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Kommentar Draghi hilft den deutschen Sparern

Die EZB taugt nicht als Sündenbock für niedrige Sparzinsen. Schuld sind falsche Investmententscheidungen. Von Melvyn Krauss
EZB-Chef Mario Draghi: Bisher haben seine Programme gewirkt
EZB-Chef Mario Draghi zieht den Zorn der Anleger hierzulande auf sich
© Getty Images

Mario Draghi hat im Alleingang den deutschen Sparern Krieg erklärt – zugunsten den Ländern an Europas Peripherie. Das zumindest ist die Geschichte, die deutsche Sparer-Organisationen und ihre Verbündeten aus dem Anti-Euro-Lager deutscher Medien und der Wissenschaft erzählen. Den Zorn der Draghi-Kritiker hat die letzte Zinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB) hervorgerufen, insbesondere der historische Schritt des Einlagenzinssatzes in negative Gefilde.

Falsch und unfair ist dies Kritik! Das EZB-Paket wurde einstimmig beschlossen – es gab keinerlei Widerspruch, nicht einmal von Bundesbank-Präsident Jens Weidmann. Sollte Draghi dem Süden zugeneigt sein, dann sind es Weidmann und seine Verbündeten unter den Falken im EZB-Rat genauso.

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Melvyn Krauss ist emeritierter Professor für Volkswirtschaft an der New York University

Warum richtet sich die Aufmerksamkeit auf den italienischen EZB-Präsidenten? Weil es die erfundene Theorie stützt, wonach Draghi die schwächeren Volkswirtschaften der Eurozone im Süden begünstige und zugleich deutsche Sparer enteigne. Die Verwicklung des Bundesbankpräsidenten und seine Unterstützung für das EZB-Paket straft diesen Quatsch auch noch Lügen und lenkt von den wahren Schuldigen ab: den Versicherungsgesellschaften und Anlegern mit ihren falschen Investmententscheidungen.

Die EZB hat ein Problem mit niedriger Inflation, das die gesamte Eurozone – einschließlich Deutschland – betrifft. Und die Zentralbank ist dazu verpflichtet, die Glaubwürdigkeit ihres Mandats zu schützen. So einfach ist das.

Preisverfall nutzt Sparern

Die Tatsache, dass die Inflation auch in Deutschland sinkt, wirft ein Problem auf, das Draghi-Kritiker gerne unter den Teppich kehren. Der Preisverfall in Deutschland bringt den deutschen Sparern signifikante Vorteile – er steigert die reale Kaufkraft der Gesamtheit ihrer akkumulierten Geldersparnisse. Das heißt auch, dass der reale Zinssatz viel weniger gefallen ist als der nominale Zinssatz.

Man muss sich nur vorstellen, um wieviel ärmer deutsche Sparer wären, wenn die EZB ihr Inflationsziel von knapp zwei Prozent tatsächlich erreicht hätte. Die Deutschen sollten die Letzten auf der Welt, die das nicht begreifen. Ihre Realeinkommen und Ersparnisse wurden von der galoppierenden Inflation der Zwischenkriegsperiode aufgefressen. Deshalb hassen und fürchten sie Inflation so sehr.

Warum sollten die Deutschen damals, als die Inflation außer Kontrolle geraten war und sie Bargeld in Tonnen auf Rädern herumgetragen haben, um Einkäufe zu erledigen, den Unterschied zwischen realen und nominalen Renditen verstanden haben – und jetzt, wo die Inflation sich in die Gegenrichtigung bewegt, unter einer “Geldillusion” leiden? Es haut einfach nicht hin.

Geruch des Sündenbocks

Anstatt Draghi und seine Kollegen dafür zu geißeln, dass er sie enteignet, sollten deutsche Sparer der EZB dafür danken, dass sie auf die fallende Inflation mit “too late with too little - zu spät mit zu wenig” reagiert hat.

Die erbitterten Angriffe auf Draghi und seine Kollegen, weil sie die niedrige Inflation bekämpfen, weist auf eine natürliche Mehrheit in Deutschland und auch anderen Gläubigerländern hin: eine Mehrheit dafür, Inflation immer tiefer zu drücken – selbst dann, wenn sie schon unterhalb des EZB-Ziels liegt. Diese Mehrheit handelt als wäre ein Ziel gerade unter Minus zwei komfortabler als plus zwei Prozent.

Dennoch, den Beschwerden gegen Draghi – vor allem wenn sie von deutschen Versicherern kommen – haftet der Geruch des Sündenbocks an.

Falsche Investmententscheidungen

Seit 2008 haben deutsche Versicherer die Ersparnisse ihrer Kunden ausschließlich in Bundesschatzbriefe investiert. Das hat sich als schlechte Investmententscheidung herausgestellt. Staatsanleihen haben magere Renditen; Versicherern wie Allianz und Talanx fällt es jetzt schwer, den fixen Verpflichtungen ihrer Produkte nachzukommen, die sie an deutsche Sparer verkauft haben.

Deutsche Versicherte hätten dieses Problem gar nicht erst, wenn sie besser diversifiziert hätten – und jetzt attackieren sie Draghi als wäre er verantwortlich für ihre Investment-Fehler.

Deutsche Sparer sollten sich nicht täuschen lassen, wer die wahren Schuldigen für die niedrigen Renditen auf ihre Ersparnisse sind. Sie sollten von den Versicherungsunternehmen mehr Streuung verlangen – vor allem da die Finanzwelt deutlich weniger riskant ist als noch vor wenigen Jahren. Zu einem großen Teil dank der EZB.

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