60 Prozent aller deutschen Unternehmen, die in und mit China Geschäfte machen, halten die kommunistische Volksrepublik für einen schlechteren Investitionsstandort als früher. So lautet das verheerende Urteil einer repräsentativen Firmenumfrage der Außenhandelskammer in Peking. Solch einen Meinungswandel innerhalb nur eines Jahres gibt es unter Konzernen nur sehr selten. Am stärksten ist die Ernüchterung in der Branche, die bisher blind auf den chinesischen Markt gesetzt hat: unter den Autoherstellern. Dort sprechen sogar rund zwei Drittel von einem weniger attraktiven Standort.
Für das Umdenken gibt es neben vielen kleinen Gründen zwei ganz große: die vollkommen gescheiterte Covid-Politik der Regierung mit ihren katastrophalen Folgen für die Wirtschaft. Und Russland. Nach dem Reich Wladimir Putins selbst ist China mittel- bis langfristig der weltweit größte Verlierer des Überfalls auf die Ukraine. Dabei geht es gar nicht in erster Linie um den öffentlichen Beistand der chinesischen Staats- und Parteiführer für den Aggressor oder um die Tatsache, dass China als Lieferant für zahlreiche Waren einspringt, die aus dem Westen nicht mehr kommen. Nicht einmal die Angst vor möglichen Sekundärsanktionen spielt eine große Rolle. All das bekümmert, wenn überhaupt, nur die deutsche Politik, aber nicht die deutschen Unternehmen.
Seit dem Einsatz russischen Erdöls und russischen Erdgases als politische Waffe geht in der deutschen Wirtschaft vielmehr die Furcht um, all das könnte sich im Fall Chinas wiederholen. Und das schon bald, falls Xi Jinping tatsächlich seine Truppen auf Taiwan loslässt. Kein Wort hört man plötzlich so oft wie „Abhängigkeit“, wenn man mit deutschen Mittelständlern über China spricht. Sie denken deshalb mittlerweile deutlich schneller um als viele große deutsche Konzerne.
In die Köpfe deutscher Unternehmer kehrt etwas zurück, was seit dem Beginn der chinesischen Öffnungspolitik 1978 nahezu vollständig verschwunden war: Man stellt wieder die Systemfrage. Jahrzehntelang glaubten viele Unternehmer und Manager, man könnte den Charakter des Regimes in Peking schlicht ignorieren. Weder das Massaker auf dem Tiananmen Platz 1989 noch die aggressive Außenpolitik unter Xi Jinping ab 2012 führten zu einer Wende in dieser Geisteshaltung. Erst der Überfall Russlands auf die Ukraine führte zu dem notwendigen Schock, der mitunter einen Erkenntnisgewinn auslöst.
Wie im Falle Russlands warnen so gut wie alle Experten – egal ob Wissenschaftler oder Publizisten – seit vielen Jahren vor einer falschen China-Strategie. Auch in der deutschen Politik wächst seit Jahren die Zahl der Skeptiker – man denke nur an so unterschiedliche Abgeordnete wie den Grünen Reinhard Bütikofer oder die Freie Demokratin Gyde Jensen. Nur im Kanzleramt und in den Konzernzentralen blieb man bis vor kurzem stur auf dem einmal eingeschlagenen Kurs.
So wenig wie es eine Rückkehr zum Status quo Ante im Geschäft mit Russland geben kann, so wenig kehren auch die guten alten Zeiten in China zurück. Das Land hat seinen Zenit überschritten, weil sich die Führung der KP Chinas als strukturell reformunfähig zeigt, wenn es um ihr absolutes Machtmonopol geht. Sie fällt immer wieder von einem Extrem ins andere, wie die letzten beiden Jahre gezeigt haben: Erst eine Null-Covid-Politik mit Razzien und Seuchenpolizisten, um die Bürger in Quarantäne-Zwangslager zu prügeln. Jetzt der völlige Verzicht auf einen Schutz der Bevölkerung. Wer jetzt noch von dem „großen Pragmatismus“ der chinesischen Führer redet, wie es über Jahrzehnte in der deutschen Wirtschaft üblich war, macht sich nur noch lächerlich.