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Kurznachrichtendienst Elon Musk ruft die Anarchie bei Twitter aus

Mehr als 1,7 Mio. hörten dem neuen Twitter-Chef am Mittwochabend zu, was er über die Zukunft der Plattform zu sagen hatte
Mehr als 1,7 Mio. hörten dem neuen Twitter-Chef am Mittwochabend zu, was er über die Zukunft der Plattform zu sagen hatte
© IMAGO/aal.photo
Der neue Twitter-Chef Elon Musk brainstormed live über die Zukunft der Plattform – und liefert dabei mehr Fragezeichen als Antworten

Nicht einmal zwei Wochen benötigte Elon Musk, um sein neuestes Lieblingsprojekt Twitter komplett auf links zu drehen. Der ohnehin spektakulären Übernahme folgten wilde Sofortmaßnahmen: Accountsperren, Massenentlassungen sowie ein neuer blauer Haken für 8 Euro im Monat. Letztlich blieb nach zwei Wochen aber nur eines: Unsicherheit. 

Gerade für ein soziales Netzwerk wie Twitter ist Unsicherheit allerdings gefährlich. Das Geschäftsmodell ist maßgeblich auf Werbung zugeschnitten, und die Werbekunden bevorzugen ein ruhiges Umfeld – beziehungsweise eines, das weniger erratisch ist als Musk es vorlebt. „Die Kunden wollen keine Konflikte, sie wollen keine Kontroversen“, sagt Werber Martin Sorrell, Gründer der Agentur WPP. Viele Werbetreibende hielten ihre Investitionen zuletzt zurück, woraufhin Musk eine Kampagne von „Aktivistengruppen“ witterte. „Es ist ziemlicher Mist“, schrieb er daraufhin. 

Am Mittwochabend klang der neue „Chief Twit“ derweil ganz anders – viel versöhnlicher. In einem sogenannten Twitter-Space, vergleichbar mit einer digitalen Panel-Diskussion, erklärte er vor fast zwei Millionen Zuhörern seine Ideen für die Zukunft von Twitter. Zumindest versuchte er es. Denn nach Ablauf der knappen Stunde, in der Musk sich vor allem an Werbetreibende richtete, blieben mehr Fragezeichen als Antworten übrig.  

Anarchie statt Basisdemokratie

Musk beantwortete dabei zum ersten Mal öffentlich Fragen zur Zukunft der Plattform. Und offensichtlich weiß er selbst noch nicht, was er mit Twitter eigentlich anstellen soll. Selbst auf naheliegende Fragen, etwa zur Moderation von Inhalten oder zielgenaueren Werbung, antwortete er allenfalls oberflächlich – und widersprach sich dabei häufig selbst. So wolle er zwar „mehr und maximale Meinungsfreiheit“, aber an den aktuellen Regeln eigentlich auch nichts ändern. Denn: Hassrede unter einer Werbeanzeige? „Das halte ich für keine gute Idee“, sagte Musk und lachte laut. „Wir werden sehen, was passiert. Ich freue mich über eure Vorschläge“, ergänzte er und wiederholte den Aufruf mehrfach.  

Musk-Fans würden dem wohl entgegnen, dass Twitter damit basisdemokratisch werde. Doch wer dem reichsten Menschen des Planeten zuhörte, musste vielmehr den Eindruck gewinnen, dass er bei Twitter zur Anarchie aufruft. Musk trat offensichtlich ohne große strategische Orientierung an die Öffentlichkeit und kam letztlich mit noch weniger zurück. Ob seine Idee für verifizierte Accounts aufgehen wird, die monatlich 8 Dollar kosten sollen? „Keine Ahnung“, erklärte Musk, „das werden wir sehen. Und wenn nicht, nehmen wir es eben wieder zurück“.

Es verfestigte sich der Eindruck, dass Musk keinen fixen Plan, keine klare Strategie für Twitter hat. Er ruft heute dies und morgen jenes aus, testet Ideen, verwirft sie wieder –  ein bisschen so, wie man im Silicon Valley Produkte baut und Start-ups gründet. Nur dass wir hier über eines der einflussreichsten sozialen Netzwerke der Welt mit einer Viertelmilliarde Nutzer reden. 

Bei einer Sache ist sich der 51-Jährige aber sicher: Der blaue Haken für jedermann soll viele Probleme gleichzeitig lösen können. Nämlich dann, wenn wirklich jeder Nutzer die 8 Dollar zahlt. „Das wäre dann wie auf einer privaten Party. Wie oft erlebt man dort Hassrede? Klar, es gibt immer Personen, die sich schlecht benehmen. Aber die Mehrzahl ist nett und diskutiert sachlich.“ Dass sich staatliche Akteure im großen Stil verifizierte Accounts anlegen oder Personen als große Marken ausgeben könnten, hält Musk für eher unwahrscheinlich. „Dafür bräuchten sie zum einen verschiedene Rufnummern und zum anderen verschiedene Kreditkarten. Hier gibt es also natürliche Grenzen.“ Dass es aber Angriffe auf Twitter geben werde, sei klar. „Ich glaube trotzdem, dass wir damit umgehen können“, sagte Musik. 

Super-App wird konkreter

Erstaunlich konkret war Musk allerdings beim Thema Zahlungsabwicklung. Nutzer sollen sich bald Geld über die Plattform schicken können, wenn sie einen verifizierten Account besitzen. Um einen solchen Account zu erstellen, müssten Nutzer ohnehin Zahlungsdaten hinterlegen. Im nächsten Schritt könnte Twitter diese Daten dann übereinanderlegen. Auch eigene Debitkarten seien denkbar. „Ich halte das für sehr sinnvoll“, sagte Musk, der einst Paypal mitgründete. So könnten Nutzer auch ihre Lieblingsaccounts finanziell unterstützen.  

Die Aussagen sind vor allem deshalb spannend, weil sie Rückschlüsse über Musks angeblichen Pläne für eine „Super-App“ zulassen – quasi eine App für alles. Hiermit könnten Nutzer bald Produkte direkt über Twitter kaufen, wozu bislang beispielsweise eine Finanzierungslösung fehlte. Auch hierzu machte Musk Andeutungen, und nannte die Idee „spannend“. Das Wort „Super-App“ sprach er allerdings nicht aus – wie so vieles in diesem Chat. 

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