Die Bundesregierung will das Fernwärmeangebot in Deutschland massiv ausbauen. Mittelfristig sollen jährlich mindestens 100.000 Gebäude neu an Wärmenetze angeschlossen werden. Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern müssen künftig eine „Wärmeplanung“ vorlegen, die darstellt, durch welche Straßen künftig Fernwärmeleitungen, aber auch Strom- und Gasleitungen verlaufen werden.
Das klingt einfach und zielführend, zumal ein Fernwärmeanschluss den Komfort der Verbraucher erhöht und ihnen den Kauf einer eigenen Heizungsanlage erspart. Der Beschluss hat nur einen Haken: Bei den heutigen Versorgungsstrukturen stellt der Staat den Fernwärmeanbietern eine Lizenz zum Abzocken aus. Denn deren Netze, durch die das heiße Wasser in die Haushalte fließt, sind natürliche Monopole. Die Betreiber, meist Stadtwerke, haben völlig freie Hand bei der Preisgestaltung. Sie können Kunden ausquetschen, bis sie quieken. Es gibt keinerlei Wettbewerb wie bei Strom und Gas, wo jeder Netzbetreiber verpflichtet ist, auch die Energie anderer, billigerer Wettbewerber zum Kunden durchzuleiten. Die Stadtwerke verlangen sogar eine Anschlusspflicht: Wo Fernwärmenetze liegen, sollen Anwohner Fernwärme beziehen müssen.
Laut Kartellamt sind die Nutzer „gefangene Kunden“
Dieser Nachteil schlägt sich schmerzlich in den Abrechnungen der Fernwärmenetze nieder. Die Nutzer seien „gefangene Kunden“, heißt es beim Kartellamt. Laut Verbraucherzentrale kostet eine Kilowattstunde Fernwärme im Durchschnitt 16 Cent. Gas ist derzeit für 8,9 Cent pro Kilowattstunde zu haben – Tendenz erst einmal fallend. Wer also in einer 100 Quadratmeter großen Wohnung lebt, muss fürs Heizen fast 1000 Euro im Jahr mehr überweisen als ein Mieter mit einer Gastherme.
Dass Deutschland bei der Fernwärme nicht längst wettbewerbsfreundlicher aufgestellt ist, geht auch auf das Konto von SPD und Grünen. Sie haben es in der Vergangenheit in verschiedenen Regierungskonstellationen verpasst, einen freien Markt aufzubauen und zuzulassen. Dabei war das Land schon einmal auf einem vielversprechenden Weg. Man denke nur an die Bioenergiedörfer, die bis vor rund zehn Jahren von der Politik wie Heilsbringer gefeiert wurden. Engagierte Bürger, allen voran Landwirte, bauten reihenweise Biomassekraftwerke, die auch Wärme produzierten. Dorfbewohner verbuddelten Heißwasserleitungen in ihren Straßen, um Wohnhäuser, Schulen, Rathäuser und Kirchen mit ihren eigene Kraftwerken zu beheizen. Nicht selten waren die Wärmeselbstversorger genossenschaftlich organisiert, sie profitierten also doppelt von ihrem Engagement: durch grüne Wärme und ihre Anteile am Unternehmensgewinn.
Dann kippte die Lage. Plötzlich waren die Biomassekraftwerke nicht mehr opportun. Eine Antistimmung breitete sich aus, die Meinung setzte sich durch, die Anlagen seien weder ökonomisch noch ökologisch vertretbar; es gebe viel zu viele Energiepflanzen auf deutschen Äckern und zu wenig Nahrungsmittel („Deutschland vermaist!“). Auffällig oft vertraten Betreiber von lokalen Gas- und Stromnetzen, die auch meist den Kommunen gehören, diese Meinung. Ihnen wurden die neuen, privaten Wettbewerber im angestammten Geschäftsfeld lästig, denn es drohte eine ihrer sichersten Geldquellen zu versiegen: das Netzentgelt. Für jede durchgeleitete Kilowattstunde Gas und Strom streichen sie, staatlich garantiert, eine üppige Gebühr ein. Ihre Stadtsäckl füllen sich auf diese Weise mühelos.
Die Wärmewende muss demokratisch stattfinden
Die Dauerkritik wirkte. Die Große Koalition strich die Förderung von Biomassekraft und -heizwerken massiv zusammen, viele Betreiber gaben auf. Zuletzt sorgten die Grünen dafür, dass eigentlich nur noch sehr große Biokraftwerke wirtschaftlich funktionieren, die ihr erzeugtes Biogas zu Methan veredeln und es in die deutschen Gasnetze einspeisen.
Keine Frage, der Förderung von Biogasanlagen nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz fehlte lange Zeit das Augenmaß; sie war zu hoch und musste neu eingestellt werden. Auch muss erst einmal klar definiert werden, wieviel seiner nachwachsenden Rohstoffen Deutschland zum Heizen einsetzen kann, was ein schwieriges Unterfangen und bis heute nicht gelungen ist. Aber all das darf nicht verhindern, dass die Wärmewende demokratisch stattfindet. Die Bundesnetzagentur und das Kartellamt müssen Instrumente entwickeln, um die Preise der Fernwärmeanbieter in Schach zu halten. Vielleicht kann es sogar auch eine Durchleitungspflicht für Wettbewerber geben, etwa wenn Großindustrien oder Müllverbrenner mit ihrer Abwärme selbst als Anbieter auf den Fernwärmemarkt drängen.
Fernwärme bleibt nur die zweitbeste Lösung
Dringend muss der Staat zudem neue Anreize und Förderwege ausarbeiten, um ländliche Räume wieder in Schwung und Kreativität zu bringen. Knapp ein Viertel der Deutschen lebt in Orten unter 10.000 Einwohner. Vor allem hier lauert großes Potential für eine nachhaltige Nah- und Fernwärmeversorgung. An deren Erzeugung könnten sich die Bürger zunehmend finanziell beteiligen – wie bei Bürgerwindparks. Dabei müssen sie nicht zwingend auf Biogaskraftwerke setzen. Immer häufiger kommen auch Großwärmepumpen zum Einsatz. Die funktionieren sogar in Großstädten, wie Stockholm beweist. Mit Hilfe hocheffizienter Großanlagen ist die Fernwärmeversorgung der Stadt zu 98 Prozent nachhaltig geworden. Solche Kraftwerke entstehen allerdings nicht von heute auf morgen. Doch ohne klare Rahmenbedingungen machen mögliche Investoren in Deutschland ganz sicher keinen Cent locker.
Es muss aber auch klar sein: Fernwärme bleibt nur die zweitbeste Lösung. 70 Prozent stammt heute aus fossilen Energieträgern, vor allem aus Gas und Steinkohle, nur 30 Prozent aus Abfall, Biomasse, Geothermie und anderen erneuerbaren Quellen. Diese Verhältnisse lassen sich, trotz aller politischer Bekenntnisse, auf absehbare Zeit nicht einfach umkehren. Die erste Wahl für warme Stuben sollte daher die private Wärmepumpe bleiben. Denn sie ist nicht nur sehr klimafreundlich, sondern auch demokratisch. Man kann sie kostenlos mit eigenem Sonnenstrom betreiben, so vorhanden. Selbst wer keine PV-Anlage sein Eigen nennt und den nötigen Betriebsstrom am freien Markt einkaufen muss, ist derzeit mit nicht einmal acht Cent pro Kilowattstunde Wärme am günstigsten dran.
Der Beitrag ist zuerst bei stern.de erschienen