Lucy Kellaway ist Kolumnistin bei der Financial Times. Seit 15 Jahren schreibt sie über Managementthemen und den Büroalltag (Foto: © Picture Press)
Woche für Woche werde ich von Leuten, die ich überhaupt nicht kenne, auf eine Tasse Kaffee eingeladen. Leser schreiben mir Mails, sie seien auf Durchreise in London und würden mich gern im Büro bei der Financial Times treffen. Leute kontaktieren mich, um mir ihre neuen Bücher oder Firmen anzupreisen. Studenten hoffen, ein wenig kostenlose Hilfe für ihre Arbeit zu bekommen. Und dann gibt es da noch diesen ständigen Strom von irregeführten, überoptimistischen Twenty-Somethings, die mit mir Kaffee trinken wollen, damit ich ihnen erkläre wie man in den Journalismus kommt.
Sie müssen kein Journalist sein, um ständig so umworben zu werden. Jeder kann heute jedermanns E-Mail-Adresse herausfinden. Und jeder kann einen gemeinsamen Kaffee vorschlagen. In jeder Sekunde eines Arbeitstags, werden also auf der ganzen Welt Millionen von meist sinnlosen Kaffees getrunken, weil ganze Armeen von untätigen Geschäftsreisenden, Studenten und anderen Opportunisten ihre Terminkalender damit auffüllen, dass sie die Terminkalender von Wildfremden verstopfen.
In meinem Fall bieten diese Treffen keinen offensichtlichen Vorteil. Ich habe keine Jobs zu vergeben, und ich kann den Lesern nichts besonders Aufregendes sagen, außer: „Hallo - wollen Sie unsere Kantine sehen?“ Ich habe in der Regel nicht die Absicht, über das Buch oder die neue Firma zu schreiben, und ich bin nicht besonders gut darin, Studenten bei ihrer Arbeit zu helfen.
Ja oder Nein?
Wie soll ich also mit solchen Anfragen umgehen? Ein schlichtes „Nein“ ist hart und gemein. Eine Zusage fühlt sich im ersten Moment angenehm entgegenkommend an, aber sie führt unweigerlich dazu, dass man am Tag selbst innerlich tobt und sich verflucht, weil man aus Schwäche nachgegeben hat. Bleibt die Möglichkeit, gar nicht zu antworten – das ist am einfachsten, aber auch am unhöflichsten.
Meine Strategie ist, gar keine Strategie zu haben. Wie ich antworte, hängt ausschließlich davon ab, in welcher Stimmung ich bin, wenn die Mail ankommt. Die einzigen Leute, bei denen ich fast immer zusage, sind angehende Journalisten, die entweder Freunde meiner Kinder oder der Nachwuchs meiner eigenen Freunde sind. Das ist natürlich Nepotismus. Aber es ist auch die menschliche Natur.
Letzte Woche bin ich zufällig auf eine bessere Möglichkeit gestoßen, die Zeit, die man mit Fremden verbringt, zu rationieren. Sie wird von Debbie Horovitch verwendet, einer Expertin für Social Media. Sie bittet jeden, der sie kontaktiert, ein Formular auszufüllen, in dem die Fragen zu skizzieren sind, die man von ihr beantwortet haben will. Das erlaubt es ihr, die gröbsten Zeitverschwender auszusortieren und zu entscheiden, wer ein Treffen wert ist.
Das Schöne an diesem System ist, dass es die anderen Leute zwingt, ihre Hausaufgaben zu machen. Es liefert eine wissenschaftliche Basis für „Ja“ oder „Nein“. Es ist höflicher und fairer als überhaupt nicht zu antworten.
Zwei Haken
Diese Technik hat Dorie Clark von der Duke University so beeindruckt, dass sie es ausprobiert und für die Harvard Business Review einen Blogpost darüber geschrieben hat (Stop People from Wasting Your Time). Es ist fantastisch, sagt sie - denn wenn man den Leuten ein Formular schickt, dann hört man in der Regel nie wieder von ihnen.
Die Sache hat aber auch einen Haken. Jeder, der ein solches Formular erhält, wird daraus mit Sicherheit schließen, dass Sie ein aufgeblasener, wichtigtuerischer Pedant sind. Was wahrscheinlich dann der Hauptgrund dafür ist, dass sich alle verdrücken.
Es gibt einen zweiten Haken, der sogar noch größer ist. Ich bezweifle, dass diese Formulare die wirklichen Zeitverschwender aussortieren. Denn es gibt ein trauriges Gesetz im Leben, das besagt, dass diejenigen Leute, die am meisten hinter einem Treffen mit Ihnen her sind – und die deshalb auch mit Sicherheit das Formular sorgfältig ausfüllen – genau diejenigen Leute sind, mit denen Sie am allerwenigsten Ihre Zeit verbringen wollen.
Zehn Prozent besser
Ich habe deshalb ein besseres System entwickelt. Es besteht darin, sich in jeder Woche auf genau ein kurzes Meeting mit einem Fremden einzulassen. Es wird nach Laune ausgewählt, vielleicht nehme ich einfach denjenigen Bewerber, dessen Mail meine Fantasie am meisten anregt.
Ich denke, dieses Kaffeetrinken ist vielleicht gar nicht so sinnlos. Man weiß ohnehin nie, welche Treffen nützlich sein werden. Und ich habe oft hervorragende Ideen durch Leute bekommen, von denen man das nie denken würde.
Wenn ich junge Leute treffe, die Journalist werden wollen, ist das sehr wahrscheinlich auch für mich nützlicher als für sie. Es erinnert mich daran, dass ich auf Draht bleiben muss und dass ich auf ewig dankbar sein sollte, in meinen 50ern zu sein und nicht Anfang 20.
Und was das Allerbeste ist: Ich merke jetzt, dass es überhaupt nicht sinnlos sein muss, Leser zu treffen. Ja, das Gegenteil ist gerade wissenschaftlich bewiesen worden. Neulich habe ich über eine Studie gelesen, nach der Köche besseres Essen kochen, wenn sie sehen können, wer ihr Gericht verzehrt. In dem Experiment wurden die Gerichte dann um zehn Prozent schmackhafter empfunden.
Ich wüsste nicht, warum dasselbe nicht auch für Autoren gelten sollte. Wenn Sie der Meinung sind, dass diese Kolumne zehn Prozent intelligenter, lustiger und interessanter hätte sein können, dann wissen Sie jetzt, woran das liegt: Daran, dass ich letzte Woche mit überhaupt keinem Fremden Kaffeetrinken war.
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