Hochgeehrter Herr Hayek,
mit Besorgnis beobachte ich, was sich derzeit in Europa tut. Radikale Strömungen gruppieren sich und wollen die Errungenschaft des europäischen Binnenmarktes zunichtemachen. Über die europäischen Wahlen im Mai könnten sie sogar demokratisch legitimiert Einzug halten im Parlament. Eine Konsequenz der falschen Krisenpolitik in Europa. Mich schaudert es. Fühlen Sie sich nicht auch an düstere Zeiten erinnert?
Ihr John Maynard
Sehr geehrter Herr Keynes,
es liegt mir fern, für Nationalisten Partei zu ergreifen, deren Ideologie ja nur eine fremdenfeindliche Spielart des Sozialismus ist. Allerdings erstaunt mich wenig, dass dieser seltsame Apparillo der Europäischen Union nun von diesen Leuten gekapert wird. Er bietet ja mit seinem Hang zur Bevormundung, zur volksbeglückenden Planung und Regelwut eine perfekte Spielwiese für alle Feinde der Freiheit.
Ihr F. A. Hayek
Aber Hayek,
ich bitte Sie: Sie werden doch wohl die Erfolge der Europäischen Union nicht gänzlich in Abrede stellen wollen. Schließlich hat diese Verbindung in historisch einzigartiger Weise für Wohlstand, Frieden und Kooperation innerhalb ihrer Grenzen gesorgt. Das wird bei allem Klagen über Verordnungen aus Brüssel heutzutage gerne vergessen. In Hoffnung auf Einsicht Ihrerseits,
John Maynard
Sehr geehrter Herr Keynes,
ich bezweifle gar nicht, dass ein gemeinsamer Markt ohne künstliche Schranken ein gutes Instrument ist. Aber es musste ja eine gewaltige Behörde her, hochtrabende Förderprogramme, Umverteilung. Ich habe schon vor Jahrzehnten den Unsinn eines solchen Leviathans aufgezeigt: „Wie kommt man nur darauf, dass es ein gemeinsames Ideal der Verteilungsgerechtigkeit gibt, das den holländischen Arbeiter bewegt, zugunsten des Arbeiters aus Coventry mehr für sein Fahrrad zu zahlen, oder den französischen Bauern, mehr Steuern für die Industrialisierung Italiens zu entrichten?“ (Hayek, 1944)
Ihr F. A. Hayek
Tja, Hayek,
man merkt tatsächlich, dass dieses Werk schon ein paar Jahrzehnte zurückliegt. Denn genau das ist ja nun inzwischen eingetreten. Ich hoffe, dass die radikalen Parteien mit einer ähnlich schwachen Argumentation in den Wahlkampf gehen wie Sie.
Keynes
Sehr geehrter Herr Keynes,
nun, das Aufkommen dieser Parteien zeigt doch wohl, dass es mit Ihrer internationalen Solidarität nicht so weit her ist, oder?
Ihr F. A. Hayek
Hayek,
ich fürchte, Sie sind persönlich geschädigt. Nur weil Ihre Habsburger Heimat gescheitert ist, muss das ja nicht für alle Großprojekte gelten.
JMK
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