Vor fast genau einem Jahr war an dieser Stelle ein Kommentar zu lesen, den man heute fast wortgleich wiederholen könnte. Denn schon damals stand die Lufthansa kurz davor, die italienische Fluglinie ITA zu übernehmen. 2021 sollte der Deal noch von der Reederei MSC finanziert werden. Während der turbulenten Regierungsumbildung in Italien wurden die Pläne aber auf Eis gelegt. Und MSC hat sich mittlerweile eines Besseren besonnen. Aber die Lufthansa hält an dem Übernahmeplan fest – und nun steht der Deal mit dem Nachfolger der Alitalita offenbar wirklich bevor.
Lufthansa-Chef Carsten Spohr hat wie schon sein Vorgänger im Amt Wolfgang Mayrhuber stets ein Auge auf die stolze italienische Fluglinie geworfen. Die wechselnden Führungsspitzen der chronisch defizitären Airline schickten regelmäßig Liebesgrüße aus Rom nach Frankfurt, drängten sich den Deutschen teilweise geradezu auf. Von Bewunderung für die Lufthansa war die Rede, von großem Respekt für Spohr. Wer kann da schon widerstehen?
Spohr konnte es nicht. Obwohl die Luftverkehrsbranche gerade inmitten der größten Krise aller Zeiten steckt, die auch die Existenz der Lufthansa gefährdet hat. Zwei Jahre lang schleppten sich die Fluglinien durch die Coronapandemie, konnten nur mit milliardenschwerer Staatshilfe vor der Pleite bewahrt werden, sitzen noch immer auf einem hohen Schuldenberg und warten darauf, dass die Buchungszahlen wieder an das Vorkrisenniveau anknüpfen.
Die Welt hat sich verändert
Doch die Welt hat sich verändert: Krieg und Krisen haben die Abschottungspolitik zwischen geostrategischen Partnern verschärft. Wichtige Reiseziele für Geschäfts- und Freizeitreisende sind nicht mehr sicher oder unattraktiv. Und auch das Klimaschutzbewusstsein wird für viele Menschen ein wichtiger Kalkulationsfaktor für Reisen.
So wirkt der geplante Deal von Lufthansa mit ITA Airways wie aus der Zeit gefallen. Als würden die Lufthanseaten stoisch ihren vergilbten Strategieplan weiter abarbeiten. So wie sie sich in den vergangenen Jahren eine Airline nach der anderen in den Nachbarländern geschnappt haben: Swiss, Austrian Airlines, Brussels. Stets galt es, lukrative Märkte mit zahlungskräftigen Kunden und attraktiven Routen zu besetzen. Entstanden ist ein großes, überaus komplexes Gebilde mit fünf Drehkreuzen für Langstreckenflüge in Frankfurt, München, Zürich, Wien und Brüssel. Die müssen alle stetig durch massig Regionalverbindungen mit Passagieren gefüttert werden. Im Idealfall. Den gibt es jedoch nicht mehr.
Nun also noch Italien mit den beiden großen Flughäfen Rom und Mailand. Ein Markt, der einen validen Anteil gutsituierter, reisefreudiger Kunden aufweisen kann und auch als Zielgebiet für Urlauber aus aller Welt attraktiv ist. Nur hat damit bislang noch niemand Geld verdient: Alitalia hat Milliarden verbrannt, wurde vom Staat immer wieder mit Finanzspritzen mehr schlecht als recht über Wasser gehalten, bis sie schließlich abgewickelt werden musste. Die Nachfolgegesellschaft ITA kommt mit weniger Mitarbeitern, weniger Flugzeugen und niedrigeren Kosten auch nicht über die Runden.
Das kann die Lufthansa auch nicht besser. Auch wenn das die ITA-Führung mit Blick auf die Entwicklung von Swiss, Austrian Airlines und Brussels erwartet. Auch Spohr kann nicht vorhersagen, wann die Buchungsflaute zu Ende sein wird. Wie er all die Drehkreuze wieder beleben und all die großen Maschinen so vollkriegen will, dass Margen von bis zu acht Prozent wie zu besten Zeiten erzielt werden, ist auch noch offen. Noch dazu hat die Lufthansa in den vergangenen Monaten eindrücklich gezeigt, wie wenig sie das Chaos nach den ersten Buchungsanstürmen im Griff hatte. Das wird auch nicht besser, wenn die Lufthansa künftig auch noch die ITA in ihrer großen Patchwork-Familie mit durchschleppen will.
Was bleibt bei diesem neuerlichen Anlauf unter dem Strich? Das Lufthansa-Management gibt Millionen aus, um sich mit noch mehr Flugzeugen, noch mehr Flughäfen, noch mehr Gewerkschaften und noch mehr Kunden im besten Fall noch mehr Geschäft ins Haus zu holen – aber auch noch mehr Ärger.