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Gastbeitrag Der Profifußball braucht neue Regeln

Bei Spitzenspielen sind die Stadien noch voll. Aber auch in der Bundesliga sieht man inzwischen häufiger leere Sitze
Bei Spitzenspielen sind die Stadien noch voll. Aber auch in der Bundesliga sieht man inzwischen häufiger leere Sitze
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Um die sportliche und wirtschaftliche Attraktivität des Fußballs zu bewahren, müssen sich die Interessen der Fans und der Wirtschaft in einer Balance befinden. Diese Balance droht zu kippen. Deshalb sind die Verbände gefordert – und zur Not der Gesetzgeber
Dr. Jörg Wulfken ist Partner bei PwC in Frankfurt. Die in diesem Artikel vertretenen Ansichten sind persönlich und stellen nicht die Meinung von PwC dar.
Dr. Jörg Wulfken ist Partner bei PwC in Frankfurt. Die in diesem Artikel vertretenen Ansichten sind persönlich und stellen nicht die Meinung von PwC dar.

Die Kluft zwischen traditionellen Fans und den wirtschaftlichen Interessen der Clubs, Sponsoren, Spielerberatern, Medien und nicht zuletzt der Spieler vergrößert sich. Traditionelle Fans beklagen eine zunehmende Entfremdung. Erste Anzeichen hierfür sind massive Kritik in den sozialen Medien an den Entwicklungen im Profifußball und die im Trend zurückgehenden Zuschauerzahlen in den Stadien. Während Spitzenspiele weit im Voraus ausverkauft sind, bleiben bei Durchschnittsspielen in den europäischen Ligen, aber auch in den internationalen Wettbewerbe einschließlich Champions League die Zuschauerränge teilweise unbesetzt.

Einigkeit besteht darüber, dass zu einem attraktiven Fußballspiel vollbesetzte Zuschauerränge mit einer lebhaften und friedlichen Stimmung gehören. Dies gilt sowohl für den Stadionbesuch selbst als auch beim Konsum über Medien. Nicht zuletzt deshalb gibt es zahlreiche Vorschläge, den Fußball im Sinne der Fans zu reformieren. Die schlechteste aller Ideen ist wahrscheinlich die Schaffung einer europäischen Superliga ohne Auf- und Abstieg. Diese Idee ist auf kurzfristige Gewinnmaximierung ausgerichtet und berücksichtigt nicht das kulturelle Erbe des Fußballs, dem die sportliche Qualifikation und die Verwurzelung in den nationalen Ligen immanent ist. Wer das zerstört, wird auf Dauer auch die wirtschaftliche Basis des Fußballs zerstören. Und die Basis des Fußballs liegt zunächst im Stadion. Sechs Vorschläge für Reformen im Sinne der Fans:

1. Attraktivität der Stadien steigern

Die Attraktivität des Stadionbesuchs wird zunächst durch die Qualität des Sports, dann aber auch durch den Komfort der Stadien und sonstige Infrastruktur geschaffen. Maßgebliche Faktoren sind die Bequemlichkeit der Anreise, ein ausreichendes Parkplatzangebot und die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr oder eine zentrale Lage in der Stadt. Hinzu kommen der Komfort im Stadion durch Überdachungen, qualitativ hochwertiges Catering zu vernünftigen Preisen, gute Sicht auf das Spielfeld von allen Plätzen unterstützt von Videotafeln, stabile WLAN-Netze und die Sicherheit für die Zuschauer.

In vielen Stadien sind Investitionen in eine verbesserte Infrastruktur dringend erforderlich, um die hohen Eintrittspreise zu rechtfertigen. Die Attraktivität vieler Stadien ist verbesserungswürdig - so denke man beispielsweise an die in vielen Stadien überteuerten Preise für Getränke und Verpflegung einschließlich der Unannehmlichkeiten durch die obligatorischen elektronischen Bezahlsysteme, bei denen der Zuschauer Schwierigkeiten hat, Restgeld zurückzuerhalten oder hohe Pfandbeträge für Bezahlkarten aufwenden muss.

Stadionbesuche im Sommer sind zudem angenehmer als im Winter. Daher sollte die viel zu lange Sommerpause verkürzt und die Winterpause verlängert werden, zumindest in solchen Spielzeiten, denen keine EM oder WM nachfolgen. Auch die Zersplitterung der Spieltage, insbesondere Anstoßzeiten Sonntag- und noch mehr Montagabends verringern die Attraktivität des Stadionbesuches und vermitteln den traditionellen Fans das Gefühl, dass ihre Interessen hinter denen der Medien zurückstehen. Hierher gehört auch die Kritik an der Omnipräsenz des Fußballs in den Medien. Die Präsenz des Fußballs in den Medien, gefördert durch die Zersplitterung der Spieltage und der Anstoßzeiten, führen zur Dominanz des Fußballs und damit zu einer medialen Monokultur.

2. Videobeweis einschränken

Problematisch für Stadionbesucher ist zudem der Videobeweis: Mit Videobeweis überprüfte Millimeterentscheidungen bei Abseitspositionen, Elfmetern oder subtilen Handspielen sind für den Stadionbesucher nicht mehr nachvollziehbar und mindern die Erlebnisfreude. Der exzessiv eingesetzte Videobeweis ist ein klares Zeichen dafür, dass dem medialen Konsum Vorrang vor dem Stadionbesucher gegeben wird, da viele aufgrund von Videobeweisen getroffenen Entscheidungen im Stadion nicht nachvollzogen werden können – und dies in vielen Szenen trotz Superzeitlupe und Wiederholungen auch für Fernsehzuschauer nicht möglich ist. Eine zunehmende Abkoppelung der Stadionbesucher von Entscheidungen ist zu beobachten.

Im Interesse der Stadionzuschauer ist der Videobeweis entweder wieder abzuschaffen oder zumindest nur bei offensichtlich groben Fehlentscheidungen des Schiedsrichters heranzuziehen. Spontane Freude (oder Leid) sind für Stadionbesucher unabdingbare Attraktivitätsmerkmale. Die meisten anderen Sportarten kommen schließlich ebenfalls ohne Videobeweis aus, und etwaige Ungerechtigkeiten gleichen sich im Laufe einer Saison sowieso aus.

 

3. Wettbewerbsgerechtigkeit erhöhen

Zum Sport gehören faire Regeln, die Wettkampf und Spiel attraktiv machen. Das gilt auf dem Spielfeld ebenso wie außerhalb des Spielfeldes. Faire Wettbewerbsregeln in der Wirtschaft sind so selbstverständlich wie die Spielregeln im Sport. Sorgt der Markt nicht alleine für fairen Wettbewerb, greift der Gesetzgeber ein. Die Regeln des Kartellrechtes, des Verbraucher-, Mieter- und Datenschutzes, Regeln gegen unlauteren Wettbewerb, das Mitbestimmungsrecht und das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind nur einige Beispiele für Eingriffe des Gesetzgebers zur Schaffung fairer Bedingungen.

Im Sport und insbesondere im Profifußball sind die Verbände gefragt, für fairen Wettbewerb zu sorgen. Die Forderung nach fairen Wettbewerbsregeln bedeutet nicht, dass alle Clubs egalisiert werden müssen. Gerade im Sport haben Duelle der Kleinen gegen die Großen ihre besonderen Reize, wie dies besonders im Pokal deutlich wird oder dann, wenn ein kleiner Club wie der SC Freiburg einem großen Club wie Bayern München in einem Bundesligaduell ein Bein stellt und sich die Fans der gesamten Republik (außer natürlich die zahlreichen Bayern-Fans) freuen.

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Eine wesentliche Einnahmequelle der Clubs sind Fernsehgelder. Die Verteilung der Fernsehgelder aus der Vermarktung der Bundesligen erfolgt nach einem auf vier Säulen basierenden Verteilungsschlüssel: Berücksichtigt werden im Wesentlichen die Tabellenplätze der einzelnen Clubs zum Saisonende innerhalb der letzten fünf Jahre (Säulen 1 und 4, was insgesamt 93 Prozent der Fernseheinnahmen entspricht). Geringfügige Berücksichtigung findet die Nachwuchsförderung (2 Prozent der Gesamteinnahmen) sowie ein Nachhaltigkeitsfaktor in Form einer 20-Jahres-Wertung. Hinzu kommen die Fernseheinnahmen aus der Vermarktung der internationalen Wettbewerbe, die nach einem Solidarschlüssel unter den teilnehmenden Clubs anhand einer Fünf-Jahres-Wertung mit zusätzlichem Nachhaltigkeitsfaktor (10-Jahres-Wertung) verteilt werden. Vorrangig erhalten die Clubs der 2. Bundesliga eine jährliche Solidarzahlung in Höhe von fünf Millionen Euro, die sich um jährlich eine Million Euro erhöht.

Im Ergebnis führt der gegenwärtige Schlüssel zu einer weiten Spreizung der Einnahmen der Clubs. Im Interesse der Wettbewerbsgerechtigkeit ist daher zu fordern, dass Leistungen unabhängig von der Größe eines Clubs besser berücksichtigt werden. Insbesondere ist die Nachwuchsförderung besser zu honorieren, was auch Clubs aus der 2. und 3. Liga die Möglichkeit geben würde, sich positiv zu entwickeln und die Abstände zu den „Großen“ zu verringern.

Wenn man die Attraktivität des Stadionbesuchs zum Postulat erhebt, sollte als zusätzliche Säule im Verteilungsschlüssel die Auslastung der Stadien durch die Clubs und insbesondere der Verkauf von Tickets bei Auswärtsspielen berücksichtigt werden. Die absolute Zuschauerzahl bei Heimspielen sollte dagegen keine oder lediglich eine untergeordnete Rolle spielen, da dies tendenziell die Clubs in großen Städten mit großen Stadien begünstigen würde. Eine Sonderregelung könnte man für Clubs wie Hertha BSC finden, die aus historischen Gründen in einem Stadion spielen, das für die eigenen Bedürfnisse nachhaltig zu groß ist.

Durch die Koppelung der Fernsehgelder an die Auslastung der Stadien sowie an die Resonanz der Fans bei Auswärtsspielen würde ein ökonomischer Anreiz für die Clubs geschaffen, den Stadionbesuch attraktiver zu machen und Fans für Auswärtsspiele zu mobilisieren. In eine ähnliche Richtung argumentieren die sogenannten „Traditionsvereine“, die im Vergleich zu den Werksclubs wie Wolfsburg und Leverkusen oder „Retortenclubs“ wie Hoffenheim eine größere Anzahl von Fans mobilisieren. Die Schaffung neuer Kategorien von Clubs ist aber zugunsten klarer wirtschaftlicher Anreize für alle Clubs abzulehnen, da letztere wirkungsvoller und darüber hinaus für alle Clubs gleichermaßen gelten.

 

4. 50+1-Regel reformieren

Der heilige Gral der traditionellen Fans ist die Beibehaltung der 50+1-Regel, festgeschrieben in § 8 Absätze 2 und 3 der DFL-Satzung. Interessanterweise führt die Ausgestaltung dieser Regel aber zu einer Verfestigung von Ungleichheit und Wettbewerbsverzerrungen. Ein großer Club wie Bayern München ist so werthaltig, dass auch Minderheitsbeteiligungen bereits erhebliche Finanzmittel durch Eigenkapitalgeber generieren. Dem anderen großen Club in Deutschland, Borussia Dortmund, ist es gelungen, über einen Börsengang signifikantes Eigenkapital zu generieren. Ein Börsengang kommt allerdings nur für eine verschwindende Minderheit der deutschen und europäischen Clubs in Frage und ist daher kein Instrument zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit.

Die Werksclubs Leverkusen und Wolfsburg machen von einem Ausnahmetatbestand Gebrauch, der Hannover gerade versagt wird. Leipzig und Hoffenheim, obwohl die Fälle jeweils etwas anders gelagert sind, haben Umgehungsmöglichkeiten gefunden, die anderen Clubs wie Frankfurt, Bremen, Berlin, Mönchengladbach und Freiburg, um nur einige Beispiele zu nennen, nicht zur Verfügung stehen. Zudem sind die Entscheidungsstrukturen bei der Bewilligung dieser Ausnahmetatbestände fragwürdig: Zuständig für die Entscheidung, ob einem Club eine Ausnahme von 50+1 bewilligt wird, ist das Präsidium des DFL e. V. Das Präsidium hat derzeit sieben Mitglieder. Mit dessen Präsidenten Reinhard Rauball, gleichzeitig Präsident von Borussia Dortmund, sowie Vertretern von Schalke, Bayern München und Werder Bremen stellen die Vertreter der Clubs die Mehrheit im Präsidium. Insofern entscheiden die Vertreter der Clubs über die Anträge ihrer Konkurrenten zur Bewilligung von Ausnahmen zur 50+1-Regel. Dies ist eine äußerst fragwürdige Governance-Regelung.

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Unternehmer Martin Kind will die volle Kontrolle bei Hannover 96 und die 50+1-Regel kippen
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Wenn man das Postulat verfolgt, dass ein unbeschränkter Zugang privater Investoren als Eigentümer von Clubs verhindert werden soll, dann muss 50+1 durch eine bessere Regel und bessere Entscheidungsstrukturen ersetzt werden. Hierfür bietet sich ein Blick über die Grenzen des Fußballs an. So ist etwa auch der Zugang zum Eigentum von Banken und Versicherungen beschränkt. Wer 10 Prozent oder mehr an einer Bank oder Versicherung erwerben möchte, muss ein sogenanntes Inhaberkontrollverfahren durchlaufen. Hierin werden die Solidität des Investors, seine strategischen Ziele, Reputation und vieles mehr durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) geprüft. Wenn sich herausstellen sollte, dass sich die Voraussetzungen der Zulassung verändert haben, kann die BaFin sogar eine einmal erteilte Genehmigung wieder entziehen, um dauerhaftes Wohlverhalten im Sinne der Regeln sicherzustellen.

Ein ähnliches Verfahren nach verbindlichen Kriterien, zu prüfen von einer unabhängigen Kommission, bietet sich auch bei der Zulassung von Eigentümern bei Fußballclubs an. Die Kriterien sind so zu fassen, dass die Interessen von Investoren und Eigentümern zu einem vernünftigen Ausgleich gebracht werden und ein „Ausverkauf“ des Fußballs von vornherein unmöglich wird. Der entscheidende Vorteil gegenüber der 50+1-Regel ist jedoch, dass für alle Clubs von der 1. bis 3. Liga einheitliche Regeln gelten würden. Die zurecht häufig kritisierten, unter anderem durch die 50+1-Regel verursachten Wettbewerbsverzerrungen würden beseitigt, und die Clubs könnten in einen fairen Wettbewerb um geeignete Investoren eintreten. Die Kommission müsste mit sachverständigen, aber unabhängigen Personen besetzt werden, die anhand vorgegebener, qualitativer Kriterien über die Zulassung von Investoren entscheiden.

Solche qualitativen Kriterien sind bei der Auswahl geeigneter Investoren viel geeigneter als eine starre Beschränkung auf einen Minderheitsanteil, der vollkommen ohne Überprüfung von Qualität und Geeignetheit des jeweiligen Investors gewährt werden kann. Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit von 50+1 könnten dann gleich mit ausgeräumt werden. Und den traditionellen Fußballfans und Nostalgikern ist eine solche Regelung ebenfalls gut vermittelbar und dürfte auf Akzeptanz stoßen.

 

5. Financial Fairplay durchsetzen

Allerdings stellt sich die Frage, wie sich eine solche Regelung auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Clubs auswirken würde. Es ist illusorisch zu glauben, dass eine Eigentümerkontrollregel international auf Akzeptanz stoßen würde, da die großen europäischen Fußballländer England, Italien, Spanien und Frankreich die 50+1-Regel nicht haben. Aber hier gilt: Auch mit 50+1 waren deutsche Clubs in den internationalen Wettbewerben sehr erfolgreich – siehe Bayern München und Borussia Dortmund. Beide Clubs zählen sportlich und wirtschaftlich zu den „Großen“ in Europa. Ferner korreliert die Eigentümerstruktur eines Clubs nicht mit seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Und über die Durchsetzung, gegebenenfalls zu reformierender, UEFA-Regeln zum Financial Fairplay sind die wirtschaftlichen Wirkungen unterschiedlicher Eigentumsregeln leicht zu neutralisieren. DFB und DFL verfügen über ausreichenden internationalen Einfluss, sich auf UEFA-Ebene hierfür einzusetzen. 
 

6. Regeln für Spielertransfers reformieren

Ferner tragen exorbitante Ablösesummen bei Spielertransfers zu einer Entfremdung von Fans und Clubs bei. Strenge Financial Fairplay-Regeln würden hier für eine Konsolidierung sorgen. Ferner ist zu überlegen, ob der Transfermarkt selbst nicht reformbedürftig ist. So sind seitens der FIFA international zwei Transferperioden vorgesehen. Das Transferfenster im Winter kann erheblich zu Unruhe in Mannschaften beitragen. Funktionierende Teams werden während einer laufenden Saison auseinandergerissen, Wettbewerber während der Saison gezielt geschwächt. Die Zusammenstellung einer Mannschaft sollte vor Saisonbeginn für die gesamte Saison verbindlich geplant werden. Korrekturen zwischendurch sind aus sportlichen Gründen abzulehnen. Dies hilft den Fans, sich länger mit einer Mannschaft und einzelnen Spielern zu identifizieren. In eine ähnliche Richtung geht die Forderung nach einer Begrenzung der Anzahl von Leihspielern. 
 

Fazit

Die Interessen der Fußballfans und der Wirtschaft müssen sich in einer Balance befinden, um die sportliche und wirtschaftliche Attraktivität des Fußballs zu bewahren. Diese Balance droht verloren zu gehen. Reformen außerhalb des Spielfeldes sind daher geboten. Hier sind die Verbände gefordert. Notfalls muss der Gesetzgeber einschreiten und das Kulturgut Fußball erhalten.

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