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Kommentar Sechs Schritte bis zur Stadt der Zukunft

Die Verstädterung schreitet rasant voran. Sie stellt die Welt vor neue Probleme, die aber gemeistert werden können. Aber das geht nur mit einer anderen Politik. Von Noeleen Heyzer
Megastadt: Mehr als 23,5 Millionen Menschen leben in der chinesischen Metropole Shanghai
Megastadt: Mehr als 23,5 Millionen Menschen leben in der chinesischen Metropole Shanghai
© Getty Images

Bis Ende dieses Jahrhunderts werden zehn Milliarden Menschen unseren Planeten bevölkern, und achteinhalb Milliarden davon leben dann in Städten. Das könnte der Stoff für Albträume sein. Doch mit ausreichend politischem Willen, Visionen und Kreativität – sowie einigen einfachen, praktischen politischen Veränderungen – könnten wir in der Lage sein, die Städte unserer Träume zu schaffen.

Städte sind Zentren wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Leistungsstärke. Sie treiben die nationale und globale Entwicklung an, indem sie Fertigkeiten, Ideen und Ressourcen an einem einzigen Punkt konzentrieren. Doch hat die schnelle städtische Entwicklung einen hohen Preis. Wenn Städte wachsen, verleiben Sie sich dabei Land ein, das sonst zur Lebensmittelproduktion verwendet werden könnte. Sie erschöpfen die Wasservorkommen, verbrauchen fast 70 Prozent der weltweit genutzten Energie und erzeugen mehr als 70 Prozent der Klimagasemissionen.

Für ein nachhaltiges und gerechtes weltweites Wachstum müssen wir das Gleichgewicht zwischen schneller Verstädterung und dem davon angeheizten, nicht nachlassenden Ressourcenverbrauch ändern. Das ist das Hauptziel der Uno-Konferenz zur nachhaltigen Entwicklung, die vor dem nie dagewesenen Druck gewarnt hat, den das Wirtschaftswachstum in den kommenden Jahrzehnten auf die Infrastruktur (insbesondere den Verkehrssektor), den Wohnungssektor, die Abfallentsorgung (vor allem von Gefahrenstoffen) und unsere Energievorräte ausüben wird.

Sechs umfassende Herausforderungen

Der Kampf, die Städte weltweit – und damit die Weltwirtschaft – sowohl dynamisch als auch nachhaltig zu gestalten, lässt sich gewinnen. Dazu müssen wir innovative Wege zur Nutzung unserer begrenzten Ressourcen entwickeln, ohne sie zu verringern oder die zerbrechlichen Ökosysteme zu zerstören, von denen sie abhängig sind. Hierzu muss die Welt sechs umfassende Herausforderungen bewältigen.

Zunächst einmal müssen wir die Art und Weise ändern, wie wir Städte planen. Nachhaltigkeit muss ein zentrales Element für alle Aspekte der Stadtplanung sein. Das gilt insbesondere für Küstenstädte, die in Kürze die verheerenden Folgen des Klimawandels zu spüren bekommen werden. Städte mit einer dichteren Bebauung nutzen das Land effektiver, verringern die Notwendigkeit von Pkw und erhöhen die Lebensqualität, indem sie Platz für Parks und Natur schaffen. In gleicher Weise verringern eng integrierte Massentransportsysteme die Klimagasemissionen drastisch.

Individualverkehr verringern

Zweitens müssen wir die Art und Weise überdenken, wie wir Gebäude planen und betreiben, damit sie weniger Energie verbrauchen – oder, besser noch, Energie erzeugen. Gebäude sind aufgrund der verbauten Materialien und ihrer Kühl- und Heizanforderungen sowie von Hilfsfunktionen wie der Wasser- und Abwasserversorgung und der Festabfallentsorgung für erhebliche CO2-Emissionen verantwortlich. Unsere Bauordnungen müssen energieeffizientere Bautechnologien fördern, was durch Steueranreize und strengere Regulierung unterstützt werden kann. Angesichts der Tatsache, dass fast 30 Prozent der Stadtbewohner im asiatisch-pazifischen Raum in Slums leben, wird eine unserer größten Herausforderungen darin bestehen, deren Lebensbedingungen zu verbessern, ohne dabei verheerende Umweltschäden anzurichten.

Noeleen Heyzer ist Uno-Untergeneralsekretärin und Exekutivsekretärin der Wirtschafts- und Sozialkommission für Asien und den Pazifik
Noeleen Heyzer ist Uno-Untergeneralsekretärin und Exekutivsekretärin der Wirtschafts- und Sozialkommission für Asien und den Pazifik

Die dritte Herausforderung besteht darin, die Verkehrsgewohnheiten der Menschen zu ändern. Das bedeutet Umstieg von Pkw auf öffentliche Verkehrsmittel und von der Straße auf die Schiene. Tatsächlich sollten wir soweit wie möglich versuchen, die Notwendigkeit für den Personenverkehr insgesamt zu verringern. Auf Autos und Lastwagen ausgelegte Verkehrssysteme sind für Unfälle, Umweltverschmutzung und chronische Staus verantwortlich. Zudem entfielen 2004 23 Prozent aller energiebezogenen CO2-Emissionen auf den Verkehrssektor, und er ist auch in den Entwicklungsländern der am schnellsten wachsende Emissionsverursacher. Stattdessen müssen wir Verkehr, Bauen und Landnutzung integrieren, die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel fördern und unsere Straßen fußgängerfreundlicher und sicherer machen (insbesondere für Frauen und Behinderte).

Die vierte Herausforderung besteht in einer Änderung der Art und Weise, wie wir Energie produzieren, transportieren und verbrauchen. Hierzu gehört die Schaffung effizienterer Energiesysteme und der Ausbau von Investitionen in erneuerbare Energien (wodurch hoffentlich auch noch Arbeitsplätze geschaffen werden). Außerdem können wir Haushalte unterstützen, weniger Energie zu verbrauchen, und Unternehmen anhalten, das Ausmaß der von ihnen verschwendeten Energie zu verringern.

Fünftens müssen wir die Bewirtschaftung unserer Wasserressourcen und Wasserinfrastruktur reformieren, damit dieser kostbare Rohstoff mehrere Male und im stadtweiten Rahmen wiederverwendet werden kann. Das verlangt von uns, die verschiedenen wasserwirtschaftlichen Aspekte wie die Versorgung der Haushalte, das Auffangen von Regenwasser, die Abfallaufbereitung und den Hochwasserschutz zu integrieren.

Monumental aber nicht unmöglich

Und schließlich müssen wir Festabfälle so bewirtschaften, dass sie zu einem Rohstoff statt zu einem Kostenfaktor werden. In vielen Entwicklungsländern sind 60-80 Prozent des Festabfalls biologischer Art, und offene Deponien führen dazu, dass unnötig hohe Mengen an Methan in die Atmosphäre entweichen. Die klammen Kommunen geben 30-40 Prozent ihrer Haushaltsmittel für die Abfallwirtschaft aus, ohne viel davon zu profitieren. Doch mit einigen einfachen Verbesserungen bei Technologie und Design – die etwa auf höhere Kompostierungs- und Recyclingraten ausgerichtet sind –, ließen sich 90 Prozent dieser Abfälle in etwas Nützliches wie Biogas und Biokraftstoffe verwandeln.

Diese sechs Schritte verlangen umfassende, koordinierte Verhaltensänderungen und erfordern, dass Regierung und Behörden auf allen Ebenen zusammenarbeiten, bedarfsgerecht investieren, Ideen austauschen, bewährte Verfahren übernehmen und langfristig planen. Sie stellen eine monumentale, kaum zu bewältigende Herausforderung dar, aber keine unmögliche. Wenn wir sie bewältigen, könnte die Welt tatsächlich die Art von städtischer Zukunft bekommen, die sie verdient.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Copyright: Project Syndicate, 2014.
 www.project-syndicate.org

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