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Timo Pache Wolfsburg, wir haben ein Problem!

Besucher stehen an einem Blumenbeet auf dem Stand von Polestar bei der Auto Shanghai
Besucher stehen an einem Blumenbeet auf dem Stand von Polestar: Die chinesischen Hersteller stehlen den deutschen Konkurrenten bei der Auto Shanghai die Schau
© Ng Han Guan / picture alliance/AP
Die Automesse von Schanghai war ein Schockmoment für die deutschen Autohersteller, allen voran Volkswagen. Die deutsche Dominanz auf dem wichtigsten Automarkt der Welt ist vorbei

An Ostern traf ich eine Freundin, die zur Eiersuche mit den Kindern in ihrem neuen Auto vorfuhr: ein Audi Q4 E-Tron – eine Mischung aus SUV und Limousine, schwarz, breit, hoch und lang, ein ziemliches Geschoss. Ich war beeindruckt.

Sie aber schüttelte den Kopf. Es sei ihr neuer Dienstwagen, sagte sie, Gott sei Dank müsse sie dafür nicht so viel zahlen. Ich fragte, warum. Sie sagte, der Wagen koste etwa 60.000 Euro, und sie habe schon die kleine Batterie genommen, mit einer Reichweite von 350 Kilometern. „Offiziell“, fügte sie hinzu, „aber frag nicht, wie weit ich wirklich damit komme.“ Natürlich fragte ich, und sie sagte, sie nutze den Wagen ja hauptsächlich für die Fahrten zur Arbeit, das sei in Ordnung. Und ab und zu, um ihre Eltern zu besuchen – hin und zurück seien das gute 120 Kilometer. Und da sei es ihr an einem kalten Februartag schon passiert, dass der Wagen, obwohl bei Aufbruch noch fast vollgeladen, zehn Kilometer vor der Ankunft zu Hause in den Rangiermodus geschaltet habe: mit sechs Stundenkilometern sei sie dann nach Hause gezuckelt.

Ein Wagen für 60.000 Euro, der schick aussieht, aber bei etwas widrigen Verhältnissen nicht mal einen Sonntagsausflug mit den Kindern schafft – soll das wirklich die Zukunft der deutschen Autoindustrie sein? Diese Frage bekam ich diese Woche nicht mehr aus dem Kopf, als ich die Bilder von der „Auto Shanghai“ sah: bombastische Inszenierungen glitzernder neuer Modelle, beim Hersteller Polestar gar in einem Meer aus roten Tulpen, und im gleißenden Scheinwerferlicht große und kleine Wagen, vor allem aber: chinesische.

Haben Sie schon mal von Xpeng gehört?

Wenn die Bosse deutscher Autokonzerne – VW-Chef Oliver Blume soll den gesamten Konzernvorstand nach China beordert haben – noch ein Erweckungserlebnis brauchten, dann erlebten sie es in Schanghai: Wolfsburg, wir haben ein Problem! An die 80 chinesische Autohersteller listet allein das Internetlexikon Wikipedia inzwischen auf, andere sprechen von etwa 300 Anbietern, die alle in den Markt für Elektroautos drängen. Viele der chinesischen Unternehmen sind keine fünf Jahre alt, aber für Elektroautos in China braucht man eben auch keine jahrzehntealte Ingenieurskunst. Sondern vergleichsweise wenige Komponenten, dafür aber ein cooles Design und gute Software. Subventionen und politische Patronage aus Peking gibt es für die chinesischen Newcomer ohnehin reichlich.

Haben Sie schon mal von Xpeng gehört? Oder von Li Auto? Von BYD? Falls nein, riskieren Sie mal einen Blick, die Anbieter kommen in den nächsten Jahren auch nach Europa.

BYD etwa, schon in Deutschland präsent, ist fast ein alter Bekannter, produziert Autos seit 2003, lange Zeit mit durchwachsenem Erfolg. Der Durchbruch kam erst, als BYD vor einigen Jahren seine Palette komplett auf E-Autos und Hybride umstellte, seither explodiert das Geschäft: Nach Recherchen des „Handelsblatts“ verkaufte BYD im ersten Quartal 2023 erstmals mehr Autos in China als der bisherige Marktführer VW. Oder Li Auto: ein Unternehmen, das 2015 gegründet wurde und heute vor allem große schwere Hybride anbietet. Sicher wird sich der Innenraum anders anfühlen als in den Hochglanzpräsentationen im Netz (das ist ja auch bei Tesla so), aber über den Status von Modellversuchen sind die Wagen weit hinaus. Li Auto verkaufte 2022 in China mehr als 130.000 Fahrzeuge, und allein im ersten Quartal 2023 weitere 54.000. 

Während die Chinesen praktisch nur noch E-Modelle oder Hybride anbieten, verkauft VW immer noch hauptsächlich Verbrenner: Unter den knapp 430.000 abgesetzten Autos der Deutschen im ersten Quartal waren nur wenige Tausend E-Autos. Dabei wächst dieser Markt rasant – während der für Verbrenner dramatisch schrumpft.

Die Deutschen können nicht so günstig produzieren wie die Chinesen

Interessanterweise verläuft die Elektrifizierung des Straßenverkehrs in China umgekehrt zur Entwicklung in Europa: Es sind vor allem Klein- und Mittelklassefahrzeuge, die in den großen Städten inzwischen rein elektrisch unterwegs sind. Die Oberklasse hingegen fährt noch weitgehend mit Benzin und Diesel. Das verschafft Herstellern wie BMW und Daimler etwas mehr Zeit, ihre Modelle ebenfalls umzustellen – Volkswagen hingegen steht umso mehr unter Druck. Und das nicht nur technologisch, sondern auch betriebswirtschaftlich: Denn die deutschen Fahrzeuge sind nicht nur groß und teuer bei vergleichsweise mauer Leistung, sie sind auch längst nicht so rentabel wie die alten Verbrenner. Oder umgekehrt: Die Deutschen können einfach nicht so günstig produzieren wie die Chinesen.

Hier rächt sich, neben der verfehlten Modellpolitik und der zu langsamen Entwicklung, ein dritter strategischer Fehler der deutschen Hersteller: Anders als bei Verbrennern fehlt den Deutschen im Elektrosegment die Fertigungstiefe, um weite Teile der Produktions- und Wertschöpfungskette mitnehmen zu können. Bei Batterien, dem Hauptkostentreiber der neuen Fahrzeuge, können die deutschen nur einkaufen, was für sie auf dem Weltmarkt übrigbleibt. Der weltgrößte Batterieproduzent für E-Autos heißt übrigens: BYD. Die Chinesen produzieren nicht nur ihre eigenen Batterien, sie betreiben auch gleich die Minen für die Rohstoffe. Und sie sind führend in der Erforschung neuer Technologien. Da ist es kein Wunder, dass BYD in Schanghai ein Elektroauto für umgerechnet weniger als 10.000 Euro vorstellte. Davon können deutsche Autokunden nur träumen.

Was also haben die deutschen Hersteller diese Woche gelernt? Hoffentlich, dass sie ihre Modellpalette sehr schnell anpassen und günstiger werden müssen. Hoffentlich auch, dass sie sich von ihrer einstigen Dominanz im chinesischen Markt verabschieden müssen. Der Automarkt dort ist inzwischen hoch politisch: BMW etwa kämpfte während der Messe mit einem plötzlichen Sturm der Entrüstung in sozialen Medien, weil ein Video zeigte, wie Mitarbeiter auf dem Messestand Eis verteilten – vermeintlich eher an europäische Besucher als an Chinesen. Fast 100 Millionen Chinesen schauten sich auf der Plattform Weibo das Video an. Aber auch die USA, derzeit oft als neuer aussichtsreicher Markt gehandelt, werden schwierig. US-Präsident Joe Biden sorgt mit seinen Subventionen für Elektroautos nämlich dafür, dass heimische Hersteller einen klaren Vorteil haben – deutsche Modelle sind dagegen von den Kaufprämien oftmals ausgeschlossen, noch zumindest.

Die Rekordgewinne von VW, Daimler und BMW aus dem vergangenen Jahr werden auf absehbare Zeit wahrscheinlich eines bleiben: einsame Spitze. Auch wenn das erste Quartal noch gut gelaufen sein sollte, die Gewinnmargen werden deutlich schrumpfen. Die Kehrseite davon bietet jedoch eine gute Nachricht: Alle, die im vergangenen Jahr abgewartet haben, sich jetzt aber mit dem Gedanken tragen, in den kommenden Monaten ein neues Auto anzuschaffen, haben ziemlich gute Karten: Sie werden gute Rabatte aushandeln können!

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