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Kolumne Die Formel des Westens ist kaputt

Der Westen hat den Kalten Krieg gewonnen - aber er zieht heute die falschen Schlüsse daraus. Von Christian Schütte
Christian Schütte
Christian Schütte schreibt an dieser Stelle über Ökonomie und Politik
© Trevor Good

Fast auf den Tag genau 25 Jahre ist es jetzt her, dass der real existierende Sozialismus abgewählt wurde. Am 4. Juni 1989 fanden in Polen die ersten halbwegs freien Wahlen nach dem Zweiten Weltkrieg statt. Der Rest ist, wie man so sagt, Geschichte. Eine Erfolgsgeschichte.

Das große Happy End im Weltmaßstab ist allerdings leider ausgeblieben. Die neue friedliche Weltordnung, die Amerika und Europa nach dem Ende des Kalten Krieges aufbauen wollten, ist inzwischen zu großen Teilen Makulatur.

Mittlerweile lässt sich das fast täglich besichtigen, nicht nur am Beispiel Ukraine: Wenn es um die entscheidenden Themen geht – Energie, Militär, ja sogar Staatsgrenzen -, dann spielt die Musik eben nicht, wie erhofft, bei der Uno oder gar in Brüssel. Ja nicht einmal mehr im Weißen Haus in Washington. Sondern dann betreiben neue und zurückkehrende Mächte klassische alte Machtpolitik.

Die Freiheitsangebote des Westens haben gesiegt

Der US-Politologe Walter Russell Mead hat kürzlich in der Zeitschrift „Foreign Affairs“ einen sehr lesenswerten Aufsatz über „Die Rückkehr der Geopolitik“ geschrieben. Er beschreibt darin en passant eine Denkfigur, die im Westen seit dem Fall der Mauer völlig selbstverständlich geworden ist. Die aber dringend neu durchdacht werden muss.

Es ist die schöne Idee, dass die liberale Demokratie und die offene Gesellschaft praktisch unbesiegbar sind, weil sich ihren Attraktionen am Ende doch jeder beugt. Die Lehre aus dem Kalten Krieg war ja eindeutig: All die harte Macht der Sowjetunion war letztlich chancenlos gegen die Freiheitsangebote des Westens.

Mead beschreibt diese vermeintliche Zauberformel so: „Wer den Westen mit Erfolg bekämpfen will, der muss dazu selbst so werden wie der Westen.“ Was dann automatisch alle Kampfeslust beseitigt. Denn wenn ein Land erstmal richtig verwestlicht - so Mead leicht ironisch -, dann wird es selbst zu „einer dieser pazifistischen, hasenfüßigen Wischi-waschi-Gesellschaften, die für nichts mehr kämpfen wollen“.

„If you can´t beat them, join them“

Die Weltgeschichte schreitet gleichsam automatisch von Facebook-Revolution zu Facebook-Revolution voran, dem Frieden und der Freiheit entgegen. Für die (Noch-)Gegner des Westens heißt diese Logik schlicht: „If you can´t beat them, join them“. Wenn Du den Westen schon nicht schlagen kannst, dann ist es bloß vernünftig, so zu werden wie er. Und seine vielfältigen Kooperationsangebote anzunehmen.

Es entspricht dieser schönen Logik, dass der Westen den Putins dieser Welt stets vorhält, sie bewegten sich noch „im vergangenen Jahrhundert“ und sie würden sich mit ihrer Konfrontationspolitik „nur selbst schaden“.

Das Problem ist leider, dass die Zauberformel eben doch nicht ganz so zuverlässig funktioniert wie man das in den 90er Jahren glauben konnte. Heute ist offenkundig, dass der amerikanische oder der europäische Weg in der Welt längst nicht mehr überall als alternativlos gelten. Als Wladimir Putin kürzlich China besuchte, waren er und seine Gastgeber sich zumindest in diesem Punkt völlig einig.

Der Hipness-Faktor ist weg

Liberale Demokratie und Marktwirtschaft sind keine internationalen Selbstläufer mehr. Ihr weltweiter Frühling ist vorerst vorbei.

Das heißt nun keineswegs, dass ihre Anhänger nun auch noch ihrerseits in tiefe Selbstzweifel fallen müssten. Oder gar den Autokraten nacheifern sollten.

Das Gegenteil ist der Fall: Es wird Zeit, wieder über die wirklichen Vorzüge und Stärken des eigenen Systems nachzudenken. Vorzüge und Stärken, die sich ja nicht nur in Polen seit 1989 eindrucksvoll gezeigt haben.

Eines reicht allerdings nicht mehr: Einfach bloß anzunehmen, dass schon unser Hipness-Faktor unschlagbar ist.

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