Während jüngst im Fernsehen die Bilder von olympischen Fackellauf im All liefen, kam im Internet eine ganz andere Frage auf: Wie oft ist das Feuer seit dem Start am 8. Oktober in Russland eigentlich schon erloschen? Nur das eine Mal gleich am Anfang im Kreml? Sechs oder sieben Mal, wie die meisten behaupten? Oder mindestens 44 Mal, wie die russische Journalistin Yulia Latynina in einem Beitrag für die „Moskow Times“ schrieb?
Von Berlin aus betrachtet, als potentieller Nutzer eines Flughafens, den es womöglich nie geben wird, sehen selbst 44 Pannen nicht besonders peinlich aus. Für den russischen Präsidenten Wladimir Putin sind die Feuerpausen brisant. Denn Bilder sind sein stärkstes Argument, wie das des spektakulärsten Fackellaufs der Geschichte. oder des unerschrockenen Präsidenten mit muskulösem entblößten Oberkörper. Russlands Anspruch auf Geltung ist frei von Finesse und unverblümt: Putin ist der Gorilla, der sich mit den Fäusten auf die Brust trommelt und dabei furchterheischend brüllt.
Solche Gesten werden lächerlich, wenn die Kluft zur Realität zu groß wird. Außenpolitisch hat Russland seine Weltgeltung schon verloren, auch wenn es die zerstörerische Wirkung seine Vetomacht noch einzusetzen weiß. An der Wirtschaft des Rohstoffgiganten aber kam Europa bislang nicht vorbei. Der Westen braucht Energie. Öl und Gas machen Russland reich. Das reiche riesige Russland ist ein attraktiver Markt für ausländische Firmen.
Nun aber droht das große „R“ aus den BRICS zu purzeln, der Gruppe der schnell wachsenden Schwellenländer. Auch Brasilien, Indien, China und Südafrika leiden unter konjunkturellen Problemen und versäumten Reformen. Doch keines dieser Clubmitglieder macht so wenig aus sich wie Putins Russland. Verschenkt seine Zukunft so mutwillig.
Russlands Wirtschaft stagniert
Das Fanal dafür ist nicht das Erlöschen des olympischen Feuers. Sondern eine Pressekonferenz des russischen Wirtschaftsministers Alexej Uljukajew vergangene Woche. Uljukajew prognostizierte, dass das jährliche BIP bis 2030 im Schnitt nicht um vier Prozent, sondern nur um 2,5 Prozent wachsen werde – und damit langsamer als die Weltwirtschaft insgesamt. Aktuell sieht es sogar noch erbärmlicher aus: Russlands Wirtschaft stagniert. Weder bei Investitionen noch bei der Industrieproduktion tut sich noch etwas. Fünf Prozent hatte Putin für 2013 versprochen, 1,8 Prozent erwartet das Wirtschaftsministerium nun. Der Gorilla entpuppt sich als kreischendes Äffchen.
Ob Weltbank, IWF oder Standard & Poor’s, die Experten sind sich einig: Es stimmt was nicht in Putins Staat. „Fazit ist: Wenn die Politik sich nicht grundlegend ändert, wird Russland von einer der am schnellsten wachsenden Ökonomien der Welt zu einem ihrer größten Minderleister werden“, hat es der Chefvolkswirt von Capital Economics in Londen, Neil Shearing, brutal auf den Punkt gebracht.
Statt das Land zu modernisieren und seine Wirtschaft zu diversifizieren hat sich Putin auf den Energiemilliarden ausgeruht. Rohstoffe stellen den Löwenanteil der Exporte und sie finanzieren den Staatshaushalt wesentlich mit. Nun gibt der Ölpreis nach und damit schwinden auch die Spielräume für soziale Beruhigungspillen. Der Fracking-Boom könnte den Trend noch beschleunigen. Russlands hausgemachte Probleme aber bleiben: Rechtsunsicherheit, Bürokratie, Korruption, erdrückende Staatswirtschaft, fehlende Investitionen, Kapitalflucht.
Putin wird bald mehr Sorgen haben als Pannen beim Fackellauf. Ob es nun eine oder 44 waren.
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