Bernd Ziesemer ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint jeden Montag auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.
Manchmal muss man nur ein bisschen rechnen, um den ganzen Wahnsinn einer völlig verfehlten Unternehmensführung zu begreifen. Bei VW fällt die Dividende in diesem Jahr von 4,80 Euro auf 11 Cent – ein Rückgang um 97, 61 Prozent. Und die Vorstandsgehälter? Sie sinken, wenn man realistisch rechnet, um 20 bis maximal 30 Prozent. So richtig kann man das erst 2018 sagen. Denn einen Teil der Chefboni verschiebt der Konzern nur um zwei Jahre – und koppelt sie an einen Anstieg der jetzigen Aktienkurse um mindestens 25 Prozent. Erholen sich die VW-Papiere richtig kräftig, könnten die VW-Vorstände sogar plus-minus null aus der ganzen Dieselaffäre rauskommen. Und das, obwohl sie mit einem Fehlbetrag von 5 Mrd. Euro den schlimmsten Verlust der ganzen VW-Geschichte verantworten.
Wenn der Begriff Mogelpackung jemals gerechtfertigt war, dann in Sachen Boni bei VW. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil bemühte sich am Freitag auf der Pressekonferenz von Vorstand und Aufsichtsrat redlich, aber vergeblich, den ausgehandelten Kompromiss mit seinen uneinsichtigen Vorstandsmitgliedern als fairen Beitrag zur Bewältigung der jetzigen Konzernkrise zu verkaufen. In Wahrheit zeigt sich in dieser Frage immer mehr das Versagen eines Aufsichtsrats, der von seiner ganzen Zusammensetzung und professionellen Haltung her ungeeignet ist, einen Konzern wie VW zu kontrollieren.
Ein zweiter Fall Bernhard?
Das Versagen in der Boni-Frage dürfte drei Folgen haben. Erstens schürt der Fall VW die ohnehin weitverbreitete Meinung in der Öffentlichkeit, wir hätten es in den Konzernen nur noch mit amoralischen Abzockern zu tun. Die Linke sollte sich für die Wahlkampfhilfe durch Wolfgang Porsche und Compagnie bedanken. Zweitens stärkt die Boni-Entscheidung die starre Position des VW-Betriebsrats, der sich nun umso besser gegen die eigentlich notwendigen Einschnitte bei Volkswagen wehren kann. Die IG Metall sollte sich deshalb auch bei den Aufsichtsräten bedanken. Und drittens unterstützt das Vorgehen die alte Wagenburgmentalität in Wolfsburg, die eine Aufklärung der kriminellen Affäre um fortgesetzten Abgasbetrug verhindert. Deshalb sollten sich auch die Schuldigen der Schummelei bei den Aufsehern bedanken.
Es wird immer unwahrscheinlicher, dass mit der jetzigen Führungsmannschaft ein Wandel der faulen Unternehmenskultur bei VW zu machen ist. Dabei ginge es ja gar nicht um große Sachen und gewaltige Visionen, sondern um die schlichte Einhaltung anerkannter Grundsätze guter Unternehmensführung. Man lese einfach nur nach im Corporate Governance Kodex. Wenn aber selbst 17 Mrd. Euro an Rückstellungen für die Kosten der Dieselaffäre nicht ausreichen, um eine Verhaltensänderung zu erzwingen – was dann? Wahrscheinlich muss es noch schlimmer kommen, ehe es besser werden kann.
Wenn überhaupt. Solange der Porsche-Piëch-Clan als Mehrheitseigentümer die Dinge so laufen lässt wie bisher, wird sich nichts ändern in Wolfsburg. Es gibt nicht nur schlechte Vorstände und schlechte Aufsichtsräte, sondern auch schlechte Eigentümer. Der Fisch stinkt, wie ja der Volksmund sagt, vom Kopf her.
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