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Gastkommentar Die ratlosen Griechen

Frustriert und verunsichert gehen die Griechen zur Wahl. Profiteure sind die Linkspopulisten - zum Schaden der Reformpolitik. Von Susanna Vogt
Die linkspopulistische Syriza von Alexis Tsipras (M.) führt in den Umfragen
Die linkspopulistische Syriza von Alexis Tsipras (M.) führt in den Umfragen
© Getty Images

Susanna Vogt ist Leiterin des Auslandsbüros Griechenland der Konrad-Adenauer-Stiftung

Die Mehrheit der Griechen hat sie nicht gewollt, die am kommenden Sonntag stattfindende vorgezogene Parlamentswahl. Unter hohem Druck der Opposition waren im vergangenen Monat die turnusmäßigen Präsidialwahlen zum Lackmustest für die Regierung geworden, der es mit ihrer hauchdünnen Mehrheit nicht gelang, einen neuen Staatspräsidenten zu wählen. Darauf hat die Opposition gewartet – findet diese Wahl doch in einem innen- und europapolitisch zusehends aufgeheizten Klima statt.

Vor dem jetzigen Urnengang ist die Stimmung unter den griechischen Wählern vor allem von Ratlosigkeit und Widersprüchen geprägt: 55 Prozent hatten sich noch vor den Präsidialwahlen für eine Fortführung der Koalitionsregierung aus ND und PASOK ausgesprochen. Dennoch gehen nun 61 Prozent der Griechen davon aus, dass die linkspopulistische Syriza mit nicht finanzierbaren Wahlversprechen und einer klaren Anti-Reformagenda die Wahlen gewinnen wird. Zugleich spricht sich mit 75,7 Prozent eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung für den Verbleib des Landes in der Eurozone aus, Angst vor einem „Grexit“ haben 59,2 Prozent. Und 35 Prozent der Griechen halten den amtierenden Premier Samaras für den besseren Ministerpräsidenten – im Vergleich zu 28,5 Prozent für den Syriza-Parteivorsitzenden Tsipras.

Parteipolitische Orientierungslosigkeit

Nach fünf Jahren Reformprogramm und massiven Einsparungen ist der griechische Wähler über die richtige Strategie spürbar verunsichert: Zu wenig bzw. spät wurden strukturelle Reformen angegangen, die die Bevölkerung Veränderungen erkennen lassen und von dem eingeschlagenen Weg überzeugen. Immer noch bedienen sich die Parteien einer Rhetorik, die die Reformen als von außen erzwungene Agenda charakterisiert. Syriza verspricht vor allem zwei Gruppen eine Rückkehr zum Status quo ante: denjenigen, die glauben, dass sie nichts mehr zu verlieren haben, sowie denjenigen, die alte Besitzstände wahren wollen – nicht zuletzt im öffentlichen Beschäftigungssektor. Außerdem gewinnt die Partei Stimmen von frustrierten Parteigängern aus allen Lagern.

Syriza und andere politische Bewegungen versuchen dabei bewusst, sich nicht mehr als Parteien zu präsentieren: „Politik ohne parteipolitische Vergangenheit“ lautet das Credo. Die Frustration des griechischen Wählers drückt sich im Erfolg dieses Ansatzes aus. Scheinbar wahllose Personalwechsel zwischen diametral gegenüberstehenden Parteien im Vorfeld der Wahl spiegeln dies auf Ebene der politischen Akteure wider – auch hier sind parteipolitische Gewissheiten offenkundig zu Ende gegangen.

Syriza führt die Umfragen derzeit mit rund vier Prozent und ist damit einem Wahlsieg so nah wie nie zuvor. Die regierungs- und verwaltungsunerfahrene Partei propagiert Maßnahmen, die für Griechenland weder im europäischen Kontext politisch darstellbar noch finanzierbar sind. Sollte sie nach einer möglichen Regierungsübernahme eine rasante Wende vollziehen, bleibt das Risiko aufgrund interner Friktionen hoch. Ganz zu schweigen vom hohen Verlust parteipolitischer Glaubwürdigkeit. Bis dahin verfangen die Botschaften Syrizas jedoch bei den reformmüden Griechen.

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