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Reportage Bäääng & Olufsen

Das in Köln entworfene Steuergerät Beosound Moment (M.) im Flagship-Store in Kopenhagen
Das in Köln entworfene Steuergerät Beosound Moment (M.) im Flagship-Store in Kopenhagen
© Alastair Philip Wiper
Form follows function? Nicht bei Bang & Olufsen. Die Dänen sind durch ihr Design bekannt. Im Oktober feiern sie 90-jähriges Jubiläum.

Und dann kommt irgendwann der Tag, an dem sie mit ihren Modellen im Werk 5 stehen. Im Norden Dänemarks, in Struer, einer Kleinstadt mit 10 000 Einwohnern und deutlich mehr Kopfsteinpflastersteinen. Die sanft geschwungenen Hügel enden immer irgendwo am Wasser. Die Landschaft herb und schön. Der Himmel blau, die Felder gelb vom Raps. Salzige Luft von der Nordsee. Eine skandinavisches Idyll.

„So soll es aussehen“, sagen die Designer dann zum Beispiel zu Morten Frank Villumsen, deuten erst auf den Himmel und danach auf ihr Modell. Und der blonde Däne nickt. Aluminium in Himmelblau. Geht. Dann gleiten die Finger über die Kanten, die bloß nicht rund sein dürfen. Die Oberfläche wollen sie matt, natürlich kratzfest. Und eine elegante Kühle soll das Aluminium ausstrahlen. Schrauben? Nein! Alles aus einem Guss. Das muss doch machbar sein, oder? Morten Frank Villumsen schluckt dann, aber er legt los – und so beginnt das, was sie in Struer den „Tanz zwischen Design und Technik“ nennen. Oder auch Pingpong. „Am Ende“, sagt Villumsen, „bestimmen die Designer alles. Was die wollen, machen wir.“

Villumsen ist Cheftechniker bei Bang & Olufsen, dem dänischen Hersteller von Luxus-Unterhaltungselektronik. Er sorgt dafür, dass die Entwürfe der Kreativen produziert werden können. Auch wenn das lange dauern kann. „Wir können die Gesetze der Physik nicht brechen“, sagt er. „Aber biegen.“

Über 100 Designpreise

Das Werk 5 beherbergt die Feinmechanik und Aluminiumverarbeitung. Bang & Olufsen rühmt sich der modernsten Eloxieranlage der Welt, in der das Leichtmetall veredelt wird. In einem 50 Meter langen Becken wird das Metall entfettet, konserviert, gespült, gefärbt, gebeizt, oxidiert und verdichtet. Das Verarbeiten von Aluminium hat in Struer seit den 50er-Jahren Tradition. Es ist dieses Know-how, das Bang & Olufsen so besonders macht, genau wie die Akustik. Seit Jahrzehnten gelten die Lautsprecher von B & O als das Maß aller Dinge. Das Aushängeschild aber ist: das Design.

Mit maximalem Minimalismus ist Bang & Olufsen zu einer Stilikone geworden. Nicht viele Unternehmen können das von sich behaupten. Außer Apple. Bei Bang & Olufsen sieht man die Amerikaner als Sparringspartner. Sie beleben den Wettbewerb, begeistern eine breite Masse für gutes Design. Das kann den Dänen nur recht sein.

Weit über 100 Designpreise hat Bang & Olufsen eingesammelt. Im New Yorker Museum of Modern Art werden 15 Geräte aus Struer ständig ausgestellt. „Bang & Olufsen entwirft Audiosysteme als wunderschöne Objekte, die auch losgelöst von ihrer Funktion genau das richtige Maß an Aufsehen erregen“, urteilte das MoMA. International bekannten Designern wie Ib Fabiansen, Jacob Jensen oder David Lewis hat Bang & Olufsen diesen Ruf zu verdanken. Sie schufen einen Stil, der unverwechselbar ist. Das Design soll Form und Funktion zu einer Einheit verschmelzen, bei einer puristischen Ästhetik mit höchstem Bedienkomfort. Es ist ihr Glaubensbekenntnis.

Der Sound Cube in Struer ist eine der größten elektroakustischen Messeinrichtungen in der Welt
Der Sound Cube in Struer ist eine der größten elektroakustischen Messeinrichtungen in der Welt
© Alastair Philip Wiper

Bang & Olufsen hat keine eigenen Designer. Firmenphilosophie. Aber die Designbüros, die das Vertrauen genießen, arbeiten über Jahre für die Dänen. Drei sind es derzeit. Und eines davon kommt aus Köln.

„Hätte man mir als Student gesagt, ich würde mal für Bang & Olufsen arbeiten, ich hätte gelacht“, sagt André Poulheim. Jetzt steht seine Agentur Frackenpohl Poulheim in einer Reihe mit den Ikonen der Branche. Vor vier Jahren zeigten die Dänen Interesse an den Kölnern. Nach dem Kennenlernen vergingen Monate, bis sie nach Struer eingeladen wurden. „Wir hätten morgens nicht gedacht, dass wir da abends mit einem Auftrag rausgehen“, sagt Poulheim. Ein Manager von Bang & Olufsen klopfte ihm auf die Schulter und sagte: „Can you feel the burden?“ Und ja, Poulheim konnte die Last spüren. Die Chance durften sie nicht verbocken. Das erste Produkt allerdings, das sie entwerfen sollten, schaffte es nie zur Marktreife.

Bang & Olufsen war trotzdem zufrieden. Es folgte das zweite Projekt. Ein Musikverteiler zur Steuerung von Smartphone, Tablet, PC und Server, eine Schnittstelle zwischen Technik und Lautsprecher: das Beosound Essence. Der kleine Puck wurde zum großen Erfolg. 2014 wurde er mit dem Red Dot Award für exzellentes Design ausgezeichnet.

Jeden Freitag die 13 gleichen Songs

Designchefin Marie Kristine Schmidt
Designchefin Marie Kristine Schmidt
© Alastair Philip Wiper

„Design ist mehr als nur das Aussehen. Es geht darum, wie es sich anfühlt, wie es funktioniert und klingt“, sagt Marie Kristine Schmidt. Seit drei Jahren verantwortet sie bei Bang & Olufsen die Bereiche Marke und Design. „Wir haben hervorragende Techniker und Ingenieure. Aber der Wettbewerb ist hart. Was uns abhebt, ist eben das Design.“

Die Entwicklung eines Produkts sei eine „ständige Challenge“ zwischen allen Abteilungen, sagt Schmidt. Poulheim hat das beeindruckt. Für das nächste Projekt reiste er 24-mal nach Struer. „Ständig steht man im Austausch mit den Experten. Und sie haben Experten für alles“, sagt er. „Für Sensoren, induktives Laden, Holz, Alu und Kunststoff, Glasbearbeitung und selbst Gelenke.“ Und sie haben Geoff Martin.

Jeden Freitag hört Martin mit seinem Team die immer gleichen 13 Songs. Eine Mischung aus Pop, Rock und Klassik. „Arlandria“ von den Foo Fighters ist dabei, „I Will Remember“ von Toto und das Requiem „Pie Jesu“. Sie sitzen vor einem verschlossenen Vorhang, dahinter immer andere Lautsprecher. Mal eigene, mal von der Konkurrenz. Sie wissen nicht, welche. Martin ist Designer. Sounddesigner. Der studierte Musiker ist der Kopf hinter dem Klang.

Wenn die Designer einen neuen Lautsprecher planen, kommen sie zu ihm. Martin lässt sich Form und Maße geben und bastelt ein grobes Modell, setzt Boxen ein. Dann zieht er sich zurück in seinen Kubus, 13 Meter hoch, mit schallschluckenden Wänden, auf einer Fläche von zwölf mal zwölf Metern. Der kahle Raum ist eine der größten elektroakustischen Messeinrichtungen in der Welt. Die Größe ermöglicht eine Messung der Tonwiedergabe, die nicht durch Reflexionen verfälscht wird. Der pure Klang. Doch das genügt Martin nicht. Er verlässt sich lieber auf sein Gehör.

Am Anfang war ein Landgut

In wochenlanger Arbeit optimiert er den Sound am Computer. Er misst, filtert und hört. Stundenlang, tagelang. Ist Martin mit dem Ergebnis zufrieden, beginnt er von vorn. Mal in seinem Büro, mal in seinem Wohnzimmer. An fünf Orten. „90 Prozent von dem, was wir hören, ist nicht der Lautsprecher, sondern der Raum, der absorbiert und reflektiert“, sagt Martin. Das muss er berücksichtigen auf der Suche nach dem optimalen Klang.

Martins Drang zur Perfektion hatten schon die Firmengründer vor 90 Jahren. Als Peter Bang und Svend Olufsen auf dem Landgut Quistrup bei Struer ihr erstes Radio bauten, spielte Design noch keine Rolle. Die jungen Ingenieure waren getrieben vom Erfindergeist. Ihr Radio sollte das erste in Europa werden, das an das Stromnetz angeschlossen werden konnte. Bei der schwankenden Spannung eine Herausforderung.

Bis zu 100 Modelle entstehen von der Idee bis zur Produktreife. Hier werden Muster gebaut
Bis zu 100 Modelle entstehen von der Idee bis zur Produktreife. Hier werden Muster gebaut
© Alastair Philip Wiper

Die Frau von Peter Bang allerdings liebte Bauhaus-Design. Und so erschien 1934 das Hyperbo 5 RGF. Ein Radiogrammofon im Stile des Stuhlklassikers Freischwinger. Eine minimalistische schwarze Kiste auf einem Aluminiumgestell, mit Radio, aufklappbarem Grammofon, Lautsprecher und Schublade für Schellackplatten. Ein Flop. Nur 40 Stück wurden produziert. Erst 20 Jahre später setzte B & O durch eine Designabteilung Maßstäbe.

Dem Leitmotiv „Idee, Qualität und Form“ bleiben die Dänen bis heute treu. Auch in Krisenzeiten. Als die Finanzmärkte 2007 kollabierten, stürzte auch Bang & Olufsen in ein tiefes Loch. Der Verkauf von Luxusfernsehern und Edelsoundsystemen stockte. Die Aktie rasselte von 750 Euro ins Bodenlose. Noch im Januar 2015 lag sie bei 30 Euro. Doch 2014 wurden erstmals wieder schwarze Zahlen geschrieben. Besonders in den Kernmärkten Großbritannien, Deutschland und Dänemark zieht das Geschäft wieder an. Mit einem neuen Storekonzept meldet sich Bang & Olufsen zurück. 650 Verkaufsstellen gibt es weltweit. Und auch die Aktie steigt wieder. Seit dem Tiefpunkt am 15. Januar hat sie sich mehr als verdoppelt.

Slow luxury

Es war der Tag, als André Poulheim vor seinem Rechner in Köln saß und wartete. Er hatte einen Google Alert eingerichtet, gefüttert mit dem Begriff „Beosound Moment“. In Las Vegas wurde das von Frackenpohl Poulheim designte Musiksystem der Weltöffentlichkeit vorgestellt. Die ersten Reaktionen wollte er nicht verpassen. Mehr als 30 Modelle hatten sie gebaut, immer wieder waren sie nach Struer gefahren. Zum Pingpong mit den Technikern. Drei Kernfragen hatten sie immer und immer wieder diskutiert: Was ist das Aha-Erlebnis? Wie sieht die Produktarchitektur aus? Wie die Ästhetik?

Mit dem Beosound Moment will sich Bang & Olufsen vom Massenmarkt absetzen. „Slow luxury“ nennt Marie Kristine Schmidt das Konzept. „Wir wollen keinen schnelllebigen Trends hinterherlaufen“, sagt sie. Immer noch ein neues Feature, noch ein Gimmick, das werde es bei Bang & Olufsen nicht geben. Sie hält ein edles Stück Eichenholz in der Hand. Das Beosound Moment. Sie tippt mit dem Zeigefinger auf das Holz. Und aus den Boxen ertönt Musik. Das System analysiert die Hörgewohnheiten des Kunden. Was hört er morgens, was abends? Und spielt Titel, die dem Geschmack entsprechen müssten. Gefällt der Titel nicht, wischt der Hörer über das Holz. Das System merkt sich das. Nach wenigen Wochen kennt es den Musikgeschmack. Maximaler Minimalismus, ganz so wie es die Designväter definiert hatten.

Schöner hören

Auf der Rückseite befindet sich ein Aluminium-Paneel mit gläsernem Touchscreen, auf dem Plattencover, Playlists und Apps ansteuerbar sind. Für den Aha-Effekt soll das Moodwheel sorgen. Ein Farbkreis steuert die Musik nach Stimmungen: fröhlich, energisch, melancholisch oder entspannt.

Bei der Präsentation im Januar fühlt Poulheim sich wie ein Regisseur bei der Premiere seines Films. Nur dass er nicht im Kinosaal sitzt, sondern die Weltpremiere auf Youtube sieht. Dann rappelt der Google Alert. Die Fachmedien sprechen von einem „Designstatement“.

Vor drei Jahren richtete Bang & Olufsen ein Kreativcenter ein. Es soll die Wohnzimmer erforschen. „Musik ist etwas Hochemotionales“, sagt Schmidt. „Aber sie hat ihren Platz im Wohnzimmer verloren.“ Früher wurden die Sofas um die Plattensammlung gruppiert. Heute werde Musik über Smartphones abgerufen. Gleichzeitig gehen Mails ein, wird im Netz gesurft. Alles mit dem gleichen Gerät. „Wir wollen der Musik ihr Zuhause zurückgeben“, sagt Schmidt. Und das Zuhause – es soll schön sein.

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