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Kommentar Auf die Schotten wartet der Ja-Schock

Eine Scheidung endet häufig in Verbitterung. Stimmen die Schotten mit Ja, müssen sie die negativen Folgen tragen. Von Martin Wolf

Martin Wolf ist Kolumnist der "Financial Times". Er ist bei der britischen Finanzzeitung Chefkommentator für ökonomische Themen

Der Albtraum könnte am Freitag beginnen. Stellen Sie sich ein knappes Ja zur Unabhängigkeit vor. Unten im Süden wird der konservative Premierminister David Cameron für das Auseinanderbrechen einer Union verantwortlich gemacht, die 307 Jahre lang Garant der nationalen Stabilität war. Aber seine Partei hat bessere Zukunftschancen in England als im Vereinigten Königreich. Die oppositionelle Labour Party, die 40 Wahlkreise in Schottland hält, hat eine solche Stütze nicht. Der schottische Nationalismus wird außerdem seinen englischen Widerpart wachrütteln. Das wird leider Gottes gut für Nigel Farage sein, den Chef der UK Independence Party, die Großbritannien aus der EU führen will und die in England an Boden gewinnt. Die geschiedenen Eheleute bleiben Nachbar. Zumindest die Engländer werden übel gelaunte Nachbarn sein.

Vom Moment eines Ja-Votums an wird die britische Regierung so gut wie kein Interesse mehr am Wohlergehen der Schotten haben. Bis Schottland unabhängig wird, repräsentiert die britische Regierung jedoch das Land auf internationalem Parkett. Sie wird im Interesse des restlichen Teils Großbritanniens verhandeln, gegen Schottland. Scheidungen sind immer schwierig. Aber nur selten wird die sitzen gelassene Partei aufgefordert, die Interessen der Fortgehenden zu vertreten.

Jahre der Unsicherheit

Ein Ja läutet für Schottland und zu einem geringeren Grad auch für das restliche Großbritannien Jahre der Unsicherheit ein. Zu den größten Unwägbarkeiten gehören jene die über der Währung schweben. Vom Vereinigten Königreich regulierte und abgesicherte Finanzgeschäfte werden fliehen. Die schottische Einlagensicherung wäre so wertlos, wie 2008 das von Reykjavik entworfene System zum Schutz der isländischen Banken. Vorsichtige Schotten müssen bereits erkennen, dass ihre Bankkonten in Pfund als etwas ganz anderes enden könnten. Weit sicherer ist es, das Geld in den Süden zu bringen.

Konfrontiert mit Währungsunwägbarkeiten sind Banken gezwungen, ihre Bücher in Schottland auszugleichen. Das wird mit Sicherheit dazu führen, dass sie der schottischen Wirtschaft weniger Kredite zur Verfügung stellen. Die britische Regierung könnte versuchen, den Geldabfluss aus Schottland zu unterbinden. Aber dies würde drakonische Kontrollen notwendig machen, die die britische Regierung nicht verhängen wird. Entweder Westminster oder die schottische Regierung könnten anbieten, Kreditgeber gegen Währungsrisiken abzusichern. Die britische Regierung wird das nicht tun. Sie wird die Kreditverknappung geschehen lassen und die schottische Entscheidung dafür verantwortlich machen. Es wird also Schottlands Entscheidung sein, wenn es die Kosten tragen kann.

Schottland kann versprechen, dass das Pfund die Währung des Landes bleibt. Es kann aber keine Währungsunion versprechen. Dazu braucht es zwei Parteien. Auch wenn die Regierung des verbleibenden Vereinigten Königreichs bereit ist, eine Union gutzuheißen, sollte es ein Referendum darüber geben. Die einzigen zufriedenstellenden Bedingungen für Rest-Großbritannien sind solche, die den schottischen Haushaltsdefiziten sehr enge Grenzen setzen. Die Regierung muss außerdem darauf bestehen, dass die Finanzregulierung in den Händen der Bank of England liegt, die trotzdem aber nur gegenüber dem Vereinigten Königreich rechenschaftspflichtig wäre.

Schottlands gefährliche Schuldenquote

Schottland kann das Pfund ohne Währungsunion übernehmen, und damit ohne die Sicherung der Bank of England. Aber auch das ist hochproblematisch. Schottland müsste eine Sterling-Reserve als monetäre Basis bilden – durch Kapitalzuflüsse ins Land oder durch Exporte, die über viele Jahre die Importe übersteigen müssen. Und es braucht noch mehr als das. Wenn uns die Euro-Krise eins gelehrt hat, dann dass Länder ohne Zentralbank nicht in der Lage sind, in Krisen die Märkte für ihre öffentlichen Schulden zu stabilisieren. Schottlands Anteil an den öffentlichen Schulden Großbritanniens würden sich auf mehr als 90 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes belaufen – eine gefährliche Lage für ein Land, dessen Schulden in einer Währung ausgewiesen werden, die es nicht selbst steuern kann. Irland, Portugal und Spanien hatten vor der Krise viel niedrigere Schuldenquoten. Schottland braucht ein substantielles Reservepolster. Es aufzubauen wird teuer.

Alex Salmond, Schottlands Erster Minister und Kopf der Ja-Kampagne, wird sagen, dass Schottland seinen Anteil an den britischen Schulden nicht übernehmen wird, wenn das restliche Großbritannien Schottland die Währungsunion nicht gewährt. Aber nicht so schnell: Die von einem Ja-Votum ausgelösten Verhandlungen werden alles umfassen. Das Öl beispielsweise ist nicht schottisch bevor das Vereinigte Königreich dem nicht zustimmt. Sollte Schottland seinen Anteil an den Schulden nicht anerkennen, wer sagt dann, dass es „sein“ Öl bekommt.

All das ignoriert die kleine Tatsache, dass Schottland EU-Mitglied werden möchte. Sollte es beitreten (was Spanien mit Sicherheit verhindern will, um die katalanischen Separatisten nicht zu ermutigen), muss es womöglich von Anfang an den Wechselkursmechanismus annehmen. Es bräuchte dann seine eigene Währung und eine Zentralbank. Es könnte nicht am Sterling festhalten. Jeder Schritt weg vom Sterling wirft große Fragen auf. In welcher Währung würden existierende Vermögenswerte und Schulden ausgewiesen? Wie soll eine Redenominierung vor sich gehen? Was passiert bei einer Währungsumstellung mit Pensionen und anderen staatlichen Leistungen für die Schotten?

Großbritannien wird eine tief gespaltene Insel sein

Diese Verhandlungen werden kompliziert, bitter und langwierig. So einvernehmlich eine Scheidung beginnen mag, meistens endet sie nicht so. Es ist die sicherstmögliche Wette, dass nach Abschluss dieses Prozesses die Engländer, auf diejenigen schlecht zu sprechen, die sie verstoßen haben. Und die Schotten werden denjenigen zürnen, die ihnen ihre Unabhängigkeit nicht zu den Konditionen gewährt haben, die ihnen ihrer Meinung nach zustehen. Großbritannien wird eine tief gespaltene Insel sein.

Die Schotten werden den Geschmack von Enthaltsamkeit spüren. Schottland kann nicht höhere Steuern als im restlichen Großbritannien erheben; das würde wirtschaftliche Aktivitäten vertreiben. Es wird höhere Zinsen für seine öffentlichen Schulden bezahlen müssen, weil die Regierung nicht vertraut und zugleich abhängig ist von den schwankenden Öleinnahmen (die geringer ausfallen werden als Salmond glaubt).

Aber dann ist es zu spät. Wenn das Votum Ja ist, wird es vorbei sein. Aber was passiert bei einem knappen Nein? Auch das wäre ein Albtraum. Wir könnten uns dann auf weitere Referenden vorbereiten. Ich würde einen klaren Schnitt bevorzugen. Wenn sich Schottland nicht klar für die Union entscheiden kann, soll es die „Unabhängigkeit“ wählen. Und dann, viel Spaß!

Copyright: The Financial Times Limited 2014

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