Die Schlagzeilen waren zuletzt voll davon: Meldungen über Unternehmen, die ihre Fabriken zurück in die USA verlagern oder dort massiv investieren. Beispiel Intel: Der US-Chipriese will in den nächsten fünf Jahren 100 Mrd. US-Dollar in den Neu- oder Ausbau seiner Heimatwerke stecken.
Mit den Ursachen und Auswirkungen des sogenannten „Reshoring“ beschäftigt sich auch Madeleine Ronner vom Vermögensverwalter DWS. Auf dem Capital-Vermögensaufbaugipfel in Frankfurt veranschaulichte sie am Donnerstag die wichtigsten Treiber.
Gleich zu Anfang ihres Vortrags zum Thema „Reshoring – Mythos oder Realität? Konsequenzen für den Aktienmarkt“ warf die Fondsmanagerin ihre „Lieblingscharts“ an die Wand – zwei Diagramme, die greifbar machen sollen, wie radikal sich die Weltwirtschaft in Gestalt globaler Lieferketten, Handelsbeziehungen und Wettbewerbsstrukturen in den kommenden Jahren verändern könnte. So seien die Bauinvestitionen in US-Fabriken zuletzt um gut das Vierfache gestiegen, von 50 Mrd. US-Dollar im Jahr 2020 auf etwa 200 Mrd. Dollar im Jahr 2024.
Abwanderung bei Chips und Autos
Das deckt sich laut Ronner auch mit entsprechenden Ankündigungen der Unternehmen. „Vor allem im Halbleiter- und Automobilbereich beobachten wir seit der Corona-Pandemie ein starkes Interesse an der Rückverlagerung von Produktionskapazitäten“, sagt die Fondsmanagerin.
Dies habe nicht nur politische Gründe, etwa den schwelenden Handelskonflikt zwischen China und den USA oder den Brexit. Auch Fortschritte bei der Bildung, so Ronner, würden beispielsweise dafür sorgen, dass Facharbeiter in China mittlerweile mehr als doppelt so teuer seien wie noch vor zehn Jahren.
China noch lange „Produktionsbank der Welt“
Das wirft die Frage auf: Droht das jahrzehntelange Erfolgsmodell der Globalisierung gerade in seine Einzelteile zu verfallen? Um die Antwort vorwegzunehmen: Ganz so schlimm werde es wohl nicht kommen, „zumindest nicht in den nächsten Jahren“, glaubt DWS-Managerin Ronner.
Zwar sei es das erklärte Ziel Chinas, nicht länger „Produktionsbank der Welt“ zu sein. Auch habe sich die Volksrepublik in Kernmärkten wie der Automobilindustrie inzwischen sogar von einem Import- zu einem Exportland entwickelt, was die Abhängigkeit etwa zu den USA verringere. „Aber man darf hier jetzt nicht den Fehler machen und denken, dass die Wichtigkeit von China für die Industrieproduktion insgesamt abnimmt“, so Ronner. Sie verweist auf Zahlen, wonach Chinas 30-prozentiger Anteil an der weltweiten verarbeitenden Industrie in den letzten Jahren sogar gestiegen sei: „So viel zum Thema Deglobalisierung“.
Dazu sei die bloße Rückverlagerung von Produktionsstätten mit mehr Problemen verbunden, als so mancher Firmenlenker vielleicht auf Anhieb denke. Von den hohen Kosten abgesehen seien etwa Fachkräfte in entwickelten Ländern aufgrund niedriger Arbeitslosenzahlen schlicht kaum zu bekommen.
„Veränderte Globalisierung statt Deglobalisierung“
Und in Schwellenländern wie Mexiko? Dort hake es meist noch an Infrastruktur, meint Ronner. „Straßen, Schienen, Elektrizität, Häfen – all das muss natürlich erst einmal gebaut werden, bevor es zu einem großen Reshoring kommen kann“. Auch deshalb beschränke sich das Phänomen bislang nur auf wenige „kritische Güter“, Halbleiter zum Beispiel oder Erneuerbare Energien.
Das Fazit der Fondsmanagerin ist daher eindeutig: „Statt Deglobalisierung gibt es eine veränderte Globalisierung“. Vom vermeintlichen Trend hin zum Reshoring könnten Anleger laut Ronner übrigens dennoch profitieren. Neben Investitionen in Schwellenländern böten beispielsweise auch Firmen im Bereich Automatisierung und kritische Güter gute Chancen.