Zwei Nachrichten aus der Touristikwelt, wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten: Am Donnerstag explodiert der Aktienkurs von Airbnb beim Börsenstart an der Wall Street, die Bewertung des amerikanischen Konzerns schießt auf über 100 Mrd. Dollar oder umgerechnet 83 Mrd. Euro hoch. Am Tag danach setzt die Aktie des deutschen Tui-Konzerns ihre Talfahrt in Frankfurt fort, der größte traditionelle Reisekonzern Europas kommt gerade noch auf eine Börsenkapitalisierung von 2,5 Mrd. Euro. Selbst wenn man in beiden Fällen Übertreibungen entdeckt, wie es einige Experten tun, kann man den Trend nicht übersehen. Die Börse handelt mit Zukunft – und die Zukunft gehört ganz offensichtlich Onlineplattformen wie Airbnb und nicht Touristikriesen wie Tui.
In der Corona-Krise stützt der deutsche Staat den Konzern mit Milliardenhilfen. Doch Kredite und Garantien können die Tui AG in ihrer jetzigen Form nicht retten. Das Geschäftsmodell, das Vorstandschef Friedrich Joussen in den letzten Jahren als Weisheit letzter Schluss für die ganze Branche zu verkaufen suchte, hat den Test der Zeit nicht bestanden. Es war zu riskant, nicht digital genug, zu kostenträchtig. Während Airbnb selbst in der Corona-Krise noch operativ in den schwarzen Zahlen bleibt, häuft das Unternehmen aus Hannover von Quartal zu Quartal höhere Verluste an.
Tui eifert Airbnb nach
In den vergangenen Jahren steckte kein anderer Touristikkonzern auf der Welt so viel Geld in eigene Hotels, Ferienclubs, Kreuzfahrtschiffe und Flugzeuge wie Tui. Joussen wollte so an beiden Enden des Marktes verdienen – durch die Vermittlung von Dienstleistungen und gleichzeitig durch den Betrieb der Infrastruktur. Das war die Idee der „integrierten Touristik“ – und sie ist krachend gescheitert. Airbnb besitzt dagegen weder Wohnungen noch Hotels und verdient sein Geld weltweit hauptsächlich mit seiner Website. Eine Idee, die sich schon vor der Corona-Krise immer stärker durchsetzen konnte. Mit dem Geld aus dem Börsengang kann der amerikanische Konzern jetzt aber erst richtig durchstarten.
Nun treibt die Not auch Joussen in die gleiche Richtung. Etwas anderes bleibt ihm gar nicht übrig. Seine Immobilien und gebundenen Aktiva drücken auf die Bilanz, die Fixkosten fressen seine Reserven im Tagestempo immer weiter auf, ein Verkauf von Flugzeugen, Schiffen und Hotels zum allerungünstigsten Zeitpunkt dürfte weitere Abschreibungen auslösen. Wenn Tui überhaupt überlebt, dann nur als deutlich kleinerer Anbieter mit einem ähnlichen Geschäftsmodell wie Airbnb. Doch dafür könnte es bereits zu spät sein. Nach einem Betriebsverlust von zuletzt 3 Mrd. Euro geht es um die Existenz des Konzerns. Und das neue Geschäftsmodell trifft auf die härteste Konkurrenz, die man sich denken kann.
Die naive Vorstellung, dass mit vielleicht schon in diesem Sommer anziehenden Buchungen alles wieder gut wird, sollte die Aktionäre besser aufgeben. Selbst wenn die Corona-Impfungen in den ersten Monaten nächsten Jahres auf breiter Front in Europa losgehen, dauert es noch eine ganze Weile, bis alle ohne Bedenken in Flugzeuge steigen. Natürlich werden die Menschen, wenn es wieder geht, mit großer Lust Reisen buchen und der Branche einen regelrechten Boom bescheren. Die Frage ist nur: wann? Und wer hält bis dahin durch? Von kurzfristigen Buchungen der jüngeren Klientel, die am stärksten nach Urlaubsreisen giert, dürfte auf jeden Fall zunächst einmal wieder vor allem Airbnb profitieren.
Bernd Ziesemerist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.