Immer wieder hat Oliver Blume sein Führungsprinzip beim von ihm geleiteten Volkswagen-Konzern beschrieben. Die Marken sind verantwortlich, der Konzern – also Blume selbst – setzt „Leitplanken“. Aber wenn sich der Weg einer der Einheiten des Autobauers nicht mehr entlang dieser Planken bewegt – sondern stattdessen mit der Seitenbegrenzung zu kollidieren droht – so Blume, dann wird gehandelt. Nämlich schnell. Dass bei Audi etwas passiert, hat sich seit Monaten abgezeichnet. Dass es jetzt derart rasch geht: Das sagt einiges darüber, wie ernst es Blume meint und wie ernst es in seiner Sicht um den Premiumhersteller Audi steht, der traditionell einer der wichtigen Gewinnbringer des Konzerns ist.
Audi-Chef Markus Duesmann muss gehen – Blumes Vorgänger Herbert Diess hatte den Manager vor fünf Jahren von seinem eigenen vormaligen Arbeitgeber BMW zu Audi gelockt. Als Duessmann schließlich 2020 in Ingolstadt beginnen durfte, da startete er mit großen Hoffnungen. Heute kann man zusammenfassen, dass er diese – nicht nur in den Augen Blumes – enttäuscht hat: Bröckelnde Verkaufszahlen, kaum neue Impulse bei Kosten oder attraktiven Modellen für den Markt. Dazu kamen aufeinanderfolgende interne Querelen, die sich seit Jahresanfang multipliziert haben.
Indem er Duessmann nun schnell in die Wüste schickt, sendet Blume ein lautes Warnsignal in den Konzern. Es ist bereits das zweite, nachdem der Konzernchef bereits im Mai den gesamten Vorstand seiner krisenumtosten Softwaretochter Cariad ausgetauscht hatte. Blume zeigt damit, wie ernst er die Lage für den Gesamtkonzern sieht. Wenn man den Konzernchef dieser Tage fragt, ob seine Aufgabe eine Sanierungsaufgabe sei, dann springt er keinesfalls empört auf und verwahrt sich dagegen. Vielmehr kann man den Eindruck bekommen, dem CEO sei es nicht unrecht, wenn klar wird, dass es bei VW nicht nur um ein bisschen Umbau geht, sondern an vielen Stellen um Restrukturierung.
Interessanter noch als der Abgang ist, wer ihm folgt: Der neue Audi-Chef Gernot Döllner wird erkennbar aus Wolfsburg nach Ingolstadt geschickt, um dort Ordnung zu schaffen. Der Ingenieur war vor drei Jahren von Diess als Strategiechef in die VW-Zentrale geholt worden. Zu seinen Aufgaben dort gehörte hier auch, Audi Grenzen zu setzen und gleichzeitig anzutreiben. Die Grenzen zu zeigen zum Beispiel, wenn die Technikwünsche, die Kostenvorstellungen oder die Zeitpläne der Ingolstädter zu weit gingen. Der Maschinenbauingenieur aus Niedersachsen ist seit 30 Jahren bei Volkswagen und insofern mit allen Konzernwassern gewaschen.
Von Porsche lernen
Den größten Teil dieser 30 Jahre hat er bei der Sportwagentochter Porsche verbracht – und damit eine ganz ähnliche Biographie wie Oliver Blume, der bis heute neben seiner Tätigkeit als VW-Chef auch noch Chef bei Porsche ist. Und man darf vermuten, dass Blume möchte, dass Döllner seine Porsche-Erfahrungen bei Audi einbringt. Schon lange geht im VW-Konzern der Verdacht um, dass Blume Porsche-Prinzipien, Porsche-Manager und Porsche-Denkweisen über den ganzen Konzern verteilen möchte. Das ist etwas, was in Teilen des Konzerns gar nicht gern gesehen wird, aber besonders bei Audi traditionell Abstoßungsreaktionen hervorruft. Denn die Ingolstädter Manager hielten sich lange Zeit für mindestens ebenbürtig mit Porsche. Was sich etwa vergangenes Jahr daran zeigte, wie beide Marken nebeneinander um einen Einstieg bei der Formel 1 wetteiferten (am Ende klappte es nur bei Audi).
Sichtbar hat es Blume nicht gestört, dass ein Mann mit Porsche-Stallgeruch in Ingolstadt potenziell allergische Reaktionen auslöst. Der Konzernchef hat nicht damit hinter dem Berg gehalten, dass Audi seiner Ansicht nach von Porsche-Erfahrungen lernen könnte: schärferes Design, mehr Technik-Innovationen besonders bei E-Fahrzeugen, größeres Kostenbewusstsein. Blume warf Audi intern vor, dass der Edelautobauer seinen Slogan „Vorsprung durch Technik“ schon lange nicht mehr einlöst. Der Modellzyklus ist aus seiner Sicht schlecht geplant worden, so dass die Marke mit den vier Ringen derzeit keine Produktneuheiten zu bieten hat. Nicht nur, aber besonders in China hat Audi ein Imageproblem. Das Design der Fahrzeuge, innen und außen ist dem Konzernchef zu fad geworden, so dass er – bei allen Schwüren, den Marken Freiheit zu geben – sich in Designabstimmungen für künftige Modelle schon einmal selbst einschaltete und für Nachschärfen sorgte.
Blume ist noch nicht einmal ein Jahr Chef bei Volkswagen. In den ersten Wochen nach seinem abrupten Aufrücken an die Konzernspitze nahmen seine Untergebenen den Neuen oft als zurückhaltende Führungskraft wahr, als einen, der sich weniger einmischt, als sein Vorgänger. Spätestens jetzt sieht jeder im Konzern: Eine zurückhaltende Führungskraft ist Oliver Blume nicht.