Mitarbeiter der Finanzaufsicht Bafin haben in deutlich größeren Umfang privat mit Wertpapieren des Zahlungsdienstleisters Wirecard gehandelt als bislang bekannt. Das geht aus einer Antwort des Bundesfinanzministeriums an die FDP-Bundestagsabgeordnete Bettina Stark-Watzinger hervor, die Capital vorliegt. Demnach wickelten Bafin-Beschäftigte in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 265 Geschäfte mit Wirecard-Bezug ab. Allein im Juni, in dem der Bilanzskandal aufflog und das Dax-Unternehmen Insolvenz anmeldete, waren es 106 Trades. In einigen Fällen haben Mitarbeiter ihre Geschäfte auch verspätet gemeldet, wie die Bafin auf Nachfrage einräumte. Darunter waren mehrere Käufe oder Verkäufe von Put-Optionen, bei denen Anleger auf fallende Kurse setzen.
Die neuen Zahlen gehen über das hinaus, was das Finanzministerium gegenüber dem Bundestag bislang gemeldet hatte. Anfang Oktober hatte es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion 196 Geschäfte mit Wirecard-Bezug für die ersten sechs Monate dieses Jahres angegeben – darunter 119 mit Aktien und 77 mit Derivaten. Die höheren Zahlen in der Antwort an Stark-Watzinger ergeben sich zum größten Teil daraus, dass die Angaben nun auch Geschäfte erfassen, die zwar im Juni durchgeführt, aber Bafin-intern erst im Juli oder später deklariert wurden. Demnach wickelten im ersten Halbjahr 2020 mehr als 50 Bafin-Mitarbeiter insgesamt 170 Geschäfte mit Wirecard-Aktien und 95 mit Derivaten ab. Neun dieser Mitarbeiter handelten mit teils hoch spekulativen Derivaten, darunter ausgerechnet auch zwei aus der Abteilung WA2, die für die Marktüberwachung und Verfolgung von Insiderhandel zuständig ist.
Scharfe Kritik an den Aktiendeals der Bafin-Mitarbeiter kam am Dienstag von der europäischen Finanzmarktaufsicht ESMA. Die Geschäfte begründeten Zweifel an der Belastbarkeit des internen Kontrollsystems mit Blick auf mögliche Interessenkonflikte der Beschäftigten gegenüber den überwachten Unternehmen, heißt es in einer Untersuchung der ESMA zur Rolle der deutschen Finanzaufsicht im Wirecard-Skandal. In dem Bericht werden erhebliche strukturelle Defizite festgestellt, darunter eine mangelnde Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörde vom Bundesfinanzministerium.
Auch die FDP-Finanzpolitikerin Stark-Watzinger sagte, es können nicht ausgeschlossen werden, dass bei den Geschäften Insiderinformationen genutzt wurden. Zudem kritisierte sie gegenüber Capital die Informationspolitik von Bafin und Finanzministerium gegenüber dem Parlament: „Es ist ärgerlich, dass mit jeder Nachfrage an die Bundesregierung weitere Aktien- und Derivategeschäfte der Bafin-Mitarbeiter bekannt werden. Entweder man wusste es nicht oder die Informationen erhalten wir nur in homöopathischen Dosen. Beides ist nicht akzeptabel“, sagte Stark-Watzinger. Angesichts der brisanten Situation bei Wirecard sei es auch nicht nachvollziehbar, wenn Mitarbeiter der Behörde mit deutlicher Verspätung den Handel mit spekulativen Finanzinstrumenten melden, sagte sie.
Zehn Geschäfte mit CFD im Mai
Wie aus den neuen Zahlen des Finanzministeriums hervorgeht, wickelten 30 Bafin-Beschäftigte im April 65 Käufe oder Verkäufe von Wirecard-Wertpapieren ab – darunter 18 mit Derivaten, teilweise mit einem großen Hebel. Dabei handelte es sich in erster Linie um Papiere, die auf einen steigenden Kurs setzen. Der April war im Wirecard-Krimi ein wichtiger Monat: Ende des Monats legten die Wirtschaftsprüfer von KPMG nach längerer Verzögerung einen Sonderbericht vor, mit dem sie die Bilanzfälschungsvorwürfe gegen den Zahlungsdienstleister prüfen sollte. In der schließlich am 28. April vorgelegten öffentlichen Fassung des Berichts ließ KPMG bereits große Zweifel durchblicken, ob ein von Wirecard angegebener Milliardenbetrag auf Treuhandkonten tatsächlich existiert.
Im Mai, in dessen Verlauf die Bafin sämtliche geheimen, noch viel alarmierenderen Anhänge des KPMG-Berichts erhielt, waren dann insbesondere jene Mitarbeiter aktiv, die verstärkt mit Zertifikaten auf die Wirecard-Aktie handelten. Den Angaben zufolge wickelten 24 verschiedene Beschäftigte insgesamt 46 Geschäfte ab. Bei 33 davon handelte es sich um Deals mit Derivaten, darunter verschiedene Discount-Zertifikate, bei denen Anleger Papiere mit einem gewissen Abschlag kaufen, dafür aber nur bis zu einer gewissen Grenze an Kurszuwächsen profitieren. Auffällig: Im Mai führte ein Mitarbeiter aus der Versicherungsaufsicht gleich zehn Geschäfte mit sogenannten Contracts for Difference (CFD) aus – extrem riskante Trades mit einem hohen Hebel, von denen die Finanzaufsicht Privatanleger abhalten will. Um welche Art von Trades es dabei ging, lässt sich von außen nicht nachvollziehen, da CFD keine Wertpapierkennnummern haben.
Mehrere Wetten auf fallende Kurse
Mit 106 von 265 Mitarbeitergeschäften entfällt der mit Abstand größte Teil auf den Juni 2020. In diesem Monat führten 35 unterschiedliche Beschäftigte 106 Geschäfte durch – davon 35 mit Derivaten. Dabei handelte ein Beschäftigter aus der Bankenaufsicht zwei Mal mit einem Zertifikat, das am 14. Juni aufgelegt wurde und mit einem vierfachen Hebel auf einen sinkenden Aktienkurs von Wirecard spekuliert. Ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin aus der Versicherungsaufsicht führte gleich sieben Käufe oder Verkäufe von Put-Optionen durch. Auch mit diesen Finanzinstrumenten wetten Anleger auf fallende Kurse. In den chaotischen Tagen im Juni kam es bei Wirecard zu heftigen Kursverlusten, nachdem Wirtschaftsprüfer EY am 18. Juni mitgeteilt hatte, dass bei dem Dax-Unternehmen angebliche Bankguthaben in Höhe von 1,9 Mrd. Euro auf den Philippinen vermutlich nicht existieren. Am 25. Juni meldete der Aschheimer Konzern Insolvenz an.
Auf Anfrage von Capital betonte eine Bafin-Sprecherin, dass die Mitarbeiter der Finanzaufsicht verpflichtet seien, ihre privaten Aktiengeschäfte „unverzüglich“ zu melden. Zu „einigen wenigen“ Fällen, in denen die Meldungen verspätet erfolgten, laufe derzeit eine „Sachverhaltsaufklärung“. Die betroffenen Mitarbeiter „wurden aber bereits aufgefordert, die Meldepflichten künftig einzuhalten. Bei wiederholten und absichtlichen Verstößen kann die Bafin auch arbeits- oder disziplinarrechtliche Maßnahmen einleiten“, teilte die Sprecherin mit. Auf Nachfrage bestätigte sie konkret, dass eine Person sieben Geschäfte mit Put-Optionen verspätet gemeldet habe. In einem anderen Fall seien sechs Trades mit Put-Optionen „vorsorglich“ gemeldet worden. Diese seien von einem Angehörigen eines Bafin-Beschäftigten auf eigene Rechnung durchgeführt worden.
FDP fordert unabhängige Sonderprüfung
Nach den internen Regeln müssen Geschäfte von Ehepartnern dann gemeldet werden, wenn Gemeinschaftsdepots genutzt werden. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass Mitarbeiter nicht über die Depots ihrer Angehörigen Insiderhandel betreiben können. „Neben dem Insiderhandelsverbot gelten für Bafin-Mitarbeiter strenge Verschwiegenheitspflichten, auch im Privatbereich“, betonte die Sprecherin. Dass in der Auflistung an Stark-Watzinger auch sechs Geschäfte von einem Angehörigen eines Bafin-Mitarbeiters mit eigenem Depot auftauchen, lag offensichtlich an einem Versehen. Hierbei handelt es sich der Sprecherin zufolge jedoch um einen Einzelfall.
Nach Bekanntwerden der Aktiengeschäfte im August hatte das Finanzministerium zunächst erklärt, die internen Kontrollsysteme bei der Bafin seien ausreichend. Später kündigte Finanzminister Olaf Scholz (SPD) eine Verschärfung der Regeln an. Mittlerweile dürfen Bafin-Beschäftigte generell keine Titel mehr von beaufsichtigten Unternehmen handeln – ähnlich wie es in anderen EU-Staaten der Fall ist. Auch bei dem Leasingunternehmen Grenke, das sich derzeit im Visier von Leerverkäufern befindet, hatten einzelne Bafin-Mitarbeiter zuletzt trotz einer laufenden Sonderprüfung der Behörde mit Aktien und Derivaten spekuliert, wie Capital kürzlich berichtete.
Darüber hinaus hat die Behörde eine interne Sonderprüfung aller Geschäfte mit Wirecard-Bezug der vergangenen Jahren eingeleitet, die nach Angaben der Sprecherin derzeit noch läuft. Dazu forderte die FDP-Finanzpolitikerin Stark-Watzinger, die Prüfung müssen von einem unabhängigen, externen Gremium durchgeführt werden. „Es ist Zeit, dass von außen die Fehler und die fehlenden internen Richtlinien aufgearbeitet werden. Die Führung des Hauses muss dringend ihrer Arbeit nachkommen“, sagte sie.

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