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Bernd Ziesemer Die merkwürdige Exportlücke in China

Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
© Martin Kress
Die deutschen Ausfuhren in die Volksrepublik China schwächeln. Dahinter steckt auch eine neue Strategie vieler Konzerne

Die Wissenschaftler des Kieler Instituts für Weltwirtschaft nennen es eine „einmalige Exportlücke“. Die deutschen Ausfuhren nach China schwächeln viel stärker, als es nach dem Trend der vergangenen Jahre zu erwarten wäre. Früher galt die Regel: Je stärker die chinesische Wirtschaft wächst, umso besser entwickeln sich auch die deutschen Exporte in das Land. Doch inzwischen meldet China zwar immer noch Wachstum (wenn auch weniger als in vergangenen Jahren). Die deutschen Exporte aber sinken real. Dafür gibt es nur eine vernünftige Erklärung, wie der Kieler Handelsforscher Vincent Stamer in einer neuen Studie betont: Was die Konzerne früher in die Volksrepublik exportierten, produzieren sie inzwischen vermehrt vor Ort.

Viele deutsche Konzerne wie BASF, Mercedes oder Volkswagen bauen ihre Produktionsbasis in China immer weiter aus. Sie reinvestieren die Gewinne, die sie dort machen, immer stärker im Land. Das extremste Beispiel für diesen Trend liefert BASF: Der deutsche Chemiekonzern baut gerade einen zweiten Verbundstandort in China, der Investitionen in Höhe von 10 Mrd. Euro verschlingen dürfte. In der Regel ziehen solche Projekte der großen deutschen Konzerne außerdem ein Heer von deutschen Zulieferern an, die sich in der Nähe der neuen Werke ansiedeln. So wächst am Ende die „Exportlücke“ immer weiter.

Entkopplung der etwas anderen Art

Einige Konzerne lassen keinen Zweifel daran, dass sie ihr China-Geschäft autark betreiben möchten. Alles, was man vor Ort verkauft, will man dort auch produzieren. Man könnte von einer Entkopplung der etwas anderen Art sprechen: Die Konzerne entkoppeln sich nicht von der Volksrepublik, sondern ihr China-Geschäft vom Rest ihres Konzerns. Im Zweifel steht am Ende dieses Prozesses auch eine weitgehende juristische und personelle Unabhängigkeit der China-Aktivitäten. Die Konzernzentralen agieren nur noch als Eigentümer, aber ziehen sich aus dem Management weitgehend zurück.

Dahinter steckt eine unausgesprochene Einschätzung: Viele deutsche Konzerne rechnen inzwischen damit, dass sich der politische Konflikt zwischen den USA auf der einen Seite und China auf der anderen Seite weiter verschärfen wird – bis hin zu einem bewaffneten Konflikt in der Straße von Taiwan. Weil sich in diesem Fall auch die Europäische Union (EU) nicht neutral verhalten könnte, suchen die Konzerne einen Ausweg, um nicht zwischen die Fronten zu geraten. Man will das China-Geschäft mit anderen Worten durch seine völlige Verselbständigung befähigen, westlichen Sanktionen zu widerstehen.

Ob dieses Kalkül im Fall eines schweren Konflikts mit der Volksrepublik wirklich aufgeht, muss man jedoch bezweifeln. Falls die USA selbst in den Krieg ziehen, dürften sie ein noch härteres Regime in den Handelsbeziehungen erzwingen als im Ukraine-Krieg gegen Russland. Im Korea-Krieg in den 50er-Jahren war es Washington gelungen, China völlig von der Weltwirtschaft zu isolieren. So leicht kann man das nicht wiederholen. Aber man sollte nicht daran zweifeln, dass es die USA versuchen werden, wenn es hart auf hart kommt.

Bernd Ziesemer

ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.

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