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Kommentar Eine Welt ohne Kohle

Kritik an der Kohleindustrie erfordert von Politikern Mut. Denn wer die Verbrennung fossiler Brennstoffe für den Klimawandel verantwortlich macht, legt sich mit einer mächtigen Lobby an. Von Jeffrey D. Sachs
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Jeffrey D. Sachs ist Professor für nachhaltige Entwicklung und für Gesundheitspolitik und -management und Direktor des Earth Institute an der Columbia University

Vergegenwärtigen Sie sich einmal, was weltweit in den letzten Monaten passiert ist: Die Hitzewelle in Australien hat Schlagzeilen gemacht, als das dortige Grand-Slam-Tennisturnier, die Australian Open, wegen Temperaturen von 45 Grad Celsius unterbrochen werden musste. In Kalifornien zwang die extreme Trockenheit den Gouverneur, den Notstand auszurufen. In Indonesien kamen bei schweren Überflutungen Dutzende von Menschen ums Leben, und Zehntausende verloren ihre Wohnungen. In Peking zwang der durch die Verbrennung von Kohle verursachte Smog die Menschen, in ihren Häusern zu bleiben, und führte zur Sperrung von Schnellstraßen und zur Absage von Flügen. Diese Ereignisse sind tägliche Warnungen an die Welt: Wacht auf, bevor es zu spät ist.

Wir haben das Zeitalter nachhaltiger Entwicklung erreicht. Entweder wir schließen Frieden mit unserem Planeten, oder wir werden unseren schwer erkämpften Wohlstand zerstören. Die Wahl scheint offensichtlich, aber unsere Taten sprechen deutlicher als Worte. Die Menschheit setzt, angetrieben von kurzfristiger Gier und Ignoranz, ihren Weg in den Ruin fort.

Die globale Umweltkrise beruht zu einem großen Teil (wenn auch nicht völlig) auf dem auf fossilen Brennstoffen beruhenden weltweiten Energiesystem. Mehr als 80 Prozent der gloibalen Primärenergie stammt aus Kohle, Öl und Gas. Bei der Verbrennung dieser fossilen Brennstoffe wird Kohlendioxid freigesetzt, das dann seinerseits das Erdklima verändert. Die physikalischen Grundlagen sind seit mehr als hundert Jahren bekannt.

Technologien für Kohlekraft-Ersatz gibt es

Leider verwenden einige Ölgesellschaften (am berüchtigtsten sind ExxonMobil und Koch Industries) enorme Ressourcen darauf, selbst dort Verwirrung zu stiften, wo ein klarer naturwissenschaftlicher Konsens besteht. Doch wenn wir den Planeten, so wie wir ihn kennen, retten und die weltweite Lebensmittelversorgung und das Wohl künftiger Generationen bewahren wollen, gibt es zur Umstellung auf ein neues, kohlenstoffarmes Energiesystem keine Alternative.

Die Emissionen von Kohlekraftwerken werden für den Klimawandel mitverantwortlich gemacht
Die Emissionen von Kohlekraftwerken werden für den Klimawandel mitverantwortlich gemacht
© Getty Images

Diese Umstellung umfasst drei Aspekte. Der erste ist eine Verbesserung der Energieeffizienz, was bedeutet, dass wir viel weniger Energie verbrauchen sollten, um das gleiche Maß an Lebensqualität zu erzielen. So können wir unsere Gebäude beispielsweise so konstruieren, dass sie Sonnenlicht und eine natürliche Luftzirkulation nutzen und dadurch deutlich weniger kommerzielle Energie zum Heizen, Kühlen und Lüften erfordern.

Zweitens müssen wir auf Sonnenenergie, Wind-, Wasser- und Kernkraft, Geothermalenergie und andere Energieformen umstellen, die nicht auf fossilen Brennstoffen beruhen. Die Technologie für den sicheren und preiswerten Einsatz dieser alternativen Energien in einer Größenordnung, die den Verzicht auf fast die gesamte Kohle, die wir heute nutzen, sowie einen Großteil des Öls ermöglichen würde, ist bereits vorhanden. Bis zur Mitte des Jahrhunderts verbliebe damit nur noch Erdgas (der am saubersten verbrennende fossile Brennstoff) als wesentliche Energiequelle.

Und schließlich müssen wir in dem Umfang, in dem wir weiter fossile Brennstoffe nutzen, die daraus resultierenden CO2-Emissionen an der Quelle (den Kraftwerken) auffangen, bevor sie in die Atmosphäre entweichen. Das abgeschiedene CO2 müsste dann zur sicheren langfristigen Speicherung unter der Erdoberfläche bzw. dem Meeresboden eingeschlossen werden. Die Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS) wird in kleinem Maßstab bereits erfolgreich genutzt (vor allem zur Verbesserung der Ölausbeute aus erschöpften Ölquellen). Falls (und nur falls) sich erweist, dass diese Technologie für den Einsatz im großen Maßstab geeignet ist, könnten von der Kohle abhängige Länder wie China, Indien und die USA ihre Kohlevorkommen weiterhin nutzen.

Massive Lobby-Unterstützung für Leugner des Klimawandels

Die amerikanische Politik hat sich als unfähig dabei erwiesen, Strategien zur Umstellung der USA auf den Einsatz kohlenstoffarmer Energien zu entwickeln. Solche Strategien müssten eine ansteigende Steuer auf CO2-Emissionen, umfassende Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen im Bereich der kohlenstoffarmen Technologien, eine Umstellung auf Elektrofahrzeuge und Regeln zum allmählichen Ausstieg aus allen Kohlekraftwerken umfassen außer jenen, die die CCS installieren.

Doch die Politiker verfolgen keine dieser Strategien im angemessenen Umfang. Die Leugner des Klimawandels geben Milliarden dafür aus, Politiker zu beeinflussen, die Verteidiger fossiler Brennstoffe im Wahlkampf zu unterstützen und Kandidaten zu besiegen, die es wagen, für saubere Energien einzutreten. Die Republikanische Partei als Ganze erhält enorme finanzielle Unterstützung von den Gegnern der Dekarbonisierung, und diese Spender bekämpfen in aggressiver Weise selbst kleinste Schritte in Richtung erneuerbarer Energien. Und auch viele den Demokraten angehörende Mitglieder des US-Kongresses gehören dem Lager der Befürworter fossiler Brennstoffe an.

Einige große Player in der Energiebranche, die kein Interesse an der Wahrheit zeigen (und an unseren Kindern, die die Folgen unserer gegenwärtigen Torheit werden tragen müssen, noch viel weniger), haben sich mit Rupert Murdoch zusammengetan. Tatsächlich legen Murdoch, die Koch-Brüder und ihre Verbündeten beim Leugnen wissenschaftlicher Wahrheiten dasselbe Verhalten an den Tag wie einst die Tabakindustrie; sie heuern sogar dieselben Experten an.

Weltweit sieht die Situation im Wesentlichen genauso aus. Wo immer mächtige Lobbys bestehende Kohle- oder Ölinteressen verteidigen, haben die Politiker in der Regel Angst, die Wahrheit über die Notwendigkeit einer kohlenstoffarmen Energieversorgung auszusprechen. Mutige Politiker, die die Wahrheit über den Klimawandel aussprechen, finden sich überwiegend in Ländern ohne mächtige Lobby für fossile Brennstoffe.

Weg zu einer umfassenden Dekarbonisierung steht offen

Man bedenke das Schicksal einer mutigen Ausnahme von dieser Regel. Der australische Ex-Ministerpräsident Kevin Rudd versuchte, in seinem Kohle produzierenden Land eine saubere Energiepolitik durchzusetzen. Rudd wurde, als er sich zur Wiederwahl stellte, von einem Kandidaten besiegt, der dank der Unterstützung durch Murdoch und die Kohleindustrie im Wahlkampf viel mehr Geld zur Verfügung hatte als Rudd. Murdochs Regenbogenpresse streut in großem Umfang wissenschaftsfeindliche Propaganda gegen eine klimafreundliche Politik – nicht nur in Australien, sondern auch in den USA und anderswo.

All dies ist von Belang, weil uns der Weg zu einer umfassenden Dekarbonisierung offen steht. Aber uns bleibt nicht viel Zeit. Die Welt muss aufhören, neue Kohlekraftwerke zu bauen (außer, sie setzen CCS um), und sich auf kohlenstoffarmen Strom umstellen. Sie muss bis etwa 2030 den Ausstieg aus der Verbrennungsmotor-Technologie für fast alle neuen Personenkraftwagen umsetzen und auf strombetriebene Fahrzeuge umstellen. Und sie muss Energie sparende Technologien einführen, die weniger kommerzielle Energie verbrauchen. Es gibt diese Technologien bereits, und sie werden mit zunehmendem Einsatz besser und billiger werden, wenn wir nur die Lobby der fossilen Brennstoffe in Schach halten können.

Wenn das passiert, werden die Menschen überall auf der Welt etwas Wunderbares entdecken. Sie werden nicht nur den Planeten für die kommende Generation bewahrt haben; sie werden zudem Sonnenschein und saubere, gesunde Luft genießen können. Und sie werden sich fragen, warum das so lange gedauert hat, wo doch die Erde selbst in schlimmer Gefahr war.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Copyright: Project Syndicate, 2014. 
www.project-syndicate.org

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