Jim O’Neill ist der Erfinder des Schwellenländer-Kürzels BRIC, das den weltwirtschaftlichen Aufstieg von Brasilien, Russland, Indien und China illustriert. Der in Manchester geborene Ökonom arbeitete fast 20 Jahre bei Goldman Sachs
Die Weltwirtschaft scheint zum letzten Quartal 2014 ins Stocken zu geraten. Nicht zum ersten Mal seit der großen Rezession 2008/09. In verschiedenen Teilen der Welt geht es zwei Schritte voran und dann oft mindestens einen zurück. Europa ist die Region, die meist nur den Schritt zurück macht. Nach jüngsten Daten hat die Erholung der Eurozone an Schwung verloren. Selbst beim Star Deutschland häufen sich enttäuschende Anzeichen. Die Signale aus der sogenannten Peripherie sind bestenfalls gemischt; positive Nachrichten kommen nur aus Irland und Spanien.
Außerhalb der Eurozone sieht es in Großbritannien recht robust aus, doch es gibt eine Vielzahl von Risiken. In den USA läuft es insgesamt in die richtige Richtung. Allerdings findet sich in den Daten immer wieder etwas, was den Enthusiasmus dämpft. Das wiederum deutet darauf hin, dass die Sorge vor Deflation die aktuellen Inflationsrisiken überwiegt. Das dürfte die Federal Reserve darin bestärken, nicht frühzeitig auf höhere US-Zinsen umzuschwenken.
Es wurde einiges erreicht
Die Begeisterung darüber, dass die großen Schwellenländer die Rolle als Lokomotive der Weltwirtschaft übernehmen könnten, ist abgeflaut – auch wenn ich selbst, vor allem was China und Indien angeht, optimistischer bleibe als die meisten Beobachter. Klar ist, dass die Rohstoffländer wie Brasilien und Russland darunter leiden, dass die Preise den Höhepunkt erreicht haben.
Was steht hinter den Wachstumsproblemen?
Meiner Ansicht nach war die grundlegende Ursache der Krise 2008/09 das Ungleichgewicht zwischen den Ersparnissen der USA und Chinas. Erkennbar war das nicht nur an den Sparquoten, sondern auch an den Leistungsbilanzunterschieden. Das US-Defizit lag bei fast sieben Prozent des BIP, Chinas Überschuss bei rund zehn Prozent. Die Krise brach aus, als US-Kreditnehmer keine Investoren mehr fanden, um die fehlenden Ersparnisse auszugleichen – vor allem zur Finanzierung des Häusermarkts, als dort die Preise nachgaben. Die Lösung lag auf der Hand: Die USA mussten mehr sparen und ihr Defizit verringern, China weniger sparen und den Überschuss senken. Es ist die zentrale strukturelle Herausforderung für die Nach-Krisen-Weltwirtschaft.
Sechs Jahre später ist einiges erreicht. In den letzten zwölf Monaten ist das US-Defizit auf rund zwei Prozent geschrumpft, Chinas Überschuss liegt leicht über zwei Prozent. Für beide ist das eine ziemliche Errungenschaft. Und es erklärt, warum sie nicht aus allen Rohren feuern können. Es ist wichtig, dass sich der Prozess fortsetzt und verwurzelt. Das wird beiden dann mehr Schwung geben und damit all den anderen, die so von ihnen abhängen.
Weniger ermutigend sind der trotz des schwachen Wachstums steigende Außenüberschuss der Eurozone und der weiterhin hohe deutsche Überschuss. Hier würde man sich mehr erhoffen, aus globaler Perspektive und der der Eurozone. Ein so dauerhafter Leistungsbilanzüberschuss wie der Deutschlands ist ein Symptom unzureichender Investitionen im Inland. Die aber sind nötig für höhere Produktivität, nachhaltiges Wachstum und einen höheren Lebensstandard.
Deutschlands Überschüsse müssen sinken, letztlich auch aus eigenem Interesse. Denn wenn die Nachfrage in Ländern wie Frankreich oder Italien flau bleibt, wird Deutschland Probleme bekommen, dorthin zu exportieren. China und die USA haben gezeigt, dass Wandel möglich ist. Deutschland muss seinen Teil noch liefern.
Jim O'Neill gehört neben Heleen Mees (Niederlande), David McWilliams (Irland) und Michael Pettis (USA) zu unserem Ökonomischen Quartett. Jeden Monat schreibt bei Capital einer dieser vier Ökonomen. Sie stammen aus verschiedenen Ländern, und jeder hat damit eine andere Perspektive auf die Welt.
Der Beitrag von Jim O'Neill erschien zuerst in der aktuellen Capital. Hier können Sie sich die iPad-Ausgabe der neuen Capital herunterladen. Hier geht es zum Abo-Shop, wenn Sie die Print-Ausgabe bestellen möchten.