Simon Johnson ist Professor an der Sloan School of Management des MIT und Mitverfasser von White House Burning: The Founding Fathers, Our National Debt, and Why It Matters to You.
Spätestens seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 widmen Medien und Experten Prognosen von negativen Schocks für die Weltwirtschaft viel Aufmerksamkeit. Derzeit stehen im Mittelpunkt die Wirtschaftslage in China, der Zeitpunkt der Normalisierung der Leitzinsen durch die US-Notenbank und die verschiedenen politischen Konzepte, die im US-Präsidentschaftswahlkampf diskutiert werden.
Doch die besonders zerstörerischen Schocks bleiben, obwohl deutlich sichtbar, oftmals unerkannt – um ihre Auswirkungen genau dann zu entfalten, wenn niemand damit rechnet und alle von stabilen Verhältnissen ausgehen. Ein solches Risiko ist der Parteienstreit in den USA, der erneut zu einer Blockade der öffentlichen Finanzen der US-Bundesregierung führen, die amerikanische Wirtschaft schwächen und die globalen Finanzmärkte in Aufruhr versetzen könnte.
Diese Warnung mag seltsam anmuten. Schließlich hat der letzte große von den Republikanern angezettelte Streit (im Jahr 2013) um die Haushaltsfinanzierung und die Anhebung der Schuldenobergrenze der Partei kaum etwas gebracht. Er hat nur ihrem Ruf erheblich geschadet, eine verantwortungsbewusste Partei zu sein. Zudem ist der derzeitigen Führung der US-Republikaner sehr daran gelegen, die Chancen ihrer Partei bei den Wahlen 2016 zu erhöhen und ein Image nüchterner Vernunft transportieren.
Die Fundamentalisten übernehmen das Kommando
Trotzdem scheint eine große und destabilisierende Konfrontation der Parteien über die Staatsfinanzen inzwischen unausweichlich, vor allem nach der überraschenden Ankündigung John Boehners, dem Sprecher des Repräsentantenhauses, sein Amt und sein Abgeordnetenmandat Ende Oktober niederzulegen. Um den Grund zu verstehen, reicht ein Blick auf das „House Ways and Means Committee“, einem Ausschuss des US-Repräsentantenhauses, dessen Vorsitzender Paul Ryan zu den Anführern des erzkonservativen Flügels der Republikaner zählt. Sie kritisieren Boehner als zu kompromissbereit gegenüber Präsident Barack Obama und den Demokraten im Repräsentantenhaus.
Dem „Ways and Means Committee“ unter dem Vorsitz Ryans kommt zentrale Bedeutung bei der Festlegung der fiskalpolitischen Agenda in Amerika zu. Zum einen wird damit der US-Verfassung Rechnung getragen, wonach Gesetzesvorlagen zur Aufbringung von Haushaltsmitteln vom Repräsentantenhaus ausgehen, zum anderen politischen Realitäten (das Repräsentantenhaus ist traditionell weniger zänkisch als der Senat). Anders als im Haushaltsstreit 2013 wird die Strategie Ryans und seiner Verbündeten dieses Mal wahrscheinlich nicht in der Drohung mit der Zahlungsunfähigkeit der US-Bundesregierung bestehen. Die Republikaner im Ausschuss haben auch erklärt, dass Sozialleistungen pünktlich ausgezahlt werden. Aber welche anderen Rechnungen wollen sie unbezahlt lassen, wenn es zur Kraftprobe um die Einigung auf ein Gesetz zur Weiterfinanzierung des Staates kommt?
Es ist tatsächlich schwer zu sagen, worin die Drohung genau besteht – und das ist Teil des Problems. Unsicherheit über Regierungsaufträge und verschiedene Arten von Zahlungen können weitreichende Folgen für die Volkswirtschaft haben. Die Schwierigkeit, das volle Ausmaß der wirtschaftlichen Folgen zu erfassen ist genau das, was Verbraucher vom Konsum und Unternehmen von Investitionen abhält.
Im Juli hat der US-Rechnungshof einen hilfreichen Bericht veröffentlicht, in er einige der Konsequenzen des Streits über die Schuldenobergrenze darlegt – unter anderem, wie die Kosten der staatlichen Kreditaufnahme in die Höhe getrieben wurden und welche negativen Auswirkungen das auf die Wirtschaft hatte. Doch die Mehrheit der Republikaner im Kongress schenkt dieser Art von sinnvoller Analyse schlichtweg keine Beachtung.
Demnach ist ein teilweiser Verwaltungsstillstand, ein sogenannter Government Shutdown, durchaus möglich, wenn die Republikaner ihre Prioritäten bei den staatlichen Zahlungen durchsetzen wollen: Einige werden bekommen, was ihnen zusteht, andere nicht. Dies wird für Verunsicherung sorgen, die Zuversicht der Wirtschaft schwächen und den Republikanern bei den Wahlen 2016 nahezu sicher Verluste bescheren. Warum also besteht die Wahrscheinlichkeit, dass es so kommen wird?
Ein Grund ist der dezentralisierte Charakter der amerikanischen Politik, wodurch die Mandatsträger gegenüber ihrer Parteiführung in relativ geringem Maße verpflichtet sind. Unter einigen Anhängern und Spendern der Republikaner hat es in den letzten Jahrzehnten offensichtlich einen Rechtsruck gegeben. Doch wie James Kwak und ich in unserem Buch White House Burning dargelegt haben, in dem es um die Fiskalpolitik in den USA geht, sind die Zeiten schon lange vorbei, als sich der rechte Flügel der Republikaner für verantwortungsvolle Haushaltspläne und finanzielle Stabilität ausgesprochen hat. Mittlerweile ist es den Erzkonservativen – die zunehmend auf eine ländlich geprägte, weiße Wählerschaft in den Südstaaten abzielen – weitaus wichtiger, die US-Bundesregierung in die Schranken zu weisen. Sie betrachten die Lähmung der Regierung oder die Drohung mit der Einstellung des Schuldendienstes als Möglichkeit, „die Bestie auszuhungern“.
den Republikanern steht nicht der Sinn nach einer Debatte
Zudem wird die kompromisslose Haltung der Republikaner durch die drastischen Ansichten vieler ihrer Abgeordneten im Kongress bestärkt. Sie fordern der Organisation Planned Parenthood (etwa: geplante Elternschaft) – die medizinische Dienste vor allem für Frauen anbietet – als Voraussetzung für eine Einigung über den Haushalt, die Mittel zu streichen. Einige sind zwar der Ansicht, dass mit dem Rücktritt Boehners nun der Weg für eine kurzfristige Einigung über die Finanzierung der Regierung frei ist, doch sein Rücktritt unterstreicht lediglich die begrenzte Möglichkeit eines „verantwortungsbewussten“ Republikaners, die zunehmend fundamentalistischen Mitglieder der Partei zu kontrollieren.
In den USA sollte es, wie andernorts auch, eine offene Debatte über die Fiskalpolitik geben, in der klare Aussagen über alternative Zielsetzungen getroffen werden und ausgewogen beurteilt wird, wie die Tätigkeit der Regierung am besten zu bezahlen wäre. Bedauerlicherweise steht den Republikanern nicht der Sinn nach einer Debatte und den damit verbundenen Kompromissen. Durch den erzwungenen Rücktritt Boehners ist es wahrscheinlicher denn je, dass die USA – und die Welt – schon bald mit der Aussicht auf einen weiteren selbstverschuldeten Schock für die Wirtschaft konfrontiert werden, der einzig und allein der Taktik der verbrannten Erde geschuldet ist, die die Republikaner in der Haushaltspolitik verfolgen.
Aus dem Englischen von Sandra Pontow.
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