Um 9,9 Prozent ist das britische Bruttoinlandsprodukt laut Daten des nationalen Statistikamtes im vergangenen Jahr eingebrochen. Die Wirtschaftsleistung liegt damit auf demselben Niveau wie 2013, der Einbruch ist historisch: Dem Statistikamt zufolge, handelt es sich bei dem Absturz der Wirtschaftsleistung in 2020 um den größten Einbruch seit Beginn der Aufzeichnungen 1948. Britische Medien sprechen mit Hinweis auf Daten der Bank of England sogar vom größten seit 1709 aus . Infolge eines der bis dato kältesten Winter war die britische Wirtschaft damals um 13 Prozent eingebrochen.
Im internationalen Vergleich wurde Großbritannien schwerer von den Folgen der Corona-Pandemie getroffen als andere Industriestaaten. Im Vergleich der G7-Staaten musste das Königreich die größten Einbußen hinnehmen. Zum Vergleich: Frankreichs Wirtschaft schrumpfte um 8,3 Prozent, Italiens um 8,8 Prozent und die deutsche Volkswirtschaft um 5,0 Prozent.
Zwar ist die britische Wirtschaft im dritten und vierten Quartal 2020 nach Lockerungen der Corona-Einschränkungen gewachsen – im vierten Quartal mit einem Plus von einem Prozent sogar stärker als erwartet. Den steilen Einbruch von 19 Prozent infolge des Lockdowns im Frühjahr konnten die Folgequartale allerdings nicht auffangen. Somit lag die britische Wirtschaft Ende 2020 noch um 7,8 Prozent unter dem letzten Vorkrisenquartal von Oktober bis Dezember 2019.
Ursachen
Im Jahresverlauf entwickelte sich die britische Wirtschaft damit ähnlich wie die meisten anderen Industrienationen, der besonders tiefe Einschnitt ist allerdings auch ein Resultat der besonders starken Ausbreitung des Coronavirus. Die verspätete und damit umso schärfere Reaktion der britischen Regierung bekam die heimische Wirtschaft so weit deutlicher zu spüren als die in anderen Ländern.
Besonders der Lockdown im Frühjahr 2020 hat die britische Wirtschaft schwer getroffen. Allen voran der Dienstleistungssektor, der etwa 80 Prozent der britischen Wirtschaft ausmacht, schrumpfte in 2020 um 8,9 Prozent. Zum Vergleich: das verarbeitende Gewerbe verzeichnete ein Minus von 8,6 Prozent, das Baugewerbe ein Minus um 12,5 Prozent.
Trotz des herben Rückgangs konnte sich vor allem die letzten beide Sektoren in der zweiten Jahreshälfte deutlich besser erholen. Demnach wuchs die Produktion im vierten Quartal um 1,8 Prozent und das Baugewerbe um 4,6 Prozent. Der Dienstleistungssektor legte dagegen von Oktober bis Dezember um 0,6 Prozent zu. Der dritte Lockdown, der seit dem 5. Januar gilt, dürfte das Plus zum Jahresende allerdings wieder zunichte machen.
Bank of England rechnet mit Rückgang im ersten Quartal
Neben den Folgen der Corona-Pandemie hatte Großbritannien auch mit den Brexit-Turbulenzen und der damit verbundenen Unsicherheit über einen möglichen Brexit-Deal zu kämpfen. So stieg das britische Handelsdefizit im vierten Quartal bereits 14,3 Mrd. Pfund – auch weil sich viele Unternehmen vor dem Ende der Brexit-Übergangsphase mit Waren vom europäischen Festland eindeckten.
In diesem Jahr dürfte sich der Effekt des EU-Austritts und die damit verbundene Neuregelung der Handelsbeziehungen besonders deutlich in der Konjunktur niederschlagen. Bereits der erste Monat mit dem Brexit-Deal war durch verzögerte und ausbleibende Lieferungen aufgrund fehlender oder falscher Zoll-Papiere geprägt. Bis zum Ende des kommenden Jahres könnte der Brexit-bedingte Rückgang des BIP mit 2,25 Prozent fast viermal so groß sein wie der Rückgang auf europäischer Seite , prognostizierte die EU-Kommission in der vergangenen Woche. Damit sei der Rückgang immer noch deutlich geringer als ein Szenario ohne Handelsabkommen.
Auch die Ausbreitung der Coronavirus-Mutation und die anhaltenden Ausgangssperren dürften die Konjunktur im ersten Quartal weiter dämpfen, erwarten britische Ökonomen. Berechnungen der Bank of England zufolge, könnte das britische BIP im ersten Quartal 2021 ein Minus von vier Prozent verzeichnen. Trotz des Rückgangs dürften die Auswirkungen aber „nicht so gravierend sein wie 2020 im zweiten Quartal“, schreibt die Bank in ihrem „Bericht zur Geldpolitik“ Anfang Februar.
Die Ausweitung der Impfkampagne und damit verbundene Lockerungen könnten im Frühjahr einen schnellen Aufschwung befeuern – unter anderem durch mehr Konsum bei den Verbrauchern. Dennoch werde es bis Anfang 2022 dauern, bis das BIP wieder das Vorkrisenniveau erreicht. Viele Ökonomen sind nicht so optimistisch: Sie glauben, dass die Erholung länger dauern wird.
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