Aktien Ein europäisches Drama

Christian Kirchner, Capital-Chefkorrespondent in Frankfurt
Christian Kirchner, Capital-Chefkorrespondent in Frankfurt
© Gene Glover
Europäische Aktien kamen schon in der besten aller Börsenwelten nicht vom Fleck. Das lässt schlimmes ahnen für die nächste Krise.

Mein Job bringt es erfreulicherweise mit sich, mich auch häufig mit Strategen und Investoren mit Sitz außerhalb Europas unterhalten zu können. Sie haben mich in den vergangenen Wochen für ein Thema sensibilisiert, dessen Dimension uns Europäern vermutlich gar nicht so recht klar ist: Die jüngsten politischen Entwicklungen in Frankreich und Deutschland verbunden mit der Sorge vor einer Rezession vielleicht schon 2020 machen Europa aus Sicht von immer mehr Investoren aus den USA oder Asien zu einer No-Go-Area in Sachen Geldanlage. Was wiederum für heimische Anleger heißt: nie war es so wichtig wie heute, sich global aufzustellen.

Ein allzu düsteres Szenario? Fassen wir zusammen, was in der jüngeren Vergangenheit passiert ist: Angela Merkel hat angekündigt, nicht wieder als Kanzlerin zu kandidieren und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron hat nicht nur „Gelbwesten“ gegen sich, sondern in der gesamten Bevölkerung stark an Rückhalt verloren. Nur noch 20 Prozent der Franzosen stützen ihn, Tendenz sinkend. Damit sind die Chancen in den mikroskopischen Bereich gesunken, dass in den kommenden, sagen wir, zwei Jahren, eine deutsch-französische Achse Europa und den Euro weiter voranbringt.

In jedem Fall wird die nächste Rezession - was auch immer sie auslösen mag – Europa in einer angespannten Lage treffen: Ohne große Fortschritte in wesentliche Fragen der Vollendung der Bankenunion und der Vertiefung der Währungsunion. Mit einem Staatsanleihenmarkt, dessen sicherer Teil durch EZB-Anleihenaufkäufe und der Politik der „schwarzen Null“ in Berlin viel zu klein und illiquide ist, um als Alternative zum US-Dollar quasi automatisch von globalen Kapitalzuflüssen zu profitieren. Schlimmer noch: In die nächste Krise schlittern wir womöglich, während die Europäische Zentralbank den Krisenmodus noch gar nicht richtig beendet hat.

Versetzen Sie sich bitte in die Lage eines Investors aus Asien oder den USA: klingt das wie eine Gegend, in der sich auf Sicht der kommenden Jahre eine Investition lohnt? So etwas reizt bestenfalls Antizykliker mit viel Geduld.

Nun ist natürlich alles eine Frage des Preises, sprich, bei Aktien: Der Bewertung. Die sind in den vergangenen Monaten durch die Kursrückgänge bereits deutlich gesunken. Was die Lage am europäischen Aktienmarkt allerdings vollends zum Drama macht: weder bei den großen Aktiengesellschaften noch ihren Anlegern liefen die vergangenen Jahre unter dem Strich wirklich gut. Und das sollten ja eigentlich gute Jahre sein: mit sinkender Arbeitslosigkeit, einem Wachstum über Potenzial, beherrschbarer Inflation, niedrigen Zinsen.

Das ewige "Talent"

Was aber ist herausgekommen? Der europäische Aktienmarkt – betrachten wir dazu der Einfachheit halber den MSCI Europe; er deckt mit insgesamt 440 Werten 85 Prozent des gesamten europäischen Markts ab – steht aktuell auf dem gleichen Kursniveau wie schon 2014, 2012 und 2010. Hinter uns liegen acht verlorene Jahre.

Der europäische Aktienmarkt ist damit so etwas wie ein „ ewiges Talent" im Fußball. Jeder Fußballinteressierte kennt das Phänomen des „ewigen Talents“: es ist der eine Spieler, dem rituell eine große Zukunft nachgesagt wird. Der gelegentlich seine Fähigkeit aufblitzen lässt, dann aber wieder einige Spiele unauffällig bleibt. Und so zieht oft Jahr um Jahr ins Land, ohne, dass sich wirklich etwas tut. Bestenfalls (aber selten) platzt irgendwann der Knoten. Schlimmstenfalls (und häufiger) verschwindet das „ewige Talent“ aber irgendwann in der Unterklassigkeit.

Ja, Europas Aktien, die waren immer ein wenig günstiger als die der USA, und Jahr für Jahr hieß es: die Bedingungen sind gut, dass die Gewinne bald mal richtig wachsen. Aber die Wahrheit ist: Die Gewinne der Firmen des MSCI Europe haben sich seit 2011 unter dem Strich nicht bewegt und notieren immer noch ein Fünftel unter jenen des letzten Prä-Lehman-Jahres. Ein bisschen Gewinndynamik seit 2016 die Rückgänge der Jahre 2011-2016 gleichen sich aus. Europas Aktienmarkt ist ein bisschen älter und dem vorläufigen Karriereende – der nächsten Rezession – näher gekommen.

Aber für Aktionäre kam wenig dabei rum: 13 Prozent hat der Index MSCI Europe über die letzten, vermeintlich guten Jahre nachgegeben, inklusive Dividenden kam immerhin eine schwarze Null raus. Ein karger Lohn für eine Achterbahnfahrt, in der immer irgendetwas war: mal waren Finanzwerte in Problemen, dann die Energiekonzerne wegen des Ölpreises, dann kamen die Nahrungsmittelkonzerne nicht vom Fleck oder der Brexit verscheuchte Investoren.

Traurige Wahrheit

Die traurige Wahrheit ist auch: Die Kurssteigerungen der Ära seit Lehman in Europa lassen sich alleine mit der Inflation und den höheren Bewertungen erklären. Operative Fortschritte hat der europäische Aktienmarkt insgesamt keine gemacht, daran ändern auch einzelne Erfolgsgeschichten gerade in der zweiten Reihe nichts.

Nun kann man argumentieren: für die Geduld, dass es irgendwann auch einmal besser wird, wird man ja bezahlt. 3,8 Prozent Dividendenrendite zahlen die Firmen des MSCI Europe im Schnitt. Weltweit gibt es gleichwohl ebenfalls 2,6 Prozent über die Dividende zu verdienen pro Jahr mit einem nur kleinen Bewertungsaufschlag: mit dem 15fachen der laufenden Gewinne sind europäische Aktien, mit dem 17fachen Aktien weltweit bewertet.

Aber die Frage sei erlaubt: wenn schon Europas Blue Chips in der quasi besten aller Welten Schwierigkeiten hatten, gute Erträge für Aktionäre zu erwirtschaften – und wenn schon in der besten aller Welten Analysten regelmäßig die Gewinndynamik von Europas Firmen notorisch überschätzt haben – wie sieht die Lage dann wohl in einer Eintrübung aus? Und: von schlechter Stimmung kann unter Strategen keine Rede sein. 12 von 14 von der Nachrichtenagentur Bloomberg befragte Analysten billigen den Aktien der Eurozone 2019 wieder steigende Kurse zu.

Gewiss: Wer langfristig anlegt, dem können die Turbulenzen einiger Jahre zwar egal sein. Und dass Europa im allgemeinen und die Eurozone im besonderen überhaupt in eine Rezession rutschen, ist keinesfalls ausgemachte Sache, weder für 2019 noch 2020 oder danach. Es gibt keine Zauberformel, die Rezessionen korrekt vorhersagt.

Gestatten Sie mir allerdings die - versprochen - letzte Fußballmetapher des Jahres: Europas Aktienmarkt ist nicht nur ein „ewiges Talent“, dessen tatsächlichen Leistungen zu Saisonbeginn – also dem Kalenderjahr - seit Jahren notorisch überschätzt werden. Nun spielt dieses ewige Talent auch noch in einer Mannschaft, sprich: der Weltkonjunktur, in der die Formkurve deutlich nach unten zeigt. „Wiedervereint im Abstieg“ überschreibt das US-Investmenthaus Pimco seinen Ausblick auf 2019, weil es eine synchrone, globale Wachstumsverlangsamung erwartet. Es fällt schwer, dagegen Argumente zu finden.

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