Elon Musk pflegt eine stürmische Hassliebe zum Kurznachrichtendient Twitter. Mal lässt der Tech-Unternehmer seine rund 80 Millionen Follower wissen, der Dienst sei „ätzend“ und beschwert sich über das „düstere“ Diskussionsklima. Nur um dann wenig später wieder mit einem Stakkato an Posts über seine innersten Gedanken, Produktankündigungen und Internet-Witzen zurückzukehren.
In den vergangenen Tagen hat Musks Beziehung zu Twitter eine neue Ebene erreicht. Der Tesla-Chef, bislang eine der einflussreichsten Persönlichkeiten auf der Plattform, wird nun auch zum einflussreichen Miteigentümer. Laut einer Pflichtmitteilung der US-Börsenaufsicht SEC hat Musk knapp 9,2 Prozent der Anteile an dem US-Konzern erworben. Zudem soll er einen Sitz im Verwaltungsrat bekommen.
Twitter-CEO Parag Agrawal bemühte sich unlängst, Musks neue Rolle als Gewinn für das Unternehmen zu verkaufen. Seine Begeisterung für und Kritik an der Plattform sei „genau das, was wir bei Twitter und im Verwaltungsrat brauchen“. Kurzum: Musk werde einen „großen Mehrwert“ stiften. Aber wird er das wirklich?
Chance für Nutzerwachstum
Elon Musk hat bei Twitter bereits erklärt, dass er sich in den kommenden Monaten aktiv in die Unternehmensstrategie einmischen will. Klar ist: Twitter kann neue Impulse gut gebrauchen. Gemessen an den Nutzerzahlen ist das soziale Netzwerk im Vergleich zu den rund zwei Milliarden täglichen Besuchern des Konkurrenten Facebook immer noch ein Zwerg. Die gesteckten Ziele, bis 2023 die täglichen Nutzer auf 315 Millionen zu steigern und gleichzeitig den Jahresumsatz auf 7,5 Mrd. US-Dollar zu verdoppeln, gelten als sehr ambitioniert. Der Nutzerzuwachs müsste dafür jährlich bei 20 Prozent liegen – aktuell steht er bei 13 Prozent.
Um ein solches Wachstum zu erreichen, braucht es Produktinnovationen und ein überzeugendes Marketing. Beides sind Disziplinen, in denen Elon Musk bekanntlich ein Meister ist. Insofern könnte sein Engagement eine Chance sein.
Sorge um Unabhängigkeit
Der Tesla-Chef hat auch schon angedeutet, an welchen Punkten er ansetzten würde, um für mehr Zulauf zu sorgen. Zum einen will er offenbar stärker gegen Bots vorgehen. Sie seien aus seiner Sicht einer der nervigsten Dinge an Twitter. Zum anderen wolle er „die Prinzipien der freien Meinungsäußerung“ wiederherstellen. Er mache sich Sorgen, dass die aus seiner Sicht „faktische Voreingenommenheit“ des Twitter-Algorithmus den öffentlichen Diskurs beeinflusse. Gemeint sind offenbar die Moderation und Löschung von Inhalten. Setzt sich Musk hier durch, würde das unter Umständen freie Bahn für Desinformation und Hatespeech bedeuten.
Musks Gestaltungswille könnte auch noch aus anderen Gründen heikel für Twitter werden. So besteht die Gefahr, dass er den Dienst zu seinem persönlichen Hobbyprojekt macht, um ihn für seine eigenen Zwecke umzuformen. Susannah Streeter, Analystin beim britischen Vermögensverwalter Hargreaves Lansdown, beobachtet etwa „eine gewisse Nervosität darüber, dass Herr Musk zu viel Einfluss auf die Führung von Twitter bekommt, um seine persönliche Marke und die seiner Unternehmen zu stärken“. Daher sei es aus Sicht der Anleger wichtig, dass das Unternehmen alle Kontrollmechanismen strikt einhalte. Andernfalls könne die Unabhängigkeit von Twitter in Frage gestellt werden, sagt Streeter. „Die Gefahr besteht, dass Nutzer dann abwandern“, so die Analystin.
Musk ist bei Twitter auf Verbündete angewiesen
Schlussendlich steht jedoch über allem die Frage, wie viel Einfluss Musk in der Praxis überhaupt ausüben kann. Der Unternehmer ist mit einem Anteil von 9,2 Prozent zwar größter Einzelaktionär. Um über die Stimmrechte effektiv Druck auf das Management auszuüben, müsste er sich allerdings für eine Mehrheit mit anderen Investoren verbünden. Auch im Verwaltungsrat ist er nur eines von zwölf Mitgliedern. Seine Vorstellungen wird er also nicht im Alleingang durchsetzen können.
Und selbst wenn Twitter-CEO Agrawal sich eng mit dem Unternehmer abstimmen wird, ist offen, ob dieser überhaupt genug Zeit hat, um sich wirklich in bedeutender Weise einzubringen. Musk lenkt als CEO die Geschäfte des Autoherstellers Tesla und des Raumfahrtunternehmens SpaceX. Nebenbei ist er zudem bei der Tunnelbohrfirma The Boring Company und dem Gehirnchip-Entwickler Neuralink involviert, an denen er die Mehrheit hält. Der Tech-Milliardär hat in der Vergangenheit häufig betont, dass er gerne noch mehr Projekte anschieben würde, ihm dazu aber schlicht die Kapazität fehle.