Old soldiers never die, they just fade away. Die berühmte Zeile aus einer alten amerikanischen Soldatenballade kann man auch auf das “Wall Street Journal Europe” münzen. Die Wirtschaftszeitung stellt ihre europäische Ausgabe mit sofortiger Wirkung ein , wie der Verlag des Blattes am vergangenen Freitag erklärte. Doch diese Meldung ist nur die letzte Bestätigung eines schleichenden Todes, der über Jahre zu beobachten war. Geld hat das „Wall Street Journal Europe“ seit seiner Gründung 1983 noch niemals verdient. Nur einmal in seiner Geschichte gab es den ernsthaften Versuch, die Zeitung in Europa fest zu etablieren. Das war in den Jahren zwischen 1999 und 2003, als der damalige Chefredakteur Fred Kempe die europäische Ausgabe publizistisch aus der Nische holte und eine Überkreuzbeteiligung mit dem deutschen „Handelsblatt“ für zusätzliche Vertriebs- und Marketing-Kraft sorgte. Doch auch diese Allianz konnte die Zeitung am Ende in Europa nicht durchsetzen.
In gewisser Weise geht mit dem Tod des „Wall Street Journals Europe“ eine ganze Ära der Mediengeschichte zu Ende, die nach dem Zweiten Weltkrieg begonnen hatte. Eine ganze Weile spielten amerikanische Medien auf dem alten Kontinent eine wichtige Rolle. „Time“, „Newsweek“, „Business Week“, die „International Herald Tribune“ und nicht zuletzt das „Wall Street Journal“ erreichten zwar niemals eine massenhafte Leserschaft in Europa. Aber in der politischen Klasse und vor allem in Wirtschaftskreisen nahm man die Publikationen aus den USA durchaus ernst. Sie sorgten in Europa für eine zusätzliche Stimme im täglichen Konzert der Meinungen. Sich in Paris mit der „International Herald Tribune“ ins Café zu setzen, galt als ausgesprochen chic unter französischen Intellektuellen. Und mit dem „Wall Street Journal“ unterm Arm wies man sich in Frankfurt noch vor zehn Jahren als Mitglied der Wirtschaftselite aus. In den letzten Jahren lasen jedoch weniger und weniger Europäer die amerikanischen Zeitungen und Zeitschriften.
Amerikas Einfluss schwindet
Das „Wall Street Journal“ begründet die Einstellung seiner europäischen Ausgabe natürlich mit der Digitalisierung. Allen amerikanischen Print-Medien fällt es schon schwer genug, ihren Heimatmarkt einigermaßen zu halten. Da die Werbung immer weniger Geld in die Kassen spült und für neue digitale Ausgaben immer höhere Investitionen fällig werden, fehlen schlicht die Mittel für den Auftritt auf anderen Märkten. Das gilt jedoch keineswegs nur für Print, sondern auch für eigenständige Digitalangebote. Vor drei Jahren scheiterte der Versuch kläglich, eine deutsche Digital-Bezahlausgabe des „Wall Street Journals“ durchzusetzen. Künftig gibt es nur noch globale, aber vollkommen auf amerikanische Leser zugeschnittene Print- und Digitalversionen der Zeitung. Auch die Asien-Ausgabe wird eingestellt.
Der Rückzug aus Europa (und der Welt) signalisiert auch den geschwundenen amerikanischen Einfluss, der fast überall mit Händen zu greifen ist. Mit Donald Trump ist die „Softpower“ der Amerikaner auf ihrem Tiefpunkt angelangt. Als globale Vorbilder haben sie ausgedient. Wir nehmen die amerikanische Sicht der Dinge zunehmend als engstirnig, ja exotisch wahr. Die Debatten jenseits des Atlantiks erscheinen uns merkwürdig unzeitgemäß. Die allerwenigsten Europäer sehen die USA noch als eine intellektuelle Führungsmacht. Übrig bleibt nur noch die schiere militärische Kraft, die wir inzwischen auch nicht mehr als beruhigend, sondern eher als bedrohlich wahrnehmen. Mit dem schwindenden Interesse an der amerikanischen Weltsicht schwinden nun auch die letzten Reste von Interesse an amerikanischen Medien.
Bernd Ziesemer ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint jeden Montag auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.
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