Nach mehr als zwei Wochen äußerst schwieriger Verhandlungen mit den europäischen Institutionen hat Griechenland ein bisschen Zeit gewonnen. Dieser Zeitgewinn muss genutzt werden, um im Einklang mit den Hauptgläubigern einen Fahrplan zu entwickeln, der es Griechenland erlaubt, seine Wirtschaft wieder anzukurbeln und seine partnerschaftlichen Verbindlichkeiten zu erfüllen.
In den Verhandlungen hat sich Europa von seiner schlechtesten Seite gezeigt. Es schien vor allem damit beschäftigt, die Vorhaben einer demokratisch gewählten Regierung im Keim zu ersticken. Dies läuft darauf hinaus, den Willen den griechischen Volkes für nichtig zu erklären. Europa schien Griechenland zum Austritt aus dem Euro zu drängen beziehungsweise in eine Bankenpanik oder sogar in einen schlichten Zahlungsausfall zu treiben, der das Fortbestehen des Euro selbst in Frage gestellt hätte. Jedermann weiß, dass eine Neuordnung der Schulden in Europa und nicht nur in Griechenland notwendig ist. Hören wir also auf die Realität zu leugnen und denken wir ernsthaft über eine Lösung nach solange dafür noch Zeit ist.
Berlin und Athen als Beispiel
Ein möglicher Weg zur Lösung der Krise könnte die schrittweise Umwandlung der griechischen Staatsschulden in Geldinvestitionen vor. Diese sollen diejenigen Investitionen ergänzen, die der Juncker-Plan vorsieht. So würden beispielsweise deutsch-griechische Gemeinschaftsfonds geschaffen, die in Griechenland mit dem Ziel einer wirtschaftlichen Erholung investieren könnten. Den deutschen Unternehmen käme dies zugute, da sie die Produzenten der Exportgüter wären, in die diese Fonds investierten. Die Ausweitung dieser Win-win-Strategie auf andere Länder würde helfen, aus dem gefährlichen Schlamassel herauszufinden, in den das europäische Projekt durch die Schuldenlast geraten ist. Europa bekäme so wieder einen Sinn.
Zur Umsetzung dieser allgemeinen Orientierung schlagen wir die Schaffung von „Investitionsscheinen“ vor, die an Stelle der Schuldforderungen einzelner Staaten gegenüber anderen Staaten treten. Wir wollen unseren Vorschlag am Beispiel Deutschlands und Griechenlands illustrieren, genauer Deutschlands als Gläubiger Griechenlands. Unser Vorschlag setzt sich aus drei untrennbaren Teilen zusammen:
- die Schaffung öffentlicher, bilateraler Gemeinschaftsfonds für Investitionen,
- die Schaffung von Investitionsscheinen,
- Solidarität und Vorverkaufsrecht.
Bilaterale Gemeinschaftsfonds
Über die öffentlichen, bilateralen Fonds würden verschiedene öffentliche Einrichtungen gleichberechtigt verfügen. In unserem Beispiel wären dies eine deutsche Einrichtung, etwa die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), und die ihr entsprechende, griechische Institution, deren Schaffung soeben angekündigt worden ist.
Ein solcher Fonds wäre eine mit den besonderen Umständen begründete Ausnahme gegenüber der europäischen Gesetzgebung über öffentliche Hilfsleistungen. Er könnte mit der Aufgabe betraut werden, produktive Investitionen zu tätigen. Diese würden darauf zielen, den griechischen Industriepark zu modernisieren, seine Effektivität zu erhöhen, ihn an einem Modell nachhaltiger Entwicklung für Mensch und Natur auszurichten und seine Produktionskapazitäten in den im Außenhandel mit Deutschland besonders defizitären Sektoren zu erhöhen.
Dieser Fonds wäre mit einer Expertengruppe ausgestattet, die für die zu tätigen Investitionen Analysen vornimmt, Auswahlentscheidungen trifft und deren Umsetzung überwacht. Er könnte bestehende griechische Unternehmen oder griechische Niederlassungen ausländischer Unternehmen investieren: in neue Joint Ventures, in Kreditvergaben oder Kapitalbeteiligungen (oder in eine Mischung aus beiden, das heißt in Beteiligungskredite, die als Eigenkapital verbucht werden können). Eine entscheidende, festzuschreibende Klausel sähe die Kontrollhoheit des griechischen Staates über diese Investitionen vor.
Solidarische Investitionen
Der Fonds würde, um in unserem Beispiel zu bleiben, solidarische Investitionen Deutschlands in Griechenland ermöglichen. Er würde sich in die Perspektive des Juncker-Plans zur Investitionsbelebung – der großen Maßnahme der EU-Kommission zur Ankurbelung des europäischen Wachstums – einfügen. Da solch ein Fonds dem Ziel des Juncker-Plans entspricht, könnte er die Zustimmung von EU-Kommission und europäischem Parlament erlangen.
Diese Gemeinschaftsinvestitionen entsprächen dem Ziel, das Wirtschaftswachstum wiederanzukurbeln. Es ginge nämlich nicht einfach darum, Deutschland die Zahlung griechischer Schulden aufzubürden, sondern vielmehr darum, zu den Anstrengungen zum griechischen Wiederaufbau beizutragen. Und dies wäre zugleich für Deutschland und – wie wir noch sehen werden – für seine Unternehmen von Vorteil.
Schaffung von Investitionsscheinen
Was die Finanzierung angeht, besteht unsere grundsätzliche Vorstellung darin, dass die Einlagen des gemeinsamen Investitionsfonds sich auf die Summe der von den Gläubigerländern abgeschriebenen Kredite belaufen. Die Beteiligung an dem Investitionsfonds soll dabei zur Hälfte vom Schuldnerstaat (in unserem Beispiel Griechenland) und zur Hälfte vom Gläubigerstaat (hier Deutschland) getragen werden. Deutschland hält derzeit 72,7 Mrd. Euro an den griechischen Schulden. Davon 41,3 Mrd. unmittelbar und 31,4 Mrd. indirekt, vor allem über die Verpflichtungen gegenüber der Europäischen Zentralbank. Wenn Deutschland sich bereit erklären würde, die Hälfte seiner direkten Kredite, das heißt 20,65 Mrd. Euro, in Investitionsscheine mit einer Laufzeit von fünf Jahren umzuwandeln, wäre Griechenland in dieser Zeit von mehr als vier Mrd. Euro seiner Schuldenlast befreit. Dieses Geld stünde dann für produktive Investitionen zur Verfügung. Die vier Mrd. Euro, das heißt etwa zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts, würden jedes Jahr mit Hilfe des gemeinsamen Fonds investiert.
Verwandlung von Schulden in Kapital
Die Kapitalausstattung des gemeinsamen Investitionsfonds, die sich aus den so umgewandelten Krediten speiste, würde gleichmäßig zwischen Griechenland und Deutschland aufgeteilt werden. Der Fonds hätte die Aufgabe, die vorgenommenen und betriebsfähigen Investitionen zu Geld zu machen. Der dabei realisierte Gewinn würde vordringlich die deutschen Verbindlichkeiten in dem Fonds ausgleichen und bestenfalls ihren Gesamtumfang tilgen. Dieses Vorgehen stellt nichts anderes als den Rückgriff auf einen klassischen Umstrukturierungsmechanismus dar: Die Verwandlung von Schulden in Kapital (equity) ist eine Routineoperation. Da es sich um private Schulden handelt, besteht die Schwierigkeit darin, einen oder mehrere Gläubiger zu finden, die zur Fortentwicklung ihres Risikos bereit sind, nämlich vom Risiko ausbleibender Kapitalverwertung hin zum Risiko eines Verlustes des gesamten oder eines Teils des Kapitals.
Im vorliegenden Fall sind die Gläubiger Staaten, die ihrer Forderungen verlustig gehen könnten, wenn Griechenland zusammenbräche. Nach unserem Vorschlag würden sich diese Staaten nun nicht mehr dem Risiko des Totalverlusts aussetzen, sondern ihre Schuldforderungen in Investitionsscheine umwandeln, das heißt in eine Form des Kapitals, die gemäß einer Logik solidarischer Entwicklung Griechenland aber auch den heimischen Industrien zu gute käme.
Solidarität und Vorverkaufsrecht
Eine unmittelbare Gegenleistung für die Staaten, die an dem System teilnähmen, wäre ein Vorverkaufsrecht für Exporte nach Griechenland. Von diesem Vorverkaufsrecht würden Unternehmen profitieren, die mehrheitlich in den teilnehmenden Ländern angesiedelt sind. Wenn die Investitionen einmal getätigt sind, würden sie automatisch zu Käufen von Ausstattungsgütern, die kurz- oder mittelfristig nicht in Griechenland hergestellt werden können, bei Unternehmen der Länder führen, die im Besitz der Investitionsscheine sind. Das ist die Technik des Marshallplans: Ein Dollar „Hilfszahlung“ fungiert doppelt – als Geldbeschaffung und Subvention des Kaufs von Ausstattung.
Eine derart geordnete Wohltätigkeit ist nicht selbstlos : Für jeden Euro, um den die Schuldenlast erleichtert, bezeihungsweise der in produktive Investitionen in Griechenland umgewandelt wird, entstünde ein entsprechendes Vorverkaufsrecht in Höhe von einem Euro für die Unternehmen, deren Länder an dem System beteiligt sind. Hier würden Wohltätigkeit und wirtschaftliche Solidarität endlich einmal zusammengehen.
Offene Fragen
Man wird uns vorhalten, dass das vorgeschlagene System den derzeitigen europäischen Regeln (freie Konkurrenz und Subventionsstop) zuwider läuft und dass es schwer werden dürfte, teilnahmebereite Unternehmen zu finden. Wir stellen demgegenüber die Frage, ob das Konkurrenzrecht sich nicht weiterentwickeln sollte, damit es nicht zu einem Hemmnis eines zugleich stärkeren und solidarischeren Europas wird? Und was die Unternehmen anbelangt, die an dem System teilnehmen könnten, schlagen wir vor, dass diese selbst hervortreten und unter Beweis stellen, dass sie die Teilnahmebedingungen erfüllen.
Die mittelständischen Unternehmen aus Baden-Württemberg, Bayern oder Sachsen, die keiner Zentralmacht unterstehen und unabhängig bleiben wollen, hätten an diesem System bestimmt Interesse. Das Gleiche gilt für die französischen Unternehmen, die große Infrastrukturmaßnahmen planen und umsetzen. Wir wetten darauf, dass der Kontakt zwischen der Regierung, den griechischen Unternehmen und diesen Industriellen äußerst fruchtbar sein kann.
Konkrete Perspektive
Schließlich wird man uns entgegenhalten, dass solch ein System nur den europäischen Regeln entspräche, wenn alle EU-Mitglieder entsprechend ihres Bruttoinlandsprodukts beteiligt wären. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass es in einem Europa der 28 nahezu unmöglich geworden ist, substantielle Entscheidungen zu treffen – erst recht, wenn es sich um substantielle Fortschritte handelt. Einstimmigkeit ist der sicherste Weg in die Ohnmacht. Europa muss aus bilateralen, höchstens trilateralen Beziehungen erwachsen, aus Maßnahmen, die nicht darauf warten können, als Ausnahmen angesichts besonderer Umstände gerechtfertigt zu werden. Derartige Ausnahmen sind durch die europäischen Verträge ohnehin nicht ausgeschlossen.
Natürlich steht es jedem Land frei zu entscheiden, ob es an einem derartigen System teilnehmen möchte. Gleichwohl muss die von uns vorgeschlagene Regelung derart allgemein sein, dass sie auch auf Spanien, Portugal oder Italien Anwendung finden kann. Unser Vorschlag lautet nämlich, einen Rahmen und Mittel zu schaffen, die nicht nur helfen sollen, die griechische Krise zu überwinden. Es geht vielmehr darum, eine konkrete Perspektive für eine solidarischere Ökonomie in Europa zu schaffen.
Gabriel Colletis ist Professor für Volkswirtschaft an der Universität Toulouse-Capitole.
Jean-Philippe Robé ist Rechtsanwalt der Kammern von Paris und New York und Spezialist für internationale Umstrukturierungsprogramme.
Robert Salais ist wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsdirektor am französischen Centre National de Recherche Scientifique (CNRS)