Nach dem Aus der Jamaika-Sondierungsgespräche betrachtet die angelsächsische Presse die Kanzlerin als größte Verliererin. In der Financial Times sieht der Kolumnist Wolfgang Münchau ihr politisches Ende nahen: „Es ist zu früh, um Merkels politischen Nachruf zu schreiben, aber wir sind nicht weit von diesem Punkt entfernt.“ Führe man sich alle vom Grundgesetz vorgesehen Optionen vor Augen, „fällt es schwer, sich eine vorzustellen, in der Frau Merkel über ein paar Monate hinaus Kanzlerin bleibt“.
Zwar könnten auch Minderheitsregierungen stabil sein, wenn sie über eine stabile Unterstützerbasis verfügten. Es sei aber nicht davon auszugehen, dass die Opposition Merkel über längere Zeit derart unterstützen werde. Münchau folgert: „Das Szenario, in dem Frau Merkel als deutsche Kanzlerin für weitere vier Jahre wiederaufersteht, ist von geringer Wahrscheinlichkeit. Falls Sie zu denen gehören, die sie als Anführerin des Westens betrachten, ist es an der Zeit, sich anderweitig umzuschauen.“
Ähnlich sieht es der Deutschland-Reporter der Washington Post, Rick Noack : „Noch vor wenigen Monaten war die deutsche Kanzlerin Angela Merkel die mächtigste Führungsperson Europas. Manche behaupteten gar, sie sei zur Anführerin der westlichen Welt aufgestiegen und habe das Vakuum gefüllt, das Präsident Trump hinterlassen hat.“ Das habe sich nun gravierend geändert: „Im Moment ist sie nicht einmal die mächtigste Person in Deutschland.“ Das sei vielmehr Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Denn er – und nicht Merkel – entscheide jetzt darüber, wie es weitergehe.
Der britische Guardian spricht dramatisch von der „schlimmsten politischen Krise seit Jahrzehnten“, in die Deutschland gestürzt sei. Noch nie sei Merkels Position so bedroht gewesen, schreibt Korrespondent Philip Oltermann . Er vermutet, dass Merkel die ultimative Machtprobe bevorstehe: „In den vergangenen Wochen standen vor allem die politischen Unterschiede zwischen den Parteien im Fokus der Debatte in Deutschland. Nun dürfte er sich auf die Kanzlerin verschieben – und auf die Frage, ob sie noch über ausreichend Macht verfügt, um eine starke Regierung zusammenzuhalten.“