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Handelsbeziehungen Deutsche Unternehmen sind auf China-Sanktionen nicht vorbereitet

Ein Audi Q8 im Forschungs- und Entwicklungszentrum von Volkswagen in Peking
Ein Audi Q8 im Forschungs- und Entwicklungszentrum von Volkswagen in Peking
© picture alliance/dpa | Soeren Stache
Die deutsche Wirtschaft handelt leichtsinnig, wenn es um Wirtschaftsbeziehungen zu China geht, sagt Sanktionsexperte Viktor Winkler. Sie müssten sich sofort gegen mögliche China-Sanktionen wappnen

Als ich vor Kurzem den China-Vorstand von Volkswagen, Ralf Brandstätter, fragte, ob VW eine Strategie für drohende China-Sanktionen habe, antwortete er mir, dass VW jetzt zunehmend auf autonom kontrollierbare Wertschöpfungsketten, auf lokalisierte Produkte setze; dass die lokalen Entwicklungskompetenzen verstärkt, der Technologietransfer mit China deutlich reduziert und die Autonomie der Region mit mehr Entscheidungskompetenzen vehement ausgebaut werde.

Das sind alles enorm sinnvolle Maßnahmen, vor allem logistisch und betriebswirtschaftlich. Und doch sind sie ein geradezu typisches Beispiel für das, was erfahrene Wirtschaftsanwälte das Panik-Prinzip nennen. Das Prinzip lautet: Bevor eine regulatorische Strafe oder Beschränkung das Unternehmen mit voller Härte trifft, tun Unternehmen viel zu wenig. Und wenn sie dann zuschlägt oder kurz davor, tun Unternehmen viel zu viel.

Deutsche Wirtschaft ohne Plan

Ein Großteil der deutschen Wirtschaft hat trotz einer atemberaubenden Abhängigkeit von chinesischer Produktion bislang keinerlei Antwort auf die Frage, was das Unternehmen tun wird, wenn plötzlich – und Sanktionen werden immer plötzlich, also ohne Vorlauf erlassen – China-bezogene Sanktionen durch die EU oder die USA oder Beide erlassen werden.

Und diejenigen deutschen Unternehmen, die wie VW in Sorge um die Zukunft bereits konkrete Antworten suchen, finden diese leider immer wieder in der falschen Richtung: nämlich in der Umstellung oder bisweilen sogar der Beschränkung des China-Geschäfts – eben im Panik-Prinzip.

Aber auf die Gefahren des Straßenverkehrs reagiert man durch sicherere Fahrzeuge, nicht indem man zu Hause bleibt. Und auf eine drohende regulatorische Beschränkung reagiert man mit mehr Compliance, nicht mit weniger Geschäft. Nun ist Compliance mittlerweile leider eine der meistmißbrauchten Floskeln dubioser „Consultants“ geworden. Was also ist hier wirklich zu tun?

Drei Prognosen zu China-Sanktionen

Zunächst muss das Risiko klar herausgearbeitet werden. Sonst befüttert Unklarheit nur Panik. Daher drei konkrete Prognosen von mir zu China-Sanktionen:

Prof. Dr. jur. Viktor Winkler ist Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Sanktionsrecht und lehrt Wirtschaftsrecht an der IU International University. Zuvor arbeitete er bei der Commerzbank als Head of Global Standards Sanctions. Er studierte an der Frankfurter Goethe-Universität und der Harvard University

Erstens: Das China-Geschäft deutscher Firmen wird zu einem Reputationsrisiko werden wie bei Russland. Nicht genau so vehement, aber vergleichbar. Der Grund ist die Menschenrechts-Revolution, die wir im regulatorischen Bereich seit vielen Jahren erleben, vor allem auf EU-Ebene. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist davon nur eine und die jüngste Ausprägung. Es ist zudem vor allem die Öffentlichkeit, die sich hier zunehmend extrem kritisch zu den Produktionsbedingungen in China verhalten wird. Regulatorik und Reputation werden sich hier also – wie bei Russland – extrem eng verzahnen.

Zweite These: China-Sanktionen werden kommen, ob nun wegen Taiwan oder unabhängig davon. Aber sie werden nicht breit verhängt werden, sondern klein, punktuell, eher marginal. Und das wird das Banken-Problem auslösen: Banken haben bei den Iran-Sanktionen und dann massiv bei den Russland-Sanktionen gezeigt, dass sie bei Sanktionen zur Hysterie neigen und Geschäfte ohne rechtliche Grundlage fallen lassen. In der Branche nennt man das „Overcompliance“. Es bedeutet, dass Finanzierungen, Kreditlinien und sogar Kontoleistungen nicht mehr erbracht werden, obwohl die Banken hierzu vertraglich verpflichtet sind und die Sanktionen die Geschäfte gerade nicht verbieten. Die Banken sind aber aus Reputations- und Rechtssorgen zu ängstlich, um weiter in diesem Risikoumfeld zu handeln.

Wenn die Banken dies bei China-Sanktionen auch so tun werden – und ich bin fest davon überzeugt, dass sie dies tun werden, um eigene Strafen und Nachteile um jeden Preis zu vermeiden – dann wird das dazu führen, dass selbst kleinste Mikro-Sanktionen der EU oder der USA zu massiven, breiten Finanzierungsproblemen in der deutschen Wirtschaft führen werden. Durch die eng verzahnten Lieferketten bei China wird dies hier dramatische Auswirkungen auf die Wirtschaft insgesamt haben.

Damit bin ich bei meiner dritten These: China-Sanktionen werden eine „atomare“ Wirkung haben. Eine sehr kleine Veränderung im Sanktions-Bereich wird bei China eine explosionsartige Wirkung haben, die zu der Schwere der rechtlichen Beschränkungen völlig außer Verhältnis stehen wird – wegen des genannten Banken-Problems, vor allem aber wegen der enorm verzweigten Lieferketten.

Was also tun? Zunächst einmal gilt auch hier: Problem erkannt, Problem gebannt. Die Vorstände und Geschäftsführer müssen sich, auch wenn es Angenehmeres gibt, mit zwei Sachverhalten jetzt endlich intensiv beschäftigen:

Was sind eigentlich Sanktionen, was bedeuten sie für mich persönlich und für mein Unternehmen, wenn sie kommen? Und wie werden unsere Lieferketten und unsere Banken auf selbst kleine Sanktionseingriffe reagieren, gerade im Hinblick auf öffentliche Kritik an unserer China-Produktion? Hier geht es wohlgemerkt nicht nur darum, Juristen zu fragen. Hier ist das Marketing gefragt, die Kommunikationsabteilung, die Risikofunktion, die Geschäftseinheiten – kurzum: eine gesamthafte, einheitliche Risikoanalyse, die gerade nicht verengt ist auf das Rechtliche.

Daneben müssen die Unternehmen jetzt sofort in Deutschland an die Verträge ran. Das ist die besonders langweilige, mühsame Antwort auf die Bedrohung. Aber es ist letztlich der einzige Weg. Nicht wolkiges „Compliance“-Blabla wird die China-Sanktionsgefahr auffangen, sondern harte Klauseln in allen Lieferverträgen, durch die gesamte Lieferkette hindurch, in denen das Risiko dieser Sanktionen, das Risiko eines Verstoßes und die Schäden aus den Sanktionen – alles drei – fair verteilt werden innerhalb der Kette. Und mit der Durchsetzung dieser Klauseln gegenüber Lieferanten und Abnehmern muss jetzt begonnen werden, nicht erst wenn die Sanktionen kommen. Dann ist es zu spät.

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