Es war einmal ein Mann, der hatte das erreicht, wovon die SPD so sehr träumte. Im Mai 2012 brachte Francois Hollande die Sozialisten in Frankreich zurück an die Macht. Fast schon spielerisch gewann er die Präsidentenwahl; geschlagen zog der konservative Kandidat Nicolas Sarkozy von dannen. Neidvoll blickten die Genossen in Berlin nach Paris. Was hat der, was wir nicht haben? Gerne wollte man ein bisschen von der Aura profitieren. Weil keiner dem anderen den Vortritt lassen wollte, reiste im Frühsommer gleich die ganze SPD-Troika zur Visite in den Elysee-Palast: Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück gaben dafür sogar das Fußballspiel Deutschland-Niederlande dran. Der Sieg des Linken in Frankreich sollte zum Auftakt einer Renaissance der Sozialdemokratie in Europa werden, hofften sie.
Genutzt hat den Sozialdemokraten der Handschlag des französischen Siegers nichts. Steinbrück und Genossen verloren die Bundestagswahl. Nur huckepack schaffte die SPD es am Ende dann doch noch in die neue Regierung von Angela Merkel.
Ungefähr zur gleichen Zeit aber entpuppte sich der Sieger von damals als Verlierer. Nicht einmal zwei Jahre nach seinem Amtsantritt hat Hollande seinen Bonus verspielt. Die Umfragewerte sind dahin geschmolzen. Die Franzosen haben den Präsidenten über.
Dabei hat der Sozialist nichts anderes geliefert, als er vor der Wahl versprochen hatte: Mehr soziale Gerechtigkeit. Umverteilung. Als Präsident ging er daran, das dezidiert linke Wahlprogramm in Realpolitik umzusetzen: Das Rentenalter für langjährige Beschäftigte senkte er auf 60 Jahre, den Spitzensteuersatz für Reiche erhöhte er auf 75 Prozent.
Doch es stellte sich heraus, dass die Franzosen etwas ganz anderes wollen: Arbeitsplätze, Wirtschaftswachstum, Wohlstand. Nun hat Hollande die ideologische Kehrtwende vollzogen. Maßstab der Politik soll nun sein, was der Wirtschaft nutzt.
Verteilen, als gäbe es kein morgen
Für die deutsche SPD ist diese Lektion wichtiger als die des vergangenen Sieges. Auch sie ist daran gegangen, ihre Wahlversprechen umzusetzen. Andrea Nahles, die neue Arbeitsministerin, macht Oppositionspolitik in der Regierung: Verteilen, als gäbe es kein morgen. Rente, Mindestlohn, Arbeitszeit – alle Vorhaben stehen unter dem Vorzeichen, eine gefühlte soziale Ungerechtigkeit zu korrigieren. Ihre Amtszeit begann sie mit dem Versprechen, den „Anwesenheitswahn“ in den Unternehmen zu bekämpfen. Die Folgen für die Unternehmen selbst sind in dieser Betrachtung eine zu vernachlässigende Restgröße.
Doch schon zeigt sich, dass die Praxis anders funktioniert als die Theorie. „Mindestlohn für alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ohne Ausnahmen“, hat Nahles versprochen. Das aber könnte dafür sorgen, dass Jugendliche lieber arbeiten als zu lernen. So viel zur Bildungsoffensive. Und geht es nach den Vorgaben von Nahles wird die Rentenreform zur neuen Frühverrentungsoffensive zu werden.
Pragmatismus statt Klassenkampf
Dabei zeigt sich, dass die Wähler schon weiter sind. Die Zustimmung zur Rentenreform bröckelt allmählich. Am Ende könnte es der SPD ergehen wie den Genossen in Frankreich.
Doch SPD-Chef und Vizekanzler Gabriel scheint die Gefahr erkannt zu haben: Der neue Wirtschaftsminister ist bereits im Amt angekommen. Nicht nur verteidigt er einen Rüstungsdeal mit Saudi-Arabien und ein umstrittenes Freihandelsabkommen mit den USA. Der Wirtschaft signalisiert er Pragmatismus statt Klassenkampf. Seine Energiereform steht unter der Maßgabe, die ausufernde Subventionierung Erneuerbarer zu bremsen – eine Kampfansage an Unternehmen ist sie sicher nicht. Stattdessen setzt sich der neue Minister in Brüssel so sehr für die Interessen der deutschen Wirtschaft ein wie der alte.
Ob daraus am Ende wirklich eine moderne statt einer linken Wirtschaftspolitik wird, ist nicht ausgemacht. Noch hält sich Gabriel die Option offen: Hollande I oder Hollande II. In Frankreich wird man das mit großen Interesse verfolgen.
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