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Kommentar Bildung ohne Grenzen

Den syrischen Flüchtlingen mangelt es an allem - auch an Bildungschancen. Ein Projekt im Libanon verspricht nun Abhilfe. Von Gordon Brown
Syrische Flüchtlingskinder: Schulbildung bleibt ihnen häufig verwehrt
Syrische Flüchtlingskinder: Schulbildung bleibt ihnen häufig verwehrt
© Getty Images

In Kürze jährt sich der Beginn des syrischen Bürgerkrieges zum dritten Mal. Zugleich ist ein Rennen gegen die Zeit im Gange, um ein bahnbrechendes Bildungsprojekt für die von dem Konflikt am schwersten betroffenen Opfer umzusetzen – hunderttausende von Flüchtlingskindern.

Die schockierende Zahl von drei Millionen syrischer Kinder wurden inzwischen vertrieben. Mehr als eine Million von ihnen sind aus Syrien geflohen und schmachten in Lagern in benachbarten Ländern, vor allem im Libanon, in Jordanien und der Türkei. Diese Kinder haben ihren dritten Winter fern von zu Hause, ohne Schulen und Freunde durchlitten. Viele wurden von ihren Familien getrennt, und jeden Tag erhöht sich die Zahl der Vertriebenen um weitere tausende. Es entwickelt sich die größte humanitäre Katastrophe unserer Zeit.

Gordon Brown war britischer Premierminister und Schatzkanzler und ist heute Uno-Sonderbeauftragter für Bildung
Gordon Brown war britischer Premierminister und Schatzkanzler und ist heute Sonderbeauftragter der Vereinten Nationen für die weltweite Bildung
© Project Syndicate

Doch eine bahnbrechende Initiative im Libanon, an der Lehrer, Hilfsagenturen und Wohltätigkeitsorganisationen aus dem Bildungssektor beteiligt sind, hat ein kleines Fenster der Hoffnung aufgestoßen. Inmitten von Lagerchaos, Behelfshütten und Elend hat der Kampf um ein wichtiges neues Prinzip der internationalen Hilfe begonnen: Kinder müssen selbst in Konfliktzeiten Zugang zu Bildung haben.

Vor anderthalb Jahrhunderten etablierte das Rote Kreuz die Norm, dass medizinische Betreuung selbst in Konfliktzonen geleistet werden kann und sollte. Dieser Grundsatz wurde von Gruppen wie Ärzte ohne Grenzen weitergeführt, dessen Ärzte seit vier Jahrzehnten ihr Leben riskieren, um an den gefährlichsten Orten der Welt medizinische Hilfe zu leisten.

Recht auf Bildung auch für Flüchtlinge

Jetzt ist der Libanon Standort eines Pilotprogramms, um die Idee voranzutreiben, dass die Versorgung von Flüchtlingskindern mit Bildung gleichermaßen möglich – und nicht weniger wichtig ist. In 1500 Gemeinden in diesem geplagten geteilten Land, in dem syrische Flüchtlingskinder inzwischen 20 Prozent der Bevölkerung im Schulalter ausmachen, wird versucht, das Recht der Kinder auf Bildung als humanitäre Priorität zu etablieren.

Ein typisches Flüchtlingskind verbringt mehr als zehn Jahre fern der Heimat. Und jeder Monat ohne Schule macht es unwahrscheinlicher, dass es je dorthin zurückkehren wird. Vor drei Jahren besuchten die meisten syrischen Kinder eine Schule, und fast jeder Syrer hatte eine Grundschulbildung. Heute wird Millionen von Kindern die Chance vorenthalten, ihre Begabungen zu realisieren. Diese Wunden werden für Jahrzehnte fortbestehen.

In Syrien und seiner Umgebung wächst also bereits eine verlorene Generation heran: Kinder, die inzwischen acht oder neun Jahre alt sind und noch nie eine Schule besucht haben, Kinder, die dazu verurteilt sind, als Kinderarbeiter zu schuften, und hunderte von Mädchen, die in frühe Ehen gezwungen werden. Es gibt erschütternde Berichte über junge Menschen, die gezwungen waren, ihre Nieren oder andere Organe zu verkaufen, nur um zu überleben.

Unterricht im Zwei-Schichten-System

Natürlich müssen wir für Lebensmittel, Unterkünfte und Impfungen sorgen. Doch was Kinder in Konflikten wie diesem über den materiellen Grundbedarf hinaus brauchen, ist Hoffnung. Und es ist Bildung, die den Kindern die Hoffnung bietet, dass es ein Licht am Ende des Tunnels gibt – Hoffnung, dass sie für die Zukunft planen und sich auf Arbeitsplätze und das Erwachsenendasein vorbereiten können.

Das von Kevin Watkins vom United Kingdom’s Overseas Development Institute konzipierte und vom Uno-Kinderhilfswerk Unicef und vom Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR geleitete Pilotprojekt im Libanon eröffnet die Möglichkeit, unabhängig von Grenzen ein Recht auf Bildung zu etablieren. Tatsächlich ist es darauf ausgelegt, alle 435.000 syrischen Flüchtlingskinder zu versorgen, die sich heute im Land aufhalten. Dank einer historischen Übereinkunft mit der libanesischen Regierung können innerhalb von Wochen Plätze für hunderttausende von Kindern geschaffen werden, indem 1500 libanesische Schulen auf ein Zwei-Schichten-System umgestellt werden.

In einem kleinen Dorf namens Akroum im Norden des Landes ist das Projekt bereits angelaufen. Die libanesischen Kinder werden während der ersten Schicht unterrichtet, und die syrischen Kinder während der zweiten. Die Nutzung derselben Schulen durch beide Schülergruppen bedeutet, dass der Unterricht zum Preis von nur 670 Dollar pro Kind und Jahr durchgeführt werden kann.

Suche nach Geberländern

Um Plätze für alle Flüchtlingskinder zu schaffen, versuchen wir, 195 Mio. Dollar pro Jahr für Unicef und UNHCR aufzubringen. Der Plan soll vor Ort durch NGOs und die libanesischen Behörden umgesetzt werden. Ziel ist es, die gesamte Finanzierung im März zu sichern, weil sich dann die Aufmerksamkeit der Welt auf den dritten Jahrestag des tragischen Exodusses aus Syrien richtet.

Wir haben bereits eine Koalition aus zehn Geberländern zusammen, die dabei die Führung übernimmt, doch wir brauchen zehn weitere Geber, um das Projekt komplett zu finanzieren. Wir appellieren an die Geber, nicht nur tausende von Schulplätzen für verzweifelt bedürftige Kinder, sondern zugleich einen Präzedenzfall für die 20 Millionen weiteren Kinder zu schaffen, die durch gewaltsame Konflikte in Flüchtlingslagern und Behelfssiedlungen getrieben wurden.

Es kann keine universelle Bildungschance für die Kinder der Welt geben ohne die Übereinkunft, dass wir uns der Kinder in Konfliktzonen annehmen. Eine Million afghanischer Kinder leben in Lagern entlang der Grenze zu Pakistan. Tausende von Kindern im Südsudan warten noch immer auf ihre erste Chance, eine Schule besuchen zu dürfen, und für eine Million weiterer Kinder in der kriegsverheerten Zentralafrikanischen Republik müssen erst noch Schulen geschaffen werden. Die Chancen dieser Kinder sind davon abhängig, dass wir im Libanon Fortschritte machen können.

Die im Jahr 2000 verabschiedeten Uno-Millenniumziele laufen im Dezember 2015 aus. Das bedeutet, die Zeit läuft, um den Stichtag für das Erreichen des Ziels einer universellen Grundschulbildung einzuhalten. Aber dieses Ziel bleibt so lange unerreichbar, bis wir das lange überfällige Prinzip etablieren, dass das Recht eines Kindes auf Bildung keine Grenzen kennt.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

© Project Syndicate 1995–2014

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