Obwohl für die ums Überleben kämpfende Münchner Baywa AG ein möglicher Rettungsplan wahrscheinlicher wird, droht am Horizont weiterer Ärger. Womöglich rollt eine Klagewelle von Aktionären auf das angeschlagene Unternehmen zu – wegen des Verdachts auf fehlerhafte Information des Kapitalmarkts. „Wir prüfen, ob die Öffentlichkeit zu spät und falsch über eine schon bestehende finanzielle Schieflage der Baywa informiert wurde, und behalten uns eine Klage vor“, sagt Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) zu Capital. „Wenn der Kapitalmarkt zu spät informiert wurde, ist den Aktionären von dem Unternehmen eine Entschädigung zu zahlen.“
Anstoß für eine Klage wäre, dass es fehlerhafte Informationen gegeben hat: „Wir sammeln Informationen und prüfen, ob ein Anspruch auf Schadenersatz berechtigt wäre“, so Bergdolt. Um dies abzuschätzen, müsse das Sanierungsgutachten abgewartet werden. „Das sollte Aufschluss geben, und danach werden wir handeln.“ Noch Mitte Juni habe Baywa-Chef Marcus Pöllinger bei der Hauptversammlung den Eindruck vermittelt, alles sei gut, obgleich es keine Dividende gebe, nur um vier Wochen später ein Sanierungsgutachten wegen angespannter Finanzlage anzukündigen.
Dividende gestrichen, Sanierer geholt
Nach deutschem Recht muss sich zwar jeder Aktionär selbst sein Recht erstreiten. Doch haben beispielsweise Anlegerklagen im Zusammenhang mit dem Wirecard-Bilanzskandal zu einem Kapitalanleger-Musterfahren vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht geführt. Ein Musterverfahren gibt geschädigten Anlegern die Möglichkeit, denkbare Schadenersatzansprüche innerhalb bestimmter Fristen bei Gericht anzumelden.
Nachdem sich die wirtschaftliche Lage des Agrar- und Baustoffhändlers mit weltweit 24.000 Beschäftigten 2023 stark verschlechtert hatte, musste die Baywa den ersten Verlust in ihrer mehr als hundertjährigen Geschiche schreiben. Der Vorstand stimmte gegen die Zahlung einer Dividende und legte ein Restrukturierungsprogramm vor. Mitte Juli erfolgte in einer Pflichtmitteilung für die Börse die Bekanntgabe, dass ein Sanierungsgutachter berufen sei, um die weitere Finanzierbarkeit der Geschäfte darstellen zu können. Andernfalls wird ein Insolvenzantrag wegen Überschuldung unvermeidbar.
Wurden Baywa-Aktionäre falsch informiert?
„Die Schieflage kam ja nicht von heute auf morgen“, sagt Bergdolt mit Blick auf den Showdown im Aufsichtsrat, bei dem dessen Vorsitzender und langjähriger Konzernchef Klaus Josef Lutz im Streit den Hut nahm. Lutz war 15 Jahre lang CEO und übergab 2023 an Nachfolger Pöllinger, dem er wenig später Verstöße gegen gute Unternehmensführung vorwarf, intern jedoch auf Widertand stieß. „Unsere Vermutung ist, dass die Finanzlage des Unternehmens schon zu der Zeit schlechter war als öffentlich dargestellt, und dass die Aktionäre also falsch informiert wurden“, sagt Bergdolt.
Die Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz ist bemüht, die Interessen von enttäuschten Anlegern zu bündeln. Welche Ansprüche aus einer möglichen Klagewelle auf die Baywa zurollen könnten, ist schwer abzuschätzen. „Es ist noch viel zu früh, um über das Ausmaß eines Schadens etwas zu sagen“, so DSW-Geschäftsführerin Bergdolt. Die Bekanntgabe der Halbjahreszahlen wurde – während die Prüfung der Überlebensfähigkeit noch andauert – inzwischen vom 8. August auf Ende September verschoben.
Nach vorläufigen Zahlen gibt es trotz eines Umsatzeinbruchs operativ wieder schwarze Zahlen: Ein Ergebnis vor Steuern und Zinsen von 61,3 Mio. Euro im zweiten Quartal machte gleich hohe Verluste im ersten Quartal wett. Der Umsatz brach im ersten Halbjahr um 15 Prozent auf 10,7 Mrd. Euro ein.
Baywa soll 400 Mio. Euro bekommen
Zwischen dem hochverschuldeten SDax-Mitglied und seinen Gläubigerbanken zeichnete sich am Donnerstag offenbar eine Lösung darüber ab, mit welcher zusätzlichen Unterstützung ein überzeugender Rettungsplan gebaut werden kann. Demnach soll Baywa eine Kapitalspritze in Höhe von etwa 400 Mio. Euro erhalten, teilweise in Form von Krediten, teils als Eigenkapital, meldete unter anderem das „Handelsblatt“. Nach Informationen der „Wirtschaftswoche“ benötigt der Branchenprimus 500 bis 600 Mio. Euro, um Finanzlöcher glaubhaft und nachhaltig zu stopfen.
Die kurz- und langfristigen Schulden hatten sich im Zuge der Zinswende auf eine Höhe von rund 5,6 Mrd. Euro aufgetürmt. Bisher stützt die Unternehmensfinanzierung sich laut „Agrarheute“ hauptsächlich auf einen Konsortialkredit von 2 Mrd. Euro verschiedener Banken, darunter die DZ Bank, die HypoVereinsbank, die LBBW, die Commerzbank sowie die Rabobank, Deutsche Bank und ING.
Baywa-Aktie erholt sich
Das Wertpapier, das im Lauf der vergangenen Wochen zeitweise um rund 50 Prozent gefallen war, erholte sich nach Berichten, dass die bisherigen teils genossenschaftlichen Eigentümer – die Bayerische Raiffeisen-Beteiligungs-AG (BRB) und die Großaktionärin Raiffeisen Agrar Invest – Hilfe in Aussicht gestellt hätten. Die BRB ist mit 33,8 Prozent Ankeraktionär des Konzerns. „Wir werden uns solidarisch zeigen, wir werden diesen Weg auch konstruktiv miteinander gehen“, wurde Gregor Scheller, der scheidende Vorsitzende des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB) und Aufsichtsratsvorsitzender der Baywa vor einigen Tagen zitiert.
Branchenberichten zufolge wird auch in Betracht gezogen, dass das Traditionsunternehmen eigene Anteile an der Beteiligungsgesellschaft BRB versilbern könnte, um die Schulden zu verringern. Auch die Solar-Tochter BayWa Re könne zur Gesundschrumpfung beitragen, heißt es. Der Konzern hält 51 Prozent und könnte bis zu 30 Prozent an den bisherigen Minderheitsteilhaber, die Schweizer Investmentgesellschaft Energy Infrastructure Partners (EIP) abgeben. Die Erneuerbare-Energie-Tochter ist Teil des Problems: Sie verschlingt viel Kapital, während der Verkauf von Solar- und Wind-Projekten ins Stocken geraten ist.
Viele Bauern sind als Kleinaktionäre betroffen
Die Baywa ist weltweit in die Top Ten der global agierenden Agrarhändler aufgestiegen. Diese Expansion wurde von Konzernchef Lutz maßgeblich forciert. Andererseits ist sie führende Lieferantin von Saatgut, Dünger und Landmaschinen und kauft überdies vielen Bauern nicht nur in Süddeutschland die Ernte ab. Viele Landwirte sind auch Kleinaktionäre des Unternehmens mit Sitz in München und setzten aus der Aktie auf verlässliche Dividenden für ihre Altersvorsorge, sagt Aktionärsschützerin Bergdolt. Mehr als 40 Prozent der Baywa-Aktien sind in Streubesitz.
Ein erster Kleinaktionär hat bereits eine Klage eingereicht, allerdings zielt die vor allem auf den Aufsichtsrat und den Vorstand der Baywa, denen er Pflichtverletzungen vorwirft. Beim Landgericht in München will der Kläger erstreiten, die Entlastung des Aufsichtsrates durch die Hauptversammlung vom April 2024 für nichtig zu erklären. So hätten die Aufseher versäumt, gegen den zurückgetretenen Vorsitzenden Lutz Schadenersatzansprüche einzuleiten, nachdem die Untersuchung etwaiger Compliance-Verstöße von CEO Pöllinger mehr als 400.000 Euro gekostet habe. Lutz habe zudem sein Amt als Chef des Aufsichtsrats im Januar 2024 zur Unzeit niedergelegt und der Gesellschaft dadurch weiteren vermeidbaren Schaden zugefügt.