Daten der FAO zufolge steigen die Weltmarktpreise für wichtige Grundnahrungsmittel so stark wie seit mehr als zehn Jahren nicht mehr. Hilfsorganisationen schlagen Alarm, dass sich die Versorgungslage in armen Regionen gefährlich zuspitzt. Wie stellt sich die Situation auf dem globalen Nahrungsmittelmarkt aus Ihrer Sicht dar?
Peter Thoenes: Wenn wir uns die Kurve des Lebensmittelpreisindexes, der bis in die 60er-Jahre zurückreicht, anschauen, sehen wir etliche solche Anstiege - in der Regel ausgelöst durch Wetter-Schwankungen. Die letzten gab es 2007/2008 und 2011/12. Das ist also erstmal nichts Ungewöhnliches. Temporäre Preisanstiege sind unvermeidbar und letztendlich notwendig um Produktions-Anpassungen hervorzurufen. In der Regel sehen wir, dass die Produzenten auf solche Anstiege reagieren und die Produktion in der nächste Anbauperiode ausbauen. Die Preise sinken dann wieder. Gleichzeitig muss man natürlich beachten, dass auch kurzfristig steigende Lebensmittelpreise gravierende humanitäre Folgen haben können und auch jetzt wieder haben. Diesen Menschen muss in der Zwischenzeit geholfen werden.
Wie wird sich die Lage weiterentwickeln?
Ob der Markt schnell wieder ins Lot kommt oder ob sich die Situation krisenhaft zuspitzt, muss sich im aktuellen Fall noch zeigen. Beim letzten Mal funktionierte das nicht so reibungslos, der Markt war durch Eingriffe wie Exportbeschränkungen in Erzeugerländern gestört. Daher sanken die Preise nach der Krise 2007/2008 eher langsam und es kam kurz darauf zu einem erneuten Anstieg. Diesmal bin ich allerdings optimistisch. Für die anstehende Erntesaison erwarten wir bislang deutliche Produktionssteigerungen und trotz der Preisentwicklung haben nur wenige Länder Handelseinschränkungen erlassen.
Was steckt hinter dem aktuellen Preisanstieg? Hängt das wie etwa bei der Preisentwicklung anderer Rohstoffe auch mit der Corona-Krise zusammen?
Der Hauptfaktor waren wetterbedingte Produktionsrückgänge bei wichtigen Agrarrohstoffen, wie sie normal sind für diesen Markt. Dazu kam dann eine relative Schwäche des US-Dollars, der Währung, in der der globale Handel mit Weizen, Mais, Soja & Co. zumeist abgewickelt wird. Das macht noch einmal etwa 10 bis 20 Prozent Preissteigerung aus. Auch wenn Corona also nicht für den Preisanstieg ursächlich war, hat es aber schließlich die Entwicklung beschleunigt.
Inwiefern?
Zum einen hat im vergangenen Jahr die Pandemie die internationalen Lieferketten kurzzeitig gestört und zum anderen kam es zu außerordentlichen Nachfrage-Schwankungen. Obwohl sich der Handel mit Agrarprodukten erstaunlicherweise rasch normalisiert hat, ist es bei einigen Staaten, die auf Lebensmittelhandel in größerem Ausmaß angewiesen sind, zu Panikreaktionen gekommen. Dazu kam, dass die globalen Lagerbestände in den letzten Jahren stark gesunken waren. Einige Regierungen haben plötzlich in großem Stil begonnen zu kaufen, um die eigenen Lager zu füllen. Aufgrund seiner Größe und Gewicht auf dem Weltmarkt hätten wohl allein Chinas Importe ausgereicht, um die Preisentwicklung anzuheizen.
Nun liegt dieser Lieferkettenschock schon mehr als ein Jahr zurück. Die FAO rechnet mit einer Ausweitung des Angebots bei den wichtigen Lebensmitteln. Warum steigen die Preise dann immer noch?
Wir sehen, dass die Produzenten dabei sind, mehr anzubauen. Die Erntesaison 2021/22, bei der sich das auswirken wird, beginnt demnächst auf der Nordhalbkugel. Aber die weltweiten Reserven werden dadurch voraussichtlich nur teilweise wieder aufgefüllt werden, zumal die Nachfrage ebenfalls weiter steigen wird. Die Frage, ob der Höhepunkt des Preisanstiegs erreicht ist, ist also noch offen. Das hängt auch von den politischen Reaktionen ab. Bisher sehen wir aufseiten der Exporteure nur wenige und keine schwerwiegende Eingriffe in den Markt. Der globale Handel läuft – bislang – verhältnismäßig störungsfrei.
Wir haben die Krise 2007/2008 und in den darauf folgenden Jahren bereits angesprochen. Steigende Lebensmittelpreise führten zu Hunger und politischen Unruhen in vielen Ländern. Damals war viel von Reformen beim Handel mit Agrarrohstoffen die Rede. Was hat sich seitdem verändert?
Dabei ging es vor allem um die Frage, wie wir verhindern können, dass der Handel etwa durch eine Spirale aus Exportbeschränkungen und anderen Maßnahmen behindert wird. Dass große Exporteure von Weizen und Reis auf dem Höhepunkt der Krise den Export plötzlich einstellten oder drastisch einschränkten, trug wesentlich dazu bei, dass sich die Situation so zuspitzte.
Was hat die FAO dagegen unternommen?
Gemeinsam mit anderen internationalen Organisationen hat die FAO inzwischen ein Marktinformationsnetz geschaffen. Wir sind ständig mit allen wichtigen Akteuren in Kontakt, um gemeinsam aktuelle Marktbilanzen zu erstellen und zu veröffentlichen. Diese Transparenz ist ein wichtiger Schritt. Bei der angestrebten Reform der entsprechenden Regeln der Welthandelsorganisation ist hingegen ein klarer Durchbruch ausgeblieben. Man muss bedenken, dass das Thema Nahrungsmittelversorgung und -preise für die einzelnen Regierungen verständlicherweise sensibel ist.
In einigen Ländern spitzt sich die Versorgungslage bereits wieder zu. Was kann denn die Weltgemeinschaft tun, um die Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel zurückzuführen? Oder sollte sie das aus Ihrer Sicht überhaupt tun?
Nein, die Erfahrung zeigt, dass direkte Lenkungsversuche nur kurzfristig helfen, wenn überhaupt! Die Politik sollte davon Abstand nehmen, in den Marktmechanismus einzugreifen, insbesondere was Zölle angeht. Denn auch wenn sich das angesichts der humanitären Probleme im ersten Moment, irritierend anhört: Der Markt funktioniert – wenn er von direkten Eingriffen frei bleibt. Die steigenden Preise haben dazu geführt, dass die Produzenten ihr Angebot ausweiten. Ohne den Preisanreiz wäre das nicht der Fall. Dieses Spiel des Marktes müssen wir erlauben.
Warum?
Wenn nicht eingegriffen wird, ist absehbar, dass die Preise wieder sinken. Den Bevölkerungsgruppen, die unter den steigenden Preisen leiden, muss in der Zwischenzeit natürlich unbedingt geholfen werden, besonders durch gezielte Nahrungsmittelprogramme und sonstige soziale Maßnahmen. Da die meisten Betroffenen in armen Staaten leben, die dazu keine ausreichenden Mittel haben, sind auch die Geberstaaten gefragt. Eingriffe in den Markt, insbesondere kurzfristige Handelseinschränkungen, würden das Problem nur noch weiter verschärfen.
Der Beitrag ist zuerst erschienen auf ntv.de .
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