Die mangelnde Digitalisierung und eine schleppende Modernisierung – das sind zwei populäre Kritikpunkte an der öffentlichen Verwaltung in Deutschland. Und wenn Experten dann noch den demografischen Wandel mit seinem absehbaren Personalmangel ergänzen, dann gerät auch die derzeit noch vorhandene Leistungsfähigkeit in Gefahr. In dieser komplexen Gemengelage könnte eine flexibel einsetzbare Beratungstruppe von Beamten und Verwaltungsbeschäftigten, die von Ort zu Ort reist, um bei Digitalisierungs- und Modernisierungsmaßnahmen zu unterstützen, einen Beitrag leisten. Sie könnte auf kommunaler, Landes- und Bundesebene eingesetzt werden, um die Verwaltung zu stärken und Abläufe zu beschleunigen.
Zugegebenermaßen mag diese Vorstellung zunächst abwegig erscheinen. Daher ist es geradezu paradox, dass die Bundesregierung vor genau drei Jahren diese Idee in ihr Arbeitsprogramm aufgenommen, aber seitdem nicht wirklich etwas für die Umsetzung getan hat.
„Wie Sie sehen, sehen Sie nichts“
Im Koalitionsvertrag der Ampel aus dem Dezember 2021 wird im Abschnitt zum modernen Staat festgehalten: „Die Inhouse-Beratungskapazitäten der öffentlichen Hand werden zu Beschleunigungsagenturen ausgebaut, auf die auch Länder und Kommunen einfach zugreifen können.“
Bis heute existiert eine solche Beschleunigungsagentur nicht. Stattdessen sind mittlerweile erste Anzeichen des nächsten Bundestagswahlkampfes sichtbar, der die Aufmerksamkeit der Regierung binden wird. Es ist daher wohl unwahrscheinlich, dass in dieser Legislaturperiode noch Beschleunigungsagenturen in Aktion treten werden. Mit einem Bonmot des Showmasters Hans-Joachim Kulenkampff kann das Vorhaben vorläufig bewertet werden. Als für längere Zeit in seiner Show „Einer wird gewinnen“ das Licht ausfiel, moderierte er trocken: „Wie Sie sehen, sehen Sie nichts.“
Besonders bemerkenswert bei dem Thema Beschleunigungsagentur ist eine weitere Beobachtung: Heute möchte sich bei den Regierungspartnern niemand als Urheber dieser eigentlich charmanten Initiative outen.
Einen Koalitionsvertrag kann man sich als Melange aus den Wahlprogrammen der Regierungsparteien vorstellen, bei der die einzelnen Verhandlungsteams intensiv darum ringen, möglichst viele ihrer jeweiligen Ziele dort unterzubringen. Experten sprechen hier von einer Delegationskette. Der Blick in die Wahlprogramme der heutigen Ampelparteien offenbart jedoch erstaunlicherweise keine Hinweise zur Idee oder dem Hintergrund der Beschleunigungsagentur.
Anfragen an Politiker sowie die Analyse von Bundestagsdebatten führten ebenfalls zu keinem brauchbaren Ergebnis. Und auch bei denen, die solche Beschleunigungsagenturen entweder umsetzen müssen, mit ihnen arbeiten dürfen oder in einem irgendwie gearteten Wettbewerb um Projekte stehen werden, sind keine Fährten zu finden.
Das gesamte Rechercheergebnis ist ernüchternd: keine Verantwortlichkeiten, keine Konzepte, keine Umsetzung. Lediglich im Jahr 2022 erwähnte die Regierung in einem Eckpunktepapier zu einer Personaloffensive kurz die Agentur und etwas später tauchte im Umfeld von Bund-Länder-Beratungen die Idee einer flexiblen Personal-Poollösung in Verbindung mit der Beratungsgesellschaft PD auf. Seither greift wieder das Kulenkampff-Zitat.
Es ist also eine paradoxe Situation: Politiker kämpfen alle vier Jahre mehr oder minder erfolgreich dafür, dass ihre Ziele und Themen Eingang in einen Koalitionsvertrag finden. Doch mit der Beschleunigungsagentur steht ein Vorhaben im Koalitionsvertrag, zu dem es weder Urheber noch Impulsgeber zu geben scheint – und das auch niemand aktiv aufgreift und für sich nutzt.
Nach dem scherzhaften „Wie Sie sehen, sehen Sie nichts“ soll „Kuli“ ergänzt haben: „Und was Sie nicht sehen, das sehen Sie gleich.“ Mit diesem Motto kann man auch bei der Beschleunigungsagentur fragen, wie sie aussehen könnte.
Wie die Agentur aussehen sollte
Ein erster Ansatzpunkt ist der Name. Die zu beschleunigenden Objekte sind nicht explizit benannt. Aber aus dem Kontext des Koalitionsvertrages lassen sich Modernisierung und Digitalisierung im Allgemeinen, sowie Planungen und Prozesse als konkretere Ziele ableiten. Der Begriff der Agentur klingt dabei moderner als das traditionelle behördliche Amt oder die Anstalt.
Für die Geschäftstätigkeit ist zu erkennen, dass Behörden auf allen föderalen Ebenen unterstützt werden sollen. Das Leistungsangebot ist damit schon vorgezeichnet und zielt auf die Bereiche Verwaltungsmodernisierung und Digitalisierung ab, bei denen dann durch Projektmanagementleistungen und den Transfer von Expertise geholfen werden kann.
Für Kunden ist die Agenturleistung dann interessant, wenn sie gute Services erwarten können, der Beauftragungsprozess einfach und zügig verläuft und der Rückgriff auf die Leistungen auch wirtschaftlich attraktiv ist, diese also kostengünstiger sind als vergleichbare externe Consultants. Dabei ist es wichtig, dass der ursprüngliche Charakter der Beratungsorganisation nicht verloren geht und weiterhin eine Consulting-typische Kultur gepflegt wird.
Damit die Beschleunigungsagentur nicht ein Modernisierungsmaskottchen bleibt, sondern Wirkung entfalten kann, bedarf es einer soliden Zahl an Consultants. Vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen kann ein erstes und noch grobes personelles Mengengerüst ermittelt werden.
100 Berater nötig
Um mit Schwung an die Aufgaben gehen zu können, sollte ein Start der Beratung mit 100 oder mehr Consultants und dem passenden Backoffice erfolgen. Mit einer solchen Größenordnung gewinnt die Organisation Sicherheit und erhält Aufmerksamkeit, sie hat Schwungmasse und kann zügig ihre operative Arbeit aufnehmen. Erste positive Ergebnisse sind dann auch zeitnah zu erwarten.
Nach der Startphase erfolgt ein Anwachsen auf 500 bis 1000 Beschäftigte. Damit ist eine pragmatische Ziel-Mittel-Relation erreicht: Eine deutlich kleinere Organisation setzt sich dem Verdacht von Feigenblattaktivitäten aus, einer größeren Organisation droht die Gefahr der stetigen Selbstbeschäftigung.
Diese Größenordnung lässt sich top-down herleiten und bottom-up validieren. Als konservatives Ziel kann die Internalisierung von etwa zwei bis drei Prozent der vom öffentlichen Sektor bisher extern vergebenen Beratungsausgaben formuliert werden. Bei einem durchschnittlichen rechnerischen Tagessatz von 1000 Euro können 600 Consultants und ihr Backoffice diese circa 120 Mio. Euro substituieren. Zur Orientierung: Diese Personalstärke liegt etwas unter der des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Gleichzeitig kratzt man mit dieser Größe an den Top-10 der deutschen Managementberatungen.
Das klingt zunächst beeindruckend. Tatsächlich ist das Mengengerüst aber zurückhaltend kalkuliert, wie die Bottom-up-Gegenrechnung zeigt: Wenn die 600 Consultants in Dreier-Teams arbeiten und jeweils drei Monate für ein Projekt benötigen, dann können sie 800 Projekte pro Jahr realisieren – was wiederum kontrastiert werden muss mit den rund 11.000 Städten und Gemeinden oder den über 900 Bundesbehörden sowie dem oben genannten Modernisierungsbedarf.
Mehr Kontrolle in der Berater-Republik
Um interne Beratungen des Bundes zu Beschleunigungsagenturen auszubauen, sind die skizzierten Eckpunkte ein erster Impuls, aber noch nicht ausreichend. Fragen etwa nach dem Nukleus der Organisation, der Zeitleiste für den Aufbau, der Personalgewinnung, der Leistungsvergütung und der Organisationsform müssen beantwortet werden. Die Ernsthaftigkeit der Bundesregierung, Modernisierung und Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung mit Hilfe von Beschleunigungsagenturen zu fördern, bleibt ebenfalls eine offene Frage.
Ein charmanter und cleverer Ansatz dafür ist im Koalitionsvertrag vereinbart. Er bietet zudem Bund, Ländern und Kommunen eine Möglichkeit, um in der Beraterrepublik wieder mehr Kontrolle zu erlangen und die eigenen Auftraggeberfähigkeiten zu stärken. Sollte der Bund zögern und kein Leistungsangebot präsentieren, ist vorhersehbar, dass private Beratungsunternehmen diese Lücke zügig füllen werden.