Kolumne Schuld hat immer die EZB

Christian Kirchner, Capital-Chefkorrespondent in Frankfurt
Christian Kirchner, Capital-Chefkorrespondent in Frankfurt
© Gene Glover
Mit ihren rituellen öffentlichen Attacken auf die Niedrigzinsen der Europäischen Zentralbank haben Bankenlobbyisten nicht das Wohl der Sparer im Sinn, sondern die eigenen Erträge. Christian Kirchner über ein brandgefährliches Manöver

Sie kennen das bestimmt aus Ihrem Job oder Ihrem Privatleben: Wenn Dinge schiefgehen, müssen für manche rasch Schuldige her – nur man selbst sollte es natürlich nicht sein. Eine Branche, die dies seit einigen Jahren erfolgreich praktiziert, ist die der Banken. Für die laufen, besonders im Privatkundengeschäft, die Dinge nicht gut. Geschieht nicht noch ein Wunder bei den Zinsen oder den Kosten, wird das Privatkundengeschäft schon 2020 in Deutschland kumuliert 3 Mrd. Euro Verluste erwirtschaften, nach noch 3 Mrd. Euro Gewinn 2016, so die Unternehmensberatung ZEB.

Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Zum Beispiel, dass viele Banken die Digitalisierung verschlafen, das Filialgeschäft überschätzt und zu zaghaft gespart haben. Und sich viel zu lange darauf ausgeruht haben, ohne größere Risiken sichere Zinsmargen abzuschöpfen.

Die neue Capital erscheint am 22. November
Die neue Capital ist am 22. November erschienen
© Capital

Damit sich aber dieser Eindruck nicht verbreitet, haben die Lobbyisten der Banken seit Jahren ein Ziel: die Europäische Zentralbank (EZB) als Hauptschuldige auf die öffentliche Anklagebank zu zerren – für Vermögensverluste, mangelnde Sparmotivation, Spekulationsblasen und, ganz nebenbei, die schrumpfenden eigenen Gewinne.

Ein populäres Mittel dazu sind Meinungsumfragen. So brachte etwa der Sparkassenverband mithilfe einer Umfrage die erstaunliche These in Umlauf, die Hauptsorge der Menschen (sic) „sei nach wie vor die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank“. Der private Bankenverband BdB ließ errechnen, nur jeder zweite Deutsche sei mit der Wertentwicklung seiner Geldanlage zufrieden – natürlich „eine unmittelbare Folge der anhaltenden Niedrigzinspolitik der EZB“. Der genossenschaftliche Bankenverband BVR analysierte, warum denn Geringverdiener immer weniger sparen und die Zahl der Riester-Verträge stagniere – und schloss, Grund sei die „Nullzinspolitik der EZB“. Offenbar mit Erfolg: Die Fondsgesellschaft Union Investment „ermittelte“, 72 Prozent der Deutschen hätten gar kein oder nur wenig Vertrauen in die europäischen Währungshüter.

Die Niedrigzinsen schaffen auch viele Gewinner

Diese Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit ist nicht nur ein intellektuelles Armutszeugnis, weil sie ökonomische Realitäten unterschlägt. Denn: Die Realzinsen waren früher selten höher. Für Zinsen verantwortlich ist nicht nur die EZB, sondern auch das Sparverhalten und die Demografie. Zwischen der Zinshöhe und der Sparmotivation gibt es kaum Zusammenhänge. Und: Die Niedrigzinsen schaffen auch viele Gewinner.

Die EZB als Hauptschuldige einer Anlagemalaise zu brandmarken ist auch gefährlich: In dem Versuch, von eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken und im Dauerfeuer den Druck auf die Notenbank zu erhöhen, damit Zinsen klettern und sich die eigene Ertragslage wieder bessert, riskieren Banken viel. Etwa, dass das Vertrauen in unser Geld tatsächlich schwindet. Die Folge? Wären Vermögensverluste für Banken wie Sparer, die weit über entgangene Zinsen hinausgingen.

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