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Bernd Ziesemer Die Energie der deutschen Schwarzmaler

Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
© Martin Kress
Politik und Wirtschaft baden geradezu in düsteren Szenarien für den Winter. Aber gibt es wirklich keine Hoffnung am Gas- und Strommarkt?

Wenn Ludwig Erhard wirklich recht hatte mit seinem berühmten Satz, 50 Prozent der Wirtschaft sei Psychologie, dann läuft gegenwärtig einiges falsch in Deutschland. Politik und Wirtschaft ergehen sich mit geradezu masochistischer Lust in immer düsteren Prophezeiungen über die baldige Energienotlage. Man warnt und droht, malt alles schwarz in schwarz, so dass die Furcht vor einer zusammenbrechenden Erdgasversorgung und vor unbezahlbaren Strompreisen immer tiefer in die Köpfe der Bürger dringt. Natürlich gehört es zu den Aufgaben der Politik, die Bevölkerung auf schwere Belastungen vorzubereiten. Und natürlich ist es legitim, dass die Industrie ihre Interessen verteidigt und dazu auch auf die Folgen möglicher Abschaltungen hinweist. Aber Führung heißt eben auch, Hoffnung zu wecken und Auswege aus der Krise zu zeigen. Daran hapert es zurzeit.

Gibt es denn überhaupt keine positiven Zeichen an den Energiemärkten? Doch, die gibt es. Um nur ein paar zu nennen: Die Erdölpreise sinken. Die Erdgasspeicher füllen sich, wenn auch nur noch langsam. Der erste Flüssiggasterminal könnte noch in diesem Jahr ans Netz gehen, wenn in Wilhelmshaven alles weiter gut läuft. Die Norweger und Niederländer fahren ihre Förderung hoch, um ausfallende Mengen aus Russland zum Teil auszugleichen. Griechenland verbindet Bulgarien endlich mit einer neuen Erdgaspipeline, deren Bau viele Jahre nicht vorangekommen ist. Kasachstan nabelt sich von Russland ab und bietet der Europäischen Union (EU) zusätzliche Lieferungen an. Und bei uns in Deutschland fangen sowohl die Bürger als auch die Industrie offenbar ernsthaft an, Energie zu sparen, wo es nur geht. Vieles, was sich seit Jahrzehnten nicht bewegte, bewegt sich jetzt.

Gefährlicher Unsinn

Wahrscheinlich reicht das alles nicht aus, um uns schwere Belastungen in diesem Winter zu ersparen. Aber man sollte es mit der Schwarzmalerei auch nicht übertreiben wie am Freitag das „Handelsblatt“. Dort beschwören die Autoren die Erinnerung an den „Hungerwinter 1946/47“ und reden von „Katastrophenmonaten“, ja sogar von Toten durch „Kälte und Unterernährung“. Das ist gefährlicher Unsinn. Unsinn, weil nichts für ein derartiges Szenario spricht. Und gefährlich, weil man mit solchen Prophezeiungen Wladimir Putin in die Hände spielt, der Deutschland in Panik versetzen möchte.

Wenn man sich schon in weit zurück liegende Zeiten zurückversetzen möchte, dann sollte man sich lieber an Winston Churchill erinnern. Der britische Premier brachte im Zweiten Weltkrieg das Kunststück fertig, die Briten gleichzeitig vor schweren Zeiten („Nothing but blood, toil, tears and sweat“) zu warnen, aber auch Siegeszuversicht zu verbreiten („We will win“). Deutschland steht nicht im Krieg, wohl aber vor einer Energieschlacht, wir können es ein Stück kleiner nehmen. Aber auch Robert Habeck und Olaf Scholz müssen beides schaffen: Deutschland auf schwierigere Zeiten vorzubereiten, aber zugleich auch Mut zu vermitteln.

Schon jetzt muss man sich auf einige politische Kämpfe gefasst machen. Die Linke und die rechtsextreme AfD schalten bereits auf Defaitismus um und fordern die Kapitulation vor Putin, nur weil wir mehr für unseren Strom bezahlen müssen und die Heizungen bald um zwei bis drei Grad herunterdrehen werden. Die Mehrheit der deutschen Politik sollte das böse Spiel der Anti-Demokraten nicht durch übertriebene Schwarzmalereien befördern.

Bernd Ziesemer

ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.

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