In diesem Jahr jährt sich zum hundersten Mal der Ausbruch des Ersten Weltkriegs - und wohl auch des schlimmsten Jahrs der Menschheitsgeschichte. Ist die Welt ein Jahrhundert danach auch sicherer geworden?
Der Erste Weltkrieg forderte nicht nur beinahe 40 Millionen Tote, er kann auch als Vorläufer des Zweiten Weltkriegs betrachtet werden. Wäre die Hyperinflation der 1920er Jahre in Deutschland verhindert worden – eine direkte Folge des Krieges –, wäre Hitler wohl nie an die Macht gekommen und der Zweite Weltkrieg hätte nicht stattgefunden. Doch stattdessen setzte die Ermordung des österreichischen Erzherzogs Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 in Sarajevo eine Serie des Blutvergießens in Gang, bei dem bis 1945 beinahe 100 Millionen Menschen den Tod fanden und menschliches Leid in vorher ungeahntem Ausmaß verursacht wurde.
Natürlich haben Generationen von Historikern die Ursachen der Weltkriege minutiös recherchiert und ihre Schlussfolgerungen elegant präsentiert. Diese Aufzeichnungen sollten Ökonomen und politische Entscheidungsträger von heute zum Anlass nehmen, um über die schwierig zu lösenden Zielkonflikte zwischen Effizienz und Stabilität im Hinblick auf Weltordnungspolitik, also Global Governance, nachzudenken.
Zielkonflikt zwischen Effizienz und Stabilität
Die mühsamen Anstrengungen seit Ende des Zweiten Weltkriegs, effektive regionale und globale Institutionen für eine Weltordnungspolitik aufzubauen, haben die Gefahr von Katastrophen wie den Weltkriegen oder der Großen Depression beträchtlich verringert. Obwohl diese Institutionen bei weitem noch nicht perfekt sind, ist der Fortschritt hinsichtlich der Vermeidung menschlichen Leids viel höher anzusetzen, als die Effizienzkosten, die aus einer ausreichend stabilen Gestaltung dieser Institutionen entstehen.
Der Zielkonflikt zwischen Effizienz und Stabilität existiert in vielen Bereichen. Bei der Entwicklung eines Flugzeugs müssen Luftfahrtingenieure ausreichende Stabilität sicherstellen, damit ihr Produkt auch unter höchst ungewöhnlichen oder unvorhersehbaren Bedingungen nicht abstürzt. Dazu bedarf es eines gewissen Maßes an Redundanz – beispielsweise zusätzliche Triebwerke und umfangreiche Sicherungssysteme – das zu Lasten der Effizienz geht.
Auch ökonomische Systeme müssen stabil sein, wie man an Phasen wie der Großen Depression oder der globalen Finanzkrise des Jahres 2008 erkennen kann. Insbesondere in den Vereinigten Staaten lag der Schwerpunkt des Finanzsektors vor der jüngsten Krise auf dem effizienten Erzielen von enormen Gewinnen – was mehr als ein Jahrzehnt erfolgreich praktiziert wurde. Doch im Jahr 2007 kam man zu der Erkenntnis, dass manche der grundlegenden Annahmen des Systems nicht mehr gültig waren, löste eine Krise mit enormen wirtschaftlichen und sozialen Kosten aus. Hätten nicht Staaten weltweit mit massiven Rettungs- und Konjunkturpaketen interveniert, wären die Folgen katastrophal gewesen.
Chancen und Sicherheit abwägen
Dieses Beinahe-Desaster unterstrich die Untragbarkeit der Politik vor der Krise. Gemeinsam mit neuen nationalen Regulierungen zielen nun die neuen Bankenrichtlinien Basel III auf die Schaffung eines stabileren Finanzsystems ab, indem man auf höheren Eigenmittelquoten, weniger Fremdkapital, einer stärkeren Trennung zwischen Investment- und Privatkundengeschäft, einem verbesserten makroprudenziellem Rahmenwerk sowie Maßnahmen beharrt, die verhindern, dass Finanzinstitutionen „zu groß werden, um zu scheitern.“
Alle Bemühungen sind vom Zielkonflikt zwischen Effizienz und Stabilität geprägt. Sind die Kapitalanforderungen zu hoch angesetzt, wird das Bankgeschäft weniger profitabel. Für die Banken wird es schwieriger, Ersparnisse in Investitionen umzuwandeln und das Wirtschaftswachstum wird untergraben. Daher besteht die Herausforderung darin, das ideale Gleichgewicht zwischen Chancen und Sicherheit herzustellen – also zwischen Effizienz und Stabilität.
Vor einer ähnlichen Herausforderung stehen politische Entscheidungsträger, wenn sie beispielsweise Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels konzipieren. Die Wissenschaft ist sich einig, dass die Emission von Treibhausgasen beträchtliche Risiken birgt, doch Ausmaß sowie Zeitpunkte des Risikoeintritts bleiben ungewiss.
Suche nach dem optimalen Gleichgewicht
Zur Veranschaulichung dieses Zielkonflikts (in zugegebenermaßen vereinfachter Darstellung) kann eine Eigenkapitalquote von 14 Prozent für Banken mit dem Ziel verglichen werden, die Kohlendioxidwerte in der Atmosphäre bei 450 ppm zu stabilisieren, wobei sich in beiden Zielen Umsicht sowie der Wunsch nach Stabilität zum Preis unmittelbarer ökonomischer Kosten widerspiegeln. Im Gegensatz dazu würde eine Eigenkapitalanforderung von sieben Prozent und ein CO2-Zielwert von 550 ppm die Bereitschaft der Politiker zeigen, kurzfristigen Vorteilen höhere Priorität einzuräumen – auch wenn das bedeutet, eine weitere Finanzkrise oder die Manifestation der langfristigen Folgen der Klimaerwärmung auf Wirtschaft und Menschen in Kauf zu nehmen.
Ein extremer Kurs in die eine oder andere Richtung wäre schlecht. Schließlich ist es unmöglich, alle Risiken zu vermeiden und an einem gewissen Punkt würde das durch exzessive Stabilität verursachte Maß an Ineffizienz erneut die Gefahr eines Zusammenbruchs mit sich bringen. Die Minimierung der Gefahr eines größeren Krieges, einer Depression oder eines finanziellen Zusammenbruchs erfordert daher von den Politikern, das optimale Gleichgewicht zu finden – und dazu bedarf es wiederum intensiverer Diskussionen über den Zielkonflikt zwischen Effizienz und Stabilität.
Die Sachlage präsentiert sich jedoch so, dass man vielfach Strategien darlegt, ohne die Kosten im Hinblick auf Effizienz oder Stabilität zu erwähnen – und das bloße Bewusstsein für die Existenz eines Zielkonflikts reicht nicht für effektive Entscheidungsfindung. Der Zielkonflikt sollte vielmehr in annähernd genauer und hinreichend verständlicher Art und Weise dargestellt werden, um produktive Debatten zu ermöglichen und polarisierte ideologische Auseinandersetzungen zu verhindern, bei denen wenig Hoffnung auf eine Lösung besteht.
Vielleicht wird das Gedenken an die im Jahr 1914 ausgelöste Katastrophe die Menschen dazu bewegen, eingehender darüber nachzudenken, wie man große Gefahren umschiffen kann, ohne einen prohibitiven Preis für verlorene Effizienz und Dynamik zu bezahlen, um Stabilität und Widerstandskraft sicherzustellen. Heute wie damals hängt das Schicksal der Welt davon ab.
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier
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