Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Er schreibt hier regelmäßig über makroökonomische Themen.
Sie brummt und brummt und brummt. Weder die aktuellen Sorgen um China und andere Schwellenländer noch die Eurokrise der Jahre davor haben ihr etwas anhaben können. Die deutsche Jobmaschine läuft weiter rund. Im Januar dieses Jahres konnte Deutschland einen Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse um 730.000 gegenüber dem Vorjahr verzeichnen. Seit Beginn des Jobwunders Anfang 2006 ist die Zahl dieser Arbeitsplätze damit um knapp fünf Millionen auf jetzt 31,3 Millionen nach oben geschnellt. Den Höchststand von gut 30 Millionen unmittelbar nach der Wiedervereinigung, also vor dem flächendeckenden Absturz der ostdeutschen Industrie, hat Deutschland weit überschritten.
Da mehr Menschen als je zuvor in die Sozialkassen einzahlen, kann sich Deutschland heute über einen Überschuss im Staatshaushalt freuen. Die deutsche Jobmaschine ist der wohl wichtigste Grund dafür, dass nahezu alle Flüchtlinge und Migranten, die es von der Türkei und Libyen nach Griechenland oder Italien geschafft haben, am liebsten zu uns weiterziehen möchten.
Der robuste Arbeitsmarkt gibt uns auch die Chance, Zuwanderer zum allseitigen Vorteil bei uns zu integrieren. Das gilt vor allem dann, wenn wir überwiegend qualifizierte Zuwanderer aufnehmen oder bei den zumeist weniger qualifizierten Flüchtlingen darauf achten, dass sie sich möglichst schnell Sprache und Fähigkeiten aneignen können und müssen. Wer sich als schutzbedürftiger Flüchtling gut integriert, sollte dann die Chance bekommen, auch dann als willkommener Einwanderer bleiben zu dürfen, wenn der Grund für Flucht und Asyl dereinst entfallen sollte, beispielsweise bei einer Rückkehr zu geordneteren Verhältnissen in Syrien und im Irak.
Die Agenda 2010 brachte die Wende
Unser Beschäftigungswunder hat einen einfachen Grund. Mit den Reformen der Agenda 2010, die weitgehend 2004 umgesetzt wurden, ist Deutschland wieder ein guter Standort geworden, an dem Unternehmen wachsen und Arbeitskräfte einstellen wollen. Nachdem Deutschland es Anfang der 1990er-Jahre versäumt hatte, sich mit Reformen auch im Westen auf die Lasten der Wiedervereinigung einzustellen, verlor das vereinte Land bis Ende 2005 zunächst fast vier Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Standortflucht und Reformstau prägten das Bild. Die Agenda 2010 läutete dann die Wende ein.
Während unsere Jobmaschine brummt, geht allerdings die Zahl der Arbeitslosen nur langsam zurück, im Vergleich zum Vorjahr derzeit nur um knapp 80.000. Der Kontrast zur weit schneller steigenden Beschäftigung ist augenfällig. Offenbar fehlen den meisten registrierten Arbeitslosen die Voraussetzungen, die sie für die Jobs brauchen, die bei uns neu entstehen. Stattdessen speist sich die Zunahme der Beschäftigung aus einem späteren Eintritt in den Ruhestand, einer steigenden Erwerbsbeteiligung der Frauen und der Zuwanderung früherer Jahre.
Flexibilität steht nicht mehr an erster Stelle
Auch die beste Maschine muss regelmäßig gewartet werden, damit sie leistungsfähig bleibt. Dabei hapert es bei uns allerdings. Für die Zukunft zeichnen sich einige Probleme ab. Zum einen werden ab etwa Mitte 2016 vermehrt die knapp eine Million Zuwanderer auf den Arbeitsmarkt drängen, die von Mitte 2015 bis zum Februar 2016 zu uns gekommen sind. Bis dahin werden viele von ihnen über einen gesicherten Aufenthaltsstatus verfügen und ihre erste Sprachausbildung absolviert haben. Selbst bei weiterhin starkem Arbeitsmarkt kann dies die Zahl der registrierten Arbeitslosen in diesem Herbst um 100.000 bis 200.000 erhöhen, gefolgt von einem ähnlich hohen Anstieg im Jahr danach.
Zum anderen ist uns der Erfolg der letzten Jahre leider etwas zu Kopf gestiegen. Unsere Wirtschaftspolitik ist längst nicht mehr darauf ausgerichtet, den Arbeitsmarkt möglichst flexibel zu halten und so das Beschäftigungswunder dauerhaft abzusichern. Stattdessen bürden die vereinten Sozialpolitiker nahezu aller Parteien unter dem Beifall der meisten Wähler den Arbeitgebern neue Lasten auf.
Auf den ersten Blick sieht es so aus, als habe der Arbeitsmarkt die Einführung des Mindestlohnes von 8,50 Euro pro Stunde im Januar 2015 gut überstanden. Schließlich steigt die Beschäftigung ja rasant weiter. Bei genauerem Blick gibt es allerdings einige Warnzeichen. So ist seit dem Sommer 2014 die Zahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten um knapp 230.000 auf jetzt 4,8 Millionen zurückgegangen, nachdem sie bis dahin weitgehen konstant war. Etwa die Hälfte dieses Rückgangs mag ein Erfolg sein. Mit dem Mindestlohn haben manche Arbeitnehmer die Grenze von 450 Euro pro Monat überschritten. Sie sind damit von einem geringfügigen in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis aufgestiegen. Aber etwa 100.000 Stellen im Niedriglohnsektor sind wohl ersatzlos entfallen.
zeitlich begrenzte Ausnahmen vom Mindestlohn
Angesichts der aktuellen Stärke des Arbeitsmarktes insgesamt mag das heute kein großes Malheur sein. Derzeit würden vermutlich auch härtere Regeln für Zeitarbeit den Markt nur mäßig belasten. Aber auch unsere Konjunktur wird nicht immer so robust sein, wie sie es derzeit ist. Der nächste Abschwung kommt bestimmt, auch wenn er sich für 2016 und 2017 zum Glück noch nicht abzeichnet. Im Abschwung könnten uns diese neuen Fesseln für den Arbeitsmarkt teuer zu stehen kommen. Alles, was die Flexibilität des Arbeitsmarktes einschränkt, wird dann vor allem diejenigen treffen, die am unteren Ende der Lohn- und Qualifikationsskala direkt mit den neuen Zuwanderern konkurrieren müssen. Und den Migranten selbst erschweren solche Regeln den Einstieg in unseren Arbeitsmarkt. Beides könnte auf Dauer für sozialpolitischen Zündstoff sorgen.
Damit unsere Jobmaschine noch lange brummen kann, brauchen wir ein hohes Maß an Flexibilität. Dazu gehören beispielsweise mehr zeitlich begrenzte Ausnahmen vom Mindestlohn, flexible Beschäftigungsverhältnisse, staatliche Zuschüsse zu Praktika, auf denen Berufseinsteiger sich Fähigkeiten erarbeiten können, sowie liberale Regeln für Zeitarbeit. Da auch technologische Umbrüche die Arbeitswelt auf eine Art verändern, die vorab nur begrenzt vorhersehbar ist, sollte der Gesetzgeber Unternehmen und Arbeitnehmern möglichst viel Freiheit geben, Beschäftigungsverhältnisse zu gestalten, abgesichert durch ein leistungsfähiges und solide finanziertes soziales Netz. Je stärker unser Arbeitsmarkt, desto mehr soziale Sicherheit können wir uns leisten. Streuen wir stattdessen Sand ins Getriebe könnte die deutsche Jobmaschine in einigen Jahren schwer ins Stottern geraten.