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Kolumne Eine unkonventionelle Wahrheit

Dem monetären Stimulus fehlt die fiskalische Unterstützung. Daher bleibt es bei der unkoventionelle Geldpolitik. Von Nouriel Roubini
Nouriel Roubini
Nouriel Roubini
© Corbis

Nouriel Roubini ist Vorsitzender von Roubini Global Economics und Professor an der Stern School of Business der New York University. Er ist als "Dr. Doom" bekannt. Der Name wurde Roubini verliehen, weil er 2008 die Immobilienblase vorhersagte. Sie können ihm hier auf Twitter folgen.

Wer hätte gedacht, dass die meisten entwickelten Ökonomien sechs Jahre nach der globalen Finanzkrise immer noch in einer Buchstabensuppe unkonventioneller geldpolitischer Strategien schwimmen würden - ZIRP (Nullzinspolitik), QE (quantitative Lockerung), CE (Kreditlockerung), FG (Forward Guidance), NDR (negativer Einlagenzins) und U-FX Int (unbeschränkte Deviseninterventionen) ? Vor 2008 hätte keine Zentralbank irgendeine dieser Maßnahmen in Erwägung gezogen. Mittlerweile gehören sie zum grundlegenden Rüstzeug politischer Entscheidungsträger.

Allein in den letzten anderthalb Jahren hat die Europäische Zentralbank ihre eigene Version der Forward Guidance eingeführt, sich dann auf die Nullzinspolitik verlegt, und vor der Entscheidung für den negativen Einlagenzinssatz eine Kreditlockerung vorgenommen. Im Januar entschied man sich für umfassende quantitative Lockerung. Mittlerweile verlassen sich Fed, Bank of England, Bank of Japan, EZB und eine Reihe von Zentralbanken aus kleineren Industrieländern, wie die Schweizerische Nationalbank, auf derartige unkonventionelle Strategien.

Eine Folge dieses globalen geldpolitischen Aktivismus war in den letzten Jahren ein Aufstand unter Pseudo-Ökonomen und Schreiberlingen in der Marktberichterstattung. Dieses Konglomerat aus „österreichischen” Ökonomen, radikalen Monetaristen, Goldbugs und Bitcoin-Fanatikern warnte wiederholt, dass eine derart massive Steigerung der globalen Liquidität zu Hyperinflation, Zusammenbruch des US-Dollars, immens hohen Goldpreisen und letztlich zum Untergang der Fiat-Währungen aufgrund ihrer digitalen Entsprechungen, den Kryptowährungen, führen würde.

Warum die Untergangspropheten falsch liegen

Keine dieser düsteren Prognosen hat sich in der Realität bestätigt. Die Inflation ist niedrig und sinkt in beinahe allen Industrieländern weiter. Tatsächlich gelingt es keiner Zentralbank in den Industrieländern ihr – explizites oder implizites - Mandat einer Inflation von zwei Prozent zu erreichen und manche kämpfen gegen eine Deflation an.

Außerdem ist der Dollar gegenüber Yen, Euro und den meisten Währungen der Schwellenländer drastisch gestiegen. Seit dem Rückgang im Jahr 2013 fielen die Goldpreise von 1900 Dollar pro Unze auf etwa 1200 Dollar. Und Bitcoin erwies sich im Jahr 2014 als die Währung mit der schlechtesten Performance, wobei ihr Wert um beinahe 60 Prozent fiel.

Die meisten dieser Untergangspropheten verfügen offenkundig kaum über ökonomisches Basiswissen. Das hat sie allerdings nicht daran gehindert, ihre Ansichten in die öffentliche Debatte einzubringen. Somit lohnt sich die Frage, warum sie mit ihren Prognosen so spektakulär daneben lagen.

Ihr fundamentaler Irrtum besteht darin, dass sie Ursache und Wirkung verwechseln. Der Grund, warum Zentralbanken zunehmend unkonventionelle geldpolitische Strategien verfolgten ist, dass die Erholung nach 2008 außerordentlich anämisch verlief. Es bedurfte dieser Maßnahmen, um dem Deflationsdruck entgegenzutreten, der sich aufgrund des schmerzhaften Schuldenabbaus im Gefolge der übermäßigen privaten und öffentlichen Verschuldung bildete.

Disinflationärer Druck

In den meisten Industrieländern beispielsweise besteht nach wie vor eine enorme Produktionslücke, wobei sich Produktion und Nachfrage weit unter Potenzial befinden. Aus diesem Grund verfügen Firmen hinsichtlich ihrer Preisgestaltung lediglich über begrenzte Möglichkeiten. Auch auf den Arbeitsmärkten herrscht eine beträchtliche Flaute: Zu viele Arbeitslose bewerben sich um zu wenige verfügbare Jobs, während Handel und Globalisierung in Kombination mit arbeitssparenden technischen Innovationen zunehmend Druck auf Arbeitsplätze und Einkommen ausüben und die Nachfrage damit weiter bremsen.

Außerdem herrscht auch Stillstand auf jenen Immobilienmärkten, die nach einer Boomphase einbrachen (in den USA, Großbritannien, Spanien, Irland, Island und Dubai). Und Blasen auf anderen Märkten (beispielsweise in China, Hongkong, Singapur, Kanada, in der Schweiz, Frankreich, Schweden, Norwegen, Australien und Neuseeland) stellen ein neues Risiko dar, da ihr Zusammenbruch für ein Abrutschen der Immobilienpreise sorgen würde.

Auch die Rohstoffmärkte haben sich zu einer Quelle disinflationären Drucks entwickelt. Die Revolution bei der Schieferenergie in Nordamerika schwächte die Öl- und Gaspreise, während der Abschwung in China zu einer schrumpfenden Nachfrage bei einer Reihe von Rohstoffen führte - wie etwa Eisenerz, Kupfer und anderen Industriemetallen. Sie sind heute in größerem Umfang vorhanden, nachdem jahrelang die hohen Preise zu Investitionen in neue Kapazitäten geführt hatten.

Chinas Abschwung nach Jahren der Überinvestition in Immobilien und Infrastruktur bewirkt ebenfalls ein weltweites Überangebot an Fertigerzeugnissen und Industriegütern. Da die Binnennachfrage in diesen Sektoren nun drastisch zurückgeht, schüren die Überkapazitäten auf Chinas Stahl- und Zementsektor – um nur zwei Beispiele zu nennen – den deflationären Druck auf den weltweiten Industriemärkten weiter.

Großes Angebot, wenig Nachfrage

Auch die steigende Einkommensungleichheit aufgrund der Umverteilung von Einkommen von denjenigen, die mehr ausgeben, zu denen, die mehr sparen, verschärft den Nachfrageausfall. Das Gleiche gilt für die asymmetrische Anpassung zwischen übermäßig sparenden Gläubigerländern, die nicht unter Marktdruck stehen, mehr auszugeben und Schuldnerländern, die zu viel ausgeben und sehr wohl unter Marktdruck stehen, der sie zwingt, mehr zu sparen.

Einfach ausgedrückt: wir leben in einer Welt mit zu großem Angebot und zu wenig Nachfrage. Die Folge ist anhaltender disinflationärer, wenn nicht gar deflationärer Druck trotz aggressiver geldpolitischer Lockerung.

Die Unmöglichkeit, mit unkonventioneller Geldpolitik eine umfassende Deflation zu verhindern ist teilweise Ausdruck der Tatsache, dass derartige Maßnahmen auf eine Schwächung der Währung abzielen, um dadurch die Nettoexporte zu erhöhen und die Inflation zu steigern. Dabei handelt es sich allerdings um ein Nullsummenspiel, mit dem Deflation und Rezession lediglich in andere Ökonomien exportiert wird.

Vielleicht noch wichtiger war eine grundlegende Fehlanpassung gegenüber der Fiskalpolitik. Um ihre Wirkung zu entfalten, müssen geldpolitische Impulse zeitweilig von fiskalischen Anreizen begleitet sein, die jedoch in allen größeren Ökonomien fehlen. Tatsächlich verfolgen die Eurozone, Großbritannien, die USA und Japan in unterschiedlichem Ausmaß Sparprogramme und Haushaltskonsolidierungen.

Sogar der Internationale Währungsfonds hat zu Recht darauf hingewiesen, dass ein Teil der Lösung für eine Welt mit zu hohem Angebot und zu niedriger Nachfrage in öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur besteht, die in den meisten Industrieländern und Schwellenmärkten (mit Ausnahme Chinas) fehlt – oder sich in unzulänglichem Zustand befindet. Angesichts der Tatsache, dass sich die langfristigen Zinssätze in den meisten Industrieländern nahe null befinden (und in manchen Fällen sogar negativ sind), besteht tatsächlich ein zwingendes Argument für Investitionen in Infrastruktur. Allerdings bremst eine Vielzahl politischer Zwänge diesen notwendigen Infrastruktur-Boom – insbesondere die Tatsache, dass in haushaltspolitisch klammen Ökonomien eher Investitionen reduziert werden, bevor man die Gehälter auf dem öffentlichen Sektor und andere aktuelle Ausgaben kürzt.

Diese Entwicklungen ergeben das Rezept für anhaltendes langsames Wachstum, säkulare Stagnation, Disinflation und sogar Deflation. Aus diesem Grund werden unkonventionelle geldpolitische Strategien in Ermangelung angemessener haushaltspolitischer Maßnahmen zur Bekämpfung einer unzureichenden Gesamtnachfrage weiterhin ein zentrales Merkmal der makroökonomischen Landschaft bleiben.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

Copyright: Project Syndicate, 2015. 
www.project-syndicate.org

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