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Exklusiv Bafin-Strafanzeige gegen Mitarbeiter wirft neue Fragen auf

Das Bundesfinanzministerium von Olaf Scholz hat die Aktiengeschäfte von Mitarbeitern der Finanzaufsicht lange verteidigt. Nun stellte die Bafin Strafanzeige gegen einen Bafin-Mitarbeiter wegen des Verdachts auf Insiderhandel
Das Bundesfinanzministerium von Olaf Scholz hat die Aktiengeschäfte von Mitarbeitern der Finanzaufsicht lange verteidigt. Nun stellte die Bafin Strafanzeige gegen einen Bafin-Mitarbeiter wegen des Verdachts auf Insiderhandel
© Christian Spicker / IMAGO
Die Finanzaufsicht sieht bei einem Beschäftigten Hinweise auf Insiderhandel bei Wirecard-Geschäften. Dabei erklärte das Finanzministerium den Fall im Dezember für unproblematisch. Ein Kollege des Mitarbeiters handelte im Juni mit den gleichen Papieren

Sein Urteil zu den Wirecard-Aktiengeschäften seiner Mitarbeiter hatte Deutschlands oberster Finanzaufseher schon Anfang November gefällt: Alle Geschäfte seien rechtmäßig abgelaufen und genehmigt worden, sagte Bafin-Chef Felix Hufeld. Im Vergleich zum allgemeinen Handelsvolumen bei der Wirecard-Aktie im deutschen Markt seien seine Leute sogar „zurückhaltend“ gewesen. Dass damals intern noch eine Sonderprüfung zu den Deals lief, hielt Hufeld nicht davon ab, bereits seine Absolution zu erteilen.

Einige Wochen später beschwichtigte auch das Bundesfinanzministerium im Fall von auffälligen Geschäften. Ausgerechnet zwei Mitarbeiter aus der Abteilung WA2 der Wertpapieraufsicht, die im Fall Wirecard über viele Jahre eine zentrale Rolle spielte, hatten sehr intensiv und häufig in ähnlicher Weise mit riskanten Derivaten auf den Wirecard-Kurs gehandelt, auch in den Wochen vor der Pleite des Zahlungskonzerns im Juni 2020. Doch auf eine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion wiegelte das Ministerium von Olaf Scholz (SPD) in seiner Antwort vom 16. Dezember ab: Die beiden betreffenden Personen hätten innerhalb der Bafin „keinen Zugang zu Insiderinformationen“ zu den relevanten Geschäften gehabt. Sie seien in einem Referat eingesetzt, in dem Insiderinformationen „in der Regel erst nach deren Veröffentlichung“ bekannt seien. Zudem sei jedes Geschäft von Fachvorgesetzten überprüft worden. Diese hätten bestätigt, dass bei den beiden Mitarbeitern aus der Wertpapieraufsicht „keine bestimmungsgemäßen Kenntnisse zu Insiderinformationen vorlagen“, erklärte das Finanzministerium.

Umso überraschender war, was die Bafin an diesem Donnerstag per Presseerklärung mitteilte: Sie habe gegen einen Mitarbeiter aus der Wertpapieraufsicht „wegen des Verdachts des Insiderhandels“ Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart gestellt. Dabei sei es um Geschäfte mit Derivaten auf Wirecard am 17. Juni 2020 gegangen – einen Tag, bevor öffentlich bekannt wurde, dass die Belege für Milliardensummen auf Konten wohl gefälscht waren. Noch überraschender: Bei der angezeigten Person handelt es sich nach Informationen von Capital um einen der beiden Kollegen aus dem gleichen Referat, deren Geschäfte noch im Dezember vom Finanzministerium ausdrücklich für sauber erklärt wurden – weil diese Beschäftigten über keinerlei Zugang zu Insiderwissen verfügten.

Diese plötzliche Kehrtwende führt nun zu einer ganzen Reihe von Fragen. Welche neuen Erkenntnisse hat die Bafin seit Dezember über die Geschäfte des Mitarbeiters gewonnen, sodass sie nun eine Strafanzeige für erforderlich hielt? Haben Bafin und Finanzministerium den Bundestag kurz vor Weihnachten korrekt informiert? Warum zeigte die Behörde nur den einen Mitarbeiter aus der Wertpapieraufsicht an – aber nicht seinen Kollegen aus dem gleichen Referat, der zwei Tage vorher mit dem gleichen Wertpapier handelte? Und warum ließ Finanzminister Scholz nur einen Tag nach dem Bekanntwerden der Strafanzeige Bafin-Präsident Hufeld fallen und berief ihn als Chef der Aufsichtsbehörde ab?

Geschäfte im Tandem

„Monatelang wurde abgestritten, dass Insiderhandel stattgefunden hat“, sagte die FDP-Finanzpolitikerin Bettina Stark-Watzinger, die sich seit Monaten um Aufklärung bemüht. Nach der Anzeige seien nun „Glaubwürdigkeit und Autorität“ dahin, zumal die angezeigten Börsengeschäfte von Vorgesetzten geprüft und auch vom Finanzministerium für unbedenklich erklärt worden seien. „Wie kann es jetzt zur Anzeige kommen? Man fragt sich als Abgeordnete, was Hufeld über seine eigene Behörde weiß.“ Zudem sei „unerklärlich“, warum Finanzminister Scholz bei der Aufarbeitung der Mitarbeitergeschäfte so lange zugeschaut habe. „Als oberster Dienstherr sind die Fehler innerhalb der Bafin mittlerweile auch mit ihm verbunden. Mit der Strafanzeige ist auch die Strategie von Scholz und Hufeld gescheitert, jeden Fehler von sich zu weisen“, sagte die Finanzexpertin.

Die Bafin wollte konkrete Fragen zu den Geschäften in der Wertpapieraufsicht und den Hintergründen der Strafanzeige nicht beantworten. Auf Anfrage teilte eine Sprecherin mit, die Behörde könne sich über die Pressemitteilung hinaus nicht offiziell äußern. Eine Nachfrage blieb unbeantwortet. Auch das Finanzministerium reagierte nicht auf eine Anfrage von Capital mit Hinweisen zu den weiteren auffälligen Geschäften und Fragen zu seiner Informationspolitik gegenüber dem Bundestag. Am Freitagnachmittag teilte es dann mit, dass Hufeld als Präsident der Behörde abgelöst wird.

Doch aus einer Reihe von parlamentarischen Anfragen, die Capital seit dem vergangenen Sommer regelmäßig ausgewertet hat, lassen sich zumindest einige Informationen über die Hintergründe der Anzeige gewinnen. Aus einer Aufstellung des Bundesfinanzministeriums für die FDP-Fraktion von Anfang Dezember ergibt sich, dass es sich – sofern keine Geschäfte gegenüber dem Parlament verschwiegen worden sind – bei dem nun unter Insiderverdacht stehenden Trade vom 17. Juni um den Verkauf eines Derivats geht. Dieses hat die Kennnummer (ISIN) DE000JM3TR30 – so weit noch recherchierbar, handelt es sich dabei um ein Discountzertifikat auf Wirecard. Gekauft hatte die Person die Papiere am 9. Juni. Wie viel Geld dabei investiert wurde, bleibt in der Aufstellung offen. Die Höhe ihrer Geschäfte müssen Bafin-Beschäftigte grundsätzlich nicht angeben.

Aus den Informationen für den Bundestag geht zudem hervor, dass eine Person, die im gleichen Referat arbeitet wie der nun der Staatsanwaltschaft gemeldete Mitarbeiter, mit den gleichen Derivaten handelte. Diese wickelte gleich sieben Geschäfte des Papiers mit der Kennnummer DE000JM3TR30 ab: am 3., 8 und, 9. Juni, zwei Mal am 10. Juni sowie am 12. und 15. Juni. Dabei kaufte der Mitarbeiter Papiere und verkaufte einen Teil wieder – am 12. Juni kaufte er wieder nach, um dann am 15. Juni endgültig zu verkaufen. Damit handelte diese Person intensiver mit den Zertifikaten – verkaufte aber zwei Tage früher als der Kollege, gegen den die Bafin inzwischen Strafanzeige erstattet hat.

Auszug aus einer Aufstellung des Finanzministeriums zu den Derivate-Geschäften von zwei Beschäftigten aus der Wertpapieraufsicht: Im Fall des Geschäfts vom 17. Juni eines Beschäftigten (P2) schaltete die Bafin jetzt die Staatsanwaltschaft ein. Die Geschäfte des Kollegen aus dem gleichen Referat (P1) mit den gleichen Wertpapieren dagegen nicht
Auszug aus einer Aufstellung des Bundesfinanzministeriums zu den Derivate-Geschäften von zwei Beschäftigten aus der Wertpapieraufsicht: Wegen des Geschäfts vom 17. Juni eines Beschäftigten (P2) schaltete die Bafin jetzt die Staatsanwaltschaft ein. Dabei handelte auch ein Kollege aus dem gleichen Referat (P1) mit den gleichen Wertpapieren

Dabei war es in den vergangenen Jahren nicht unüblich, dass die beiden Kollegen aus dem gleichen Referat mit den gleichen Wertpapieren und zu ähnlichen Zeitpunkten handelten. Tatsächlich kam dies bei mehreren Unternehmen vor – teilweise sogar an den gleichen Tagen oder nur mit geringem zeitlichen Abstand, wie Capital Anfang Januar auf Basis der auch in der Bafin vorliegenden Daten berichtet hatte. Daraus ergibt sich, dass sich diese Wertpapieraufseher über ihre privaten Investments ausgetauscht haben müssen – wie ein kleiner Trading-Club innerhalb der Aufsichtsbehörde. Dazu passt, dass die beiden Mitarbeiter auch zu den sehr aktiven Händlern unter den Bafin-Beschäftigten zählten: Einer von ihnen meldete zwischen Januar 2019 und September 2020 enorme 618 Geschäfte mit Aktien und Derivaten aller möglichen Unternehmen. Bei seinem Kollegen, dessen Fall nun bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart liegt, waren es immerhin 141.

Die auffälligen Parallelen bei den Handelsaktivitäten führen nun zwangsläufig zu der Frage, ob nur einer der beiden Kollegen von Insiderinformationen profitiert haben könnte – der andere davon aber nichts erfahren hat. Denn auch bei Geschäften mit Wirecard handelten die unmittelbaren Kollegen häufiger im Gleichschritt: In den drei Monaten vor der Insolvenz kauften beide in vier verschiedenen Fällen jeweils die gleichen Derivate, darunter auch zwei Zertifikate, die auf fallende Kurse setzten. Dabei handelten sie an den gleichen Tagen oder nur kurz versetzt – ähnlich wie auch im nun an die Ermittler abgegebenen Fall des Papiers mit der ISIN DE000JM3TR30. Von April bis Juni wickelten die beiden Aufseher zusammen knapp 40 Trades mit Wirecard-Aktien und Derivaten ab.

Bankenaufseher handelte Short-Zertifikat

Dabei war auch bei den Wirecard-Geschäften jener Mitarbeiter der deutlich aktivere, den die Aufsichtsbehörde bislang nicht an die Staatsanwaltschaft gemeldet hat. Dieser handelte bereits im Januar und Februar 2019 wiederholt mit Derivaten und Aktien. Einige dieser Trades zeigte er sogar erst im Oktober 2019 im internen Meldesystem an – obwohl die Bafin ihre Beschäftigten zu einer „unverzüglichen“ Meldung verpflichtet.

Auch auf die Frage, ob sie auch eine Strafanzeigen gegen den anderen Beschäftigten aus der Wertpapieraufsicht prüft, wollte sich die BaFin nicht äußern. Aber auch in einem weiteren Fall erscheint es sinnvoll, konkrete Trades näher zu beleuchten: Am 18. Juni – dem Tag, an dem bei Wirecard die gefälschten Kontobelege bekannt wurden – handelte ausgerechnet ein Mitarbeiter aus der Abteilung, die seinerzeit für die Aufsicht über die Wirecard Bank zuständig war und auch über die Entwicklungen beim Mutterkonzern informiert gewesen sein dürfte, mit sehr interessanten Papieren. So kaufte er Zertifikate, die mit einem vierfachen Hebel auf einen fallenden Kurs bei Wirecard setzten. Am selben Tag verkaufte er sie wieder. Für den Shortseller war es vermutlich ein gutes Geschäft.

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