Tim Landgraf ist Professor für künstliche Intelligenz und kollektive Intelligenz an der Freien Universität Berlin. Er forscht zu Methoden des maschinellen Lernens, unter anderem indem er das Verhalten von sozialen Insekten wie Bienen untersucht. Er war Speaker bei der Rise of AI Konferenz in Berlin. Capital war Medienpartner der Konferenz.
CAPITAL: Herr Landgraf, vor einigen Jahren haben Sie Aufmerksamkeit erregt, weil sie Roboter-Bienen entwickelt haben, die mit Honigbienen kommunizieren konnten. Was ist aus diesem Projekt geworden?
TIM LANDGRAF: Das ist kurz auf Stand-by. Bienen kommunizieren über den sogenannten Bienentanz. Wir mussten am Ende des Projekts zugeben, dass wir noch nicht so ganz verstanden hatten, wie der Bienentanz genau funktioniert . Zumindest haben wir es noch nicht so tiefgreifend verstanden, dass man das in einem Roboter nachbilden kann. Das war schon so gut, dass der Roboter manchmal Erfolg hatte, indem er Bienen zum Mittanzen oder Ausfliegen auffordern konnte oder sie in der richtigen Richtung nach Futter suchen ließ. Allerdings schaffte er das nicht für alle Bienen und warum, das wissen nicht. Deswegen wurde der Bienenroboter erst einmal eingemottet.
Woran arbeiten Sie jetzt?
Wir haben ein neues Projekt gestartet, bei dem wir alle Bienen markieren und über ihr gesamtes Leben verfolgen. Mit Hilfe von Machine Learning schauen wir dann, wer was mit wem macht, wie lange, wo und so weiter. Also all die Sachen, die wir analog auch gern bei komplexeren Systemen beobachten würden wie dem Menschen, was aber natürlich technisch nicht so einfach möglich ist wie bei Bienen. Was wir im Zuge dieser Beobachtungen lernen, werden wir dann wiederum in den Bienenroboter zurückführen. Bisher haben wir zwar schon erste Spuren, aber noch sind wir mitten in der Analyse.
"Die Natur ist eine hochgradig komplexe Technologie"
Was können Wissenschaftler von der Natur lernen?
Viel. Natur ist ja nicht nur grün und schön, sondern die Natur, wie wir sie jetzt sehen, ist das Resultat eines sehr langen Optimierungsprozesses – und ein sehr robustes Resultat. Alles, was wir sehen, ist eine hochgradig komplexe und weit entwickelte Technologie. Wo man hinschaut, kann man sich Prinzipien davon abgucken. Manchmal sind diese Prinzipien allerdings schon so weit entwickelt, dass man sie nicht einfach übertragen kann. Deshalb kann man eigentlich, wenn man von Natur zu Technik portiert, nur die groben Ideen nehmen und nicht die einzelnen Details.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Ein Projekt, an dem ich auch arbeite, ist von der Art und Weise inspiriert, wie Bienen Energie, also Nektar, austauschen. Denn Bienen müssen nicht immer in die Honigwabe gehen, um Nektar zu bekommen, sondern sie können einander auch unterwegs „anpumpen“. Dafür haben Bienen einen extra Sozialmagen. Dieser Austausch hat das System so sehr optimiert, dass es sich in der Evolution gelohnt hat. Das kann man jetzt auf unsere Systeme, beispielsweise elektrische Fahrzeuge übertragen. Die haben ja immer noch Akzeptanzprobleme, weil die Energie knapp ist und weil die Angst besteht, dass man liegen bleibt. Warum macht man also nicht das, was die Bienen tun auch bei elektrischen Fahrzeugen? Wenn man eh bald autonome Fahrzeuge hat, könnte man ja auch die Fahrzeuge während der Fahrt miteinander koppeln und dann voneinander laden. Solch ein Peer-to-peer Charging würde auf jeden Fall Zeit sparen, man braucht nur die richtigen Systeme dafür.
Wie lautet Ihre allgemeine Einschätzung: Wo steht Deutschland in puncto Künstliche Intelligenz?
Wir haben ein paar spezielle Player, die in ihren respektiven Feldern schon Weltklasseniveau haben. Aber sagen wir es mal so, in der Breite – vor allem im Vergleich zu den großen Playern – sind wir noch zu klein und der Abstand wird auch immer größer. Wenn man sich die Funding-Policies anguckt, die in China und den USA möglich sind, dann merkt man, dass man hier in Deutschland noch keine passende gefunden hat . Selbst die spärlichen Zusagen, die wir bekommen, um die Forschung in diesem Bereich zu fördern, werden noch nicht ausgeschöpft. Das ist schade. Die Zeit tickt weiter und die Talente wandern ab.
"Es fehlt die organisierte Forschung in großen Verbünden"
Hat Deutschland dann überhaupt noch Chancen aufzuholen oder haben uns China und die USA schon abgehängt?
Die Rechnung wird jeden Tag neu gemacht. Man muss einfach schauen, wie man sich strategisch einstellt. Ich glaube nicht, dass wir auf politischer Ebene völlig ahnungslos sind. Es gibt hier und da zarte, manchmal auch handfeste, Bemühungen in Entscheidungsprozesse der Politik Expertise mitreinzuholen. Das könnte man natürlich noch viel drastischer, schneller machen. So wie es ist, ist es aber einfach der deutsche Weg, das war schon immer so. Und das ist auch nicht unbedingt schlecht. Wir schauen beispielsweise viel auf den Ethikaspekt, also KI-Ethik und Responsible AI, und versuchen, uns da ein Feld zu schaffen. Sich in diesem Bereich einen Namen zu machen, steht der EU ganz gut und da wird die Reise auch hingehen, denke ich.
Woran genau fehlt es der deutschen und europäischen KI-Forschung?
Wie gesagt haben wir Arbeitsgruppen, die in ihren jeweiligen Ausrichtungen Weltklasse sind. Es fehlt allerdings die Masse, das Netzwerk, die organisierte Forschung in großen Verbünden. Es gibt keine Forschungsprogramme, die kombinierend oder organisierend wirken, aber genau das brauchen wir. Wir brauchen europaweit ein Netzwerk von Forschungsinstituten, die speziell auf KI ausgerichtet sind und verschiedene Felder miteinander kombinieren und integrieren. Andersherum fehlt es auch an Ansprech- und Forschungspartnern für die Industrie. Es gibt ja genug Firmen, die nicht eigene R&D-Labore betreiben. Wir haben noch nicht genug begriffen, dass mehr Austausch und Zusammenarbeit viel bringt und notwendig ist.
"In vielen Bereichen wird noch sehr konservativ entschieden"
Gibt es denn bisher gar keine Bemühungen in diese Richtung?
Es gibt Vorstöße, also zum Beispiel die ELLIS-Initiative europäischer KI-Forscher für ein europäisches Machine Learning-Institut. Ob da etwas Handfestes draus wird, ist noch offen. Auf EU-Ebene gibt es Forschungsprogramme, die verschiedene Aspekte beleuchten und auch fördern. Das sind dann aber zwar für eine Forschungsgruppe allein relativ große Forschungsprogramme, aber global gesehen sind es Peanuts.
Sie sagen, es fehle an Ansprechpartner für die Industrie. Wie steht es allgemein um den Dialog zwischen Forschung und Unternehmen im Bezug auf KI?
Die großen Firmen haben eigene Forschungsbüros oder –gruppen, die wenig kommunizieren müssen, weil sie selber rekrutieren und sich damit das Know-how holen. Grundsätzlich denke ich, dass die Unternehmen im Bereich E-Commerce ein wenig offener sind als die klassische Industrie. Ich glaube schon, dass dort in vielen Bereichen immer noch sehr konservativ entschieden wird. Es ist auch an uns Forschern zu zeigen, dass KI Value bringt und an welchen Stellen. Da ist eine große Kommunikationsaufgabe und da muss man versuchen, bei den Entscheidern Verständnis zu entwickeln wie sie so ein System einschätzen müssen und wie man den Mehrwert quantifizieren kann.