite – und parallel über einen besonderen Einfluss auf dem Sinai und im benachbarten Gazastreifen. Seit Jahren führt kein Weg an einer Zusammenarbeit mit Organis Unternehmen vorbei, wenn Güter über die ägyptische Grenze in die Enklave transportiert werden müssen.

Ein Jahrzehnt lang konnte er diese Rolle weitgehend unbemerkt ausbauen. Doch seit dem Terrorangriff der radikalislamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober vorigen Jahres rückten Organis Geschäfte ins Rampenlicht: nicht zuletzt wegen der gewaltigen Summen, die seine Firma Hala verdiente, indem sie verzweifelten Menschen aus dem Gazastreifen zur Flucht verhalf.

„Sie kassieren Millionen und Abermillionen von Menschen, die aus Gaza fliehen wollen, und ... sie verlangen erhebliche Gebühren für die Absicherung von Transporten nach Gaza“, sagt ein Geschäftsmann aus Gaza. „Er ist der Big Boss.“

Als „Tourismus“-Unternehmen, das Reisen zwischen Ägypten und Gaza ermöglicht, bot Hala den Palästinensern einen wichtigen Fluchtweg. Doch die sichere Passage durch den von ägyptischer Seite geschlossenen Grenzübergang von Rafah hatte einen stolzen Preis: Um die 5000 Dollar für einen Erwachsenen und 2500 Dollar für ein Kind unter 16 Jahren, berichten Palästinenser.

Andere Subunternehmen der Organi-Gruppe haben in den vergangenen zehn Jahren ein Quasi-Monopol aufgebaut, wenn es um die Lieferung von Waren jeder Art in den abgeriegelten Gazastreifen über den Grenzübergang Rafah geht – inklusive humanitärer Hilfstransporte. Rafah war bis vor einem Monat die einzige Grenze zu Gaza, die nicht von Israel kontrolliert wurde.

Mit der israelischen Offensive auf Rafah wurde der Übergang auf unbestimmte Zeit geschlossen. Lieferungen kamen zum Erliegen und Organis' Geschäfte erlitten dadurch einen herben Dämpfer. Vor allem aber hat die Offensive das Sisi-Regime verärgert und seinen Einfluss in Gaza geschwächt, zumal es befürchtet, dass der Krieg über die Grenze schwappen könnte.

Union der Arabischen Stämme

Organi ist Anführer der Tarabin, des größten Stammes auf dem Sinai, und kündigte als solcher im vergangenen Monat die Gründung einer „Union der Arabischen Stämme“ an – als Zeichen, dass er die Befürchtungen Kairos teilt. Die Stammes-Union soll in Sicherheitsfragen „Seite an Seite mit dem ägyptischen Staat" arbeiten.

Experten werten diese Partnerschaft als Indiz dafür, wie groß die Verunsicherung in Kairo tatsächlich ist: Aus Furcht, dass die israelische Offensive die Palästinenser nach Ägypten treiben könnte, sucht die Regierung den Schulterschluss mit Beduinen – einst nomadische Stämme, die den Sinai bewohnen.

„Das geschieht ganz klar mit Blick auf Rafah und die seit Jahren bestehenden Ängste vor einer Abwanderung [der Bewohner von Gaza]“, sagt Michael Hanna von der Organisation Crisis Group. Mit Erfolg wandte sich Sisis Militärregierung an einen gewohnt zuverlässigen Stammesführer – Organi. „Er ist nun in die Position eines Vermittlers für den Staat aufgestiegen und zu einem Bindeglied zur Staatsgewalt im Sinai", ergänzt Hanna.

Personen mit ausländischen Pässen konnten im November 2023 den Grenzposten Rafah passieren. 
Personen mit ausländischen Pässen konnten im November 2023 den Grenzposten Rafah passieren. 
© Xinhua Khaled Omar / IMAGO

Organis Rolle – sowohl auf dem Sinai als auch im Gazastreifen – gewährt einen Einblick in die Machtdynamik unter dem ehemaligen Militärchef Sisi, der keinerlei Dissens duldet, der Privatwirtschaft misstraut und die Stellung der Armee innerhalb von Staat und Wirtschaft weiter gestärkt hat.

Nichts geht ohne Sisi

Ohne den Segen des ägyptischen Regimes wäre es Hala daher unmöglich, im Gazastreifen so präsent aufzutreten. Gleiches gelte für die zahllosen anderen Operationen der Organi-Gruppe auf der Sinai-Halbinsel, sagen Beobachter. „Wie man im Sinai sagt, kann hier ohne militärische Erlaubnis niemand atmen oder furzen“, sagt Mohannad Sabry, ein in Großbritannien lebender ägyptischer Journalist und Autor von „Sinai: Egypt's Linchpin, Gaza's Lifeline, Israel's Nightmare“.

Die politische Ökonomie unter Sisi „bedeutet, dass fast niemand eine wichtige Rolle in der Wirtschaft spielen kann, ohne mit dem Regime zu kooperieren und in einer gewissen Abhängigkeit zu ihm zu stehen“, sagt Timothy Kaldas, Stellvertretender Direktor des Tahrir Institute for Middle East Policy. „Das gilt umso mehr für den Sinai, weil er so bedeutsam für den Sicherheitsapparat ist“, fügt Kaldas hinzu. „Nimmt man noch das Ausmaß des Schmuggels und anderer illegaler Machenschaften auf dem Sinai hinzu, dann ist es umso wahrscheinlicher, dass jeder, der in größerem Umfang Geschäfte macht, mit den unterschiedlichen Machtzentren kollaborieren muss.“

Die Organisation Human Rights Watch führte 2022 zwei Quellen an, wonach Organis „Tourismus“-Unternehmen Hala enge Verbindungen zum ägyptischen Sicherheitsapparat unterhält und größtenteils ehemalige ägyptische Militäroffiziere beschäftigt. Somit sei das Unternehmen in der Lage, Abfertigungszeiten und Warteschleifen an den Kontrollposten zu verkürzen. Die Organi Group reagierte nicht auf eine Bitte um Stellungnahme per E-Mail. Eine auf ihrer Website angegebene Telefonnummer funktioniert nicht.

Preise für Ausreise gestiegen

Vor dem 7. Oktober war es für Ausreisen aus Gaza vor allem eine Frage der Geschwindigkeit: Wohlhabendere Einwohner konnten für etwa 700 Dollar pro Person den Fast-Track-Service von Hala in Anspruch nehmen, um über Rafah nach Ägypten zu gelangen, berichten Palästinenser – statt sich monatelang um Genehmigungen des von der Hamas kontrollierten Innenministeriums zu bemühen. Die Preise sind jedoch sprunghaft gestiegen, seitdem Israel seine Offensive zur Belagerung des Gazastreifens gestartet hat.

Als der ägyptische Außenminister Sameh Shoukry im März gefragt wurde, ob die Regierung es billige, dass Hala nun 5000 Dollar für die Ausreise von Palästinensern aus dem Gazastreifen verlange, antwortete er: „Auf keinen Fall.“ Dem Fernsehsender Sky News sagte Shoukry: „Wir werden alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um das vollständig zu unterbinden.“ Wochen später gab es das Angebot von Hala aber immer noch.

Über Organi selbst sind nur wenige persönliche Informationen bekannt. Sein Aufstieg geht zurück auf die Machtergreifung Sisis durch den vom Volk unterstützten Staatsstreich im Jahr 2013. Dieser fiel zeitlich zusammen mit der Ausbreitung islamistischer Extremisten im Hinterhof der Beduinen – dem Nordsinai.

Im Bund mit Sisi gegen Dschihadisten

Sisi versprach nach seinem Amtsantritt, die Sicherheit wiederherzustellen – und der Sinai, der lange Zeit ein Paradies für Schmuggler und Banditen war, zählte dabei zu seinen Prioritäten. Besonders der Nordsinai wurde Zentrum eskalierender Angriffe der islamistischen Aufständischen, die im Chaos des Volksaufstandes von 2011, bei dem der langjährige Präsident Hosni Mubarak gestürzt wurde, Fuß gefasst hatten. Sie nahmen häufig Polizei und Soldaten ins Visier.

2014 schlossen sich die Kämpfer dem dschihadistischen Netzwerk Isis an. Sisi holte sich Unterstützung bei den Beduinen, indem er Organi zum Anführer der Stammesmiliz „Union der Stämme des Sinai“ machte. Milizionäre bombardierten 2015 ein Haus, das Organi gehörte, und beschuldigten ihn, ein Informant der Armee zu sein.

In einem Interview mit dem ägyptischen Fernsehen sprach Organi in jenem Jahr über die Rolle der Stammesallianz im Kampf gegen Isis: „Diese Menschen werden aufwachen und unsere Schuhe auf ihren Köpfen spüren.“ Und er fuhr fort: „Wir werden nicht eher ruhen, bis es zum Letzten kommt.“ Alles, im Sinai geschehe zudem „unter der Aufsicht der Streitkräfte“.

In diese Zeit fiel auch der Beginn von Organisis Warentransporten nach Gaza. Gegenüber staatlichen Medien erklärte er im Dezember 2014, sein Unternehmen habe hunderte Tonnen Asphalt und tausende Liter Treibstoff über Rafah geliefert. Das war vier Monate nach dem sechswöchigen Krieg zwischen Israel und der Hamas, als der Gazastreifen dringend auf Materialien für den Wiederaufbau angewiesen war.

Der Mann für den Sinai 

Sabry zufolge verfügte Organi unmittelbar nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis über Verbindungen zum Sicherheitsapparat. Nach der Machtübernahme Sisis war Organi in „alles im Sinai“ verwickelt. „Nach dem Krieg 2014 [in Gaza] ­… wurde die Landkarte neu gezeichnet, und in dieser neuen Landkarte zeigte sich jener Organi, den wir heute kennen; der Mann, der die Milizen organisierte und finanzierte, die im Auftrag des Militärs im Sinai unterwegs waren; der Mann, der geschäftlich die Nummer eins für alles ist, was im Sinai passiert."

Eine lange Warteschlange von Lastwagen formiert sich im April auf dem Weg nach Gaza.
Eine lange Warteschlange von Lastwagen formiert sich im April auf dem Weg nach Gaza.
© REUTERS/Mohamed Abd El Ghany/File Photo

Im Laufe der Jahre wuchs sein Geschäft, so dass „alles, was über Rafah lief, über ihn lief“, sagt der palästinensische Unternehmer. „Ich muss mit seinen Leuten sprechen, damit ich meine Waren über Rafah liefern kann.“

Nicht nur der Gaza-Handel expandierte. Ein Werbespot der Organi-Gruppe auf Youtube vermittelt einen Eindruck von dem weit verzweigten ägyptischen Teil des Netzwerks. Darin werden ein Sicherheitsunternehmen mit 25.000 Beschäftigten, 17 Krankenhäuser, Hotels, ein Autohaus, Bauunternehmen, Produktionsstätten und eine wohltätige Stiftung aufgeführt. „Was auch immer gesagt wird, nichts wird uns aufhalten“, prahlt die Werbung auf Arabisch. „Unser Ziel liegt vor uns und gemeinsam werden wir es erreichen. Die Organi-Gruppe, das größte Wirtschaftsunternehmen in der Neuen Republik [Ägypten].“

Das Unternehmensnetz der Organi-Gruppe ist seit einiger Zeit sehr stark mit dem Staat verknüpft. Im Jahr 2014 wurde Organi in der ägyptischen Presse mit der Aussage zitiert, dass das Militär, das unter Sisis Herrschaft zu einer dominierenden Kraft in der Wirtschaft geworden ist, 51 Prozent von Misr Sinai besitze, einem Tochterunternehmen der Gruppe, das Marmor abbaut.

Vor zwei Jahren berief Sisi Organi in den Vorstand der staatlichen Entwicklungsbehörde für den Sinai. Sie wird vom Militär beherrscht und ist zuständig für Entwicklungsprojekte auf der Halbinsel, in die nach Regierungsangaben seit der Machtübernahme Sisis mindestens 600 Mrd. Pfund (12,8 Mrd. Dollar) investiert wurden.

Was soll die neue Stammesallianz?

Unklar ist bislang, was Organis künftige Rolle als Chef der jüngst neu gegründeten Stammesallianz mit sich bringen wird. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass er sich weiter auf der ägyptischen Seite der Grenze zum Gazastreifen engagieren wird, selbst wenn der Grenzübergang von Rafah geschlossen bleibt.

Sabry sagte, er sehe keine Anzeichen dafür, dass das Militär wieder Milizen aufbauen wolle, vielmehr gebe es wahrscheinlich den Versuch, „ein lokal gewachsenes, breites Netzwerk von Spionen und Informanten zu organisieren“, um die Ereignisse auf der Sinai-Seite der Grenze zu Gaza zu überwachen.

Mostafa Bakry, Sprecher der Allianz, sagte, die Allianz werde nicht bewaffnet sein und fügte hinzu, dass die Waffen der vorherigen Stammesunion vor drei Jahren eingezogen worden seien. Gegenüber einem saudischen Fernsehsender erklärte er jedoch, dass das Bündnis „zu einem sehr wichtigen Zeitpunkt“ entstehe. „Wir sind von einem Ring aus Feuer umgeben“, sagte Bakry. „Wir sehen uns mit einer Verdrängungsaktion konfrontiert, und der Präsident war von Anfang an sehr deutlich. Wir werden die Vertreibung [der Bewohner des Gazastreifens] nicht dulden.“

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