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Kolumne Die hausgemachte Rohstoffkrise

Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
© Martin Kress
Die deutschen Unternehmen hungern nicht nur nach Halbleitern, sondern nach immer mehr Rohstoffen. Viel Schuld daran trägt die Politik

In der Autoindustrie fehlt Aluminium. Die Stahlhersteller brauchen dringend mehr Magnesium für ihre Legierungen. In den Elektrokonzernen stöhnen sie über die Kupferknappheit. Keine Woche vergeht in der deutschen Wirtschaft ohne neue Meldungen über Rohstoffprobleme. Und viele tun dabei so, als sei das Thema ganz neu: Eine unerwartete Folge der Corona-Epidemie, ein plötzlicher Nachfrageschub in der Welt, eine unglückliche Überlastung der globalen Lieferketten.

Dabei sahen die hellsichtigeren Geister der deutschen Industrie schon vor vielen Jahren, dass wir langfristig auf eine Krise zusteuern würden. Der BDI setzte das Thema schon vor 15 Jahren mit Macht auf die politische Tagesordnung. 2010 ließ sich das Bundeswirtschaftsministerium die Gründung einer Rohstoffagentur abringen. 2016 mahnte der damalige BDI-Präsident Ulrich Grillo eindringlich eine „nationale Rohstoffstrategie“ an. Doch in der Praxis passierte bis heute wenig.

Viele der Rohstoffe, die heute schmerzlich fehlen, sind keineswegs von Natur aus knapp. Magnesium gehört zu den zehn häufigsten Elementen in der Erdkruste. Die Förderung von Magnesiumoxid, aus dem man das Metall gewinnt, ist kein Problem. Die chemische Verarbeitung nach dem sogenannten Pidgeon-Verfahren auch nicht. Trotzdem findet heute 88 Prozent der weltweiten Magnesium-Produktion in einem einzigen Land statt: in China. Die Chinesen setzten sich in den vergangenen Jahrzehnten mit Kampfpreisen durch – und verdrängten die Konkurrenz. Bis auf wenige Warner sah darin niemand ein größeres Problem. Nun verhängt China einen Lieferstopp für das Metall, weil der Strom für die energieintensive Produktion fehlt. Und alle jammern.

Eine nationale Rohstoffstrategie, die Grillo schon vor fünf Jahren forderte, müsste vor allem die starke Abhängigkeit von China thematisieren. Viele sehen die umstrittene „Entkopplung“ als politisches Manöver der Amerikaner. Das Beispiel Rohstoffe zeigt jedoch: Schon aus wirtschaftlichem Selbsterhaltungstrieb kommen wir nicht um das Thema herum. Wahr ist dabei aber auch: Umsonst kommen wir nicht ans Ziel. Mehr Versorgungssicherheit ist kurz- und mittelfristig mit höheren Kosten verbunden. Erst langfristig zahlt sie sich aus.

Die deutschen Konzerne können das Thema auch nicht allein lösen. Es geht um Zölle und Handelsfragen, um staatliche Rahmenverträge für Rohstofflieferungen und vieles mehr. Als erstes müsste die nächste Bundesregierung mit der Naivität brechen, die zum Markenzeichen der Außen- und Sicherheitspolitik unter Angela Merkel geworden ist. China handelt eben nicht wie ein verantwortlicher Mitspieler in der Weltpolitik, wie man in Berlin viel zu lange annahm, sondern setzt die eigenen Interessen mit Brachialgewalt an die erste Stelle. Was kümmert die Chinesen der Magnesium-Mangel im Westen, solange sie ihre eigene Industrie mit dem Rohstoff versorgen können? Wenig.

Natürlich geht es bei einer nationalen Rohstoffstrategie nicht allein um China. Kupfer beziehen wir zum Beispiel vor allem aus Chile, wo die größten Vorkommen der Welt im Boden liegen. China folgt erst mit weitem Abstand auf Platz 3. Trotzdem bleibt China der wichtigste Einzelfaktor in der weltweiten Rohstoffversorgung. Und das gleich doppelt: Sowohl als Produzent als auch als Konsument. In den USA gibt es die schöne Metapher vom „800-Pfund-Gorilla“, an dem niemand in einem Raum vorbeikommt. Wenn es um Rohstoffe geht, ist die Volksrepublik China dieser Gorilla.

Bernd Ziesemerist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.

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